Beerfelden. Auch, wenn der mittlerweile 12. Ausgabe von Sound of the Forest am ersten voll bespielten Festivaltag der große Headliner fehlen mag, dürfte selbst der größte Kritiker konstatieren: Das Boutique-Festival im Odenwald schickt sich zum vollen Dutzend an, zum Kultereignis zu werden. Die Ingredienzien für diese ganz besondere Atmosphäre sind dabei keineswegs eine Neuigkeit – und verfestigen sich doch. Denn obwohl sich hunderte „Forest People“, wie die Veranstalter ihre Gäste gerne nennen, auf dem Areal am Marbachstausee in Beerfelden längst zurechtfinden wie in der eigenen Westentasche, zaubert allein das Panorama inmitten wäldlicher Idylle selbst nach Dauerregen und bei ergiebigem Matsch ein ganz eigenes Flair zwischen schmucker Seebühne und dem großen Schauparkett.
Dazu kommen wetter- und gedulderprobte Festivalfreunde, die in selten erlebter Frustrationstoleranz das Leben und die Neugier zelebrieren – und die Festivalmacher? Müssen auf diese Mixtur streng genommen „nur“ ein Programm setzen, das beides bedient – die eigene Tradition und das unbekannte Neue. Eine Aufgabe der Entschlossenheit, die sich bereits in den ersten Sets überraschend klar erfüllt – und durchaus auch von Mut geprägt erscheint.
Andernorts als Headliner gelistet, marschieren die Pfälzer Pop-Jungs von ClockClock etwa bereits am frühen Nachmittag auf die Bretter der erhabenen Waldbühne – und sorgen selbst bei sportlichen Standverhältnissen vor der Bühne für genau den Drive, den dieser Nachmittag braucht. Denn auch, wenn es am Himmel schwerlich Tag werden will, mangelt es weder den feierlustigen Fans noch der Crew um Sänger Bojan Kalajdzic an Ausgelassenheit. Stattdessen entspringt dem Augenblick eine fast schon entfesselnde Wirkung des „Jetzt erst recht“, die ansteckt und verfängt.
Es mag mitunter auch der Tatsache zuzurechnen sein, dass diese Wege und Wiesen all jenen, die sie bereits kennen und schätzen lernen durften, bereits als Ort vertraut sind, an dem sie die Beherrschung verlieren dürfen – doch selbst Neulinge lassen sich von der Mentalität dieses besonderen Ortes faszinieren und treiben mit den Beats. Bei der gebotenen Vielfalt zugegebenermaßen auch kein allzu schweres Unterfangen. Denn wer es auf der Odenwald-Seebühne etwas poppiger und leichter angehen lassen will, findet in den flirrenden Melodien der Singer-Songwriterin Pano sein tänzerisches Zuhause, für sämtliche Anhänger der melodisch weiten, tragenden Melancholie liefern die Schweizer von Black Sea Dahu den passenden Soundtrack.
Kritik an Rammstein
Es sind Stunden, in denen ein Festivalgelände zum offenen Raum der Gedanken wird, denen man sich soeben hinzugeben bereit erklärt. Dabei sind auch Überraschungen keineswegs Mangelware. Ganz besonders der lyrisch starke Rap-Newcomer Conny sprengt mit seinen sozialkritischen Texten mühelos die Kapazitäten des Unterholz-Zelts – und lässt dabei an der Generation, die lieber beim Netflix-Schauen chillt, anstatt Engagement zu zeigen, ebenso kein gutes Haar wie an der Tatsache, dass ausverkaufte Rammstein-Konzerte angesichts aktueller Missbrauchs-Vorwürfe aus seiner Sicht nur mit Scham zu betrachten sind.
Dass diese Zeilen keineswegs grob und wichtigtuerisch, sondern überlegt, wuchtig und tief daherkommen, spricht für das Talent eines jungen Künstlers, von dem man sicher noch hören wird. Ebenso wie von der belgischen Sängerin Anaïs, die nach dem Mannheimer Maifeld Derby auch Sound of the Forest mit ihrem fast schon radiotauglichen Indie Pop veredelt und damit zu einem fast schon mustergültigen Übergang in den späteren Abend überleitet, den die Rosenheimer Indie-Rocker von Kaffkiez quasi nur noch stilvoll vollenden müssen. Der Rest ist Euphorie.
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