Worms. In Worms laufen die Dinge im Spätsommer zumeist nach eigenen Gesetzen. Denn wer den Zauber der Nibelungenfestspiele rund um den Dom erlebt hat, weiß unter normalen Bedingungen: Jazz & Joy ist nicht mehr weit. Eine Gewissheit, die nur durch die Kulturarmut der Corona-Zeit ins Wanken zu bringen war und – bei aller Besonderheit – von beachtenswerter Konstanz geprägt wurde. Denn was Routiniers noch heute als das Zusammenspiel von E(rnster)- und U(nterhaltungsmusik) verhandeln, ist in Worms seit Jahrzehnten in einem gesunden Soundtrack aufgegangen, der vor allem durch eines besticht: seine selbstverständliche Grenzenlosigkeit.
Der Abend des ersten Festivaltages war kaum eingeläutet, da traten mit der Mannheimer Formation Engin auf der Bühne an der Jugendherberge schon die ersten Herrschaften aufs Parkett, die mit ihrem ganz eigenen Stilmix aus orientalischem Flair und hartem Indie Rock von sich Hören machten. Nicht zuletzt von prägenden Songs wie „Halb“ geprägt, die die deutsch-türkische Herkunft von Sänger Engin Deverikan spiegeln wie ein von Zeit zu Zeit basserschütterter See, finden die treibenden Beats Anklang – und reichen doch weiter in multikulturelle Sphären, die von sich einzunehmen wissen.
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Gleichsam zart und dennoch kaum weniger bedeutungsvoll startet die Private Selection unter dem großen Pavillonrund in ihre Vollen. Einmal jährlich neu eigens für diesen Anlass kuratiert, diktieren Schlagzeuger Johannes Hamm, Pianistin Juliana Saib, Saxophonistin Kristina Shamgunova und Jan Dittmann am Bass ihr Classic Jazz-Set in die Boxen, das schwingt, klingt und bei aller Poesie fast schon ins Sängerische hineingleitet.
Das Besondere bei Jazz & Joy: Die einzelnen Künstler treten hier mitnichten gegeneinander oder für die größtmögliche Effekthascherei auf die Bühne. Vielmehr findet jeder Musiker sein Publikum und die Zuhörer haben – je nach momentanem Gusto – die Möglichkeit, sich von Unbekanntem überraschen oder gar faszinieren zu lassen, oder in den wohlbekannten Gefilden bereits gepflegter Leidenschaften ganz entspannt in hervorragend arrangierte Qualität einzutauchen.
Zuverlässig gilt das auch für all diejenigen, die es mit den bekannteren Pop-Größen halten – und sich jährlich in den Sonderkonzerten auf der großen Marktplatz-Bühne in ihren Interessen wiederfinden. Dementsprechend satt sind die Reihen gefüllt, als mit Max Giesinger der Mann des Abends endlich hinter dem Vorhang in Erscheinung tritt und mit einem durch und durch launigen Auftritt für erhebende Momente sorgt. Es sind noch keine zwei Lieder fertig musiziert, da nimmt der 34-Jährige aus Waldbronn bereits ein Bad in der Menge, klatscht mit Besuchern ab, gibt kurzerhand Autogramme oder steht spontan und mitten während des Songs für Selfies bereit. Und da sag nochmal einer, die Stars der Szene seien im durcharrangierten Konzertgeschäft heute zu keinen Spontantaten mehr bereit! Nachdem dann auch endlich geklärt ist, dass Rheinhessen nicht Hessen ist, lässt sich die Pop-Party voll und ganz entspannt in die Nacht hinein feiern, ohne dass Fettnäpfchen zu fürchten wären.
Ohnedies hätte es nicht wirklich viele Umstände geben können, die diesen schwülwarmen, aber künstlerisch von konkurrenzloser Güte geprägten Abend hätten trüben können. Denn an Tagen, an denen selbst Jazz-Größen wie Omer Klein oder Nils Landgren trotz entsprechender Ausnahmeleistungen vor allem als musikalische Klammer eines originären Worms-Sounds verstanden werden dürfen, gilt vor allem eines: Ein Festival reicht so weit wie die Schritte der Zuhörer zwischen hartem Rock, fetzigem Pop und ganz und gar subtilem Jazz. Mehr kann man – selbst bei kritischster Betrachtung – schwerlich bieten.
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