Mannheim. Echte „Rising Stars“ und wirklich große Hoffnungsträger sind im Jazz zurzeit gar nicht so häufig auszumachen. Wenn dann doch einer den Kopf reckt, prasseln gleich die Lobeshymnen auf ihn ein. Von allen Seiten. So ergeht es schon seit längerem Immanuel Wilkins, Altsaxofonist und Komponist. Die „New York Times“ etwa hat den inzwischen 26-Jährigen bereits hofiert, als seine erste Aufnahme beim legendären Plattenlabel Blue Note auf den Markt gekommen war. Nun ist erneut ein Werk entstanden. Wilkins stellt es in der Alten Feuerwache vor, und dieses Blue Note-Opus drei ist derart funkelnagelneu, dass man beim Enjoy Jazz-Abend in Mannheim streng genommen noch bei einem„Pre-Release-Konzert“ zugegen ist.
Das erste Stück heißt in der Feuerwache „Apparition“, kündet also von einer „Erscheinung“. Wilkins kultiviert darin zu Anfang einen cremig-weichen Altsax-Ton, während der Drummer Kweku Sumbry hier noch eher Atmosphäre schafft - und nicht das Zeitkontinuum in kleine Einheiten zerschneidet. Micah Thomas‘ Hammondorgel klingt dazu so schnurrend „retro“, wie sie aussieht. Ehe ihr auch quietschende und gurgelnde Facetten abgerungen werden. Überhaupt verwandelt sich das Stück - aus einem sanften Flow wird immer mehr ein Brausen, fast schon ein regelrechter (Tempo-)Rausch. Und Wilkins‘ Altsax wird davon emporgehoben.
Seine neue Platte nennt sich „Blues Blood“, sucht nach Rückversicherung und Erdung. Aufgewachsen ist der Musiker im Speckgürtel der Großstadt Philadelphia, er scheint festverankert in der schwarzen (Gospel-)Religiosität. Das macht den Modern Jazz von Wilkins immer wurzelecht. Und ziemlich offenkundig sind die „Blutsbande“, die zu John Coltrane führen - dessen Geist an diesem Abend häufig durch die Feuerwache weht.
Das Quartett demonstriert blindes Spielverständnis
Es ist der Coltrane aus der „Love Supreme“-Periode: tranceartige Riten, Wiederholungen und Steigerungen. Wilkins schafft das Kunststück, auf dem kleinen Altsax phasenweise eine ähnlich große Kraft und Inbrunst zu entfachen, wie es einst dem Tenoristen Coltrane glückte. Neben den genannten Tempo-Schüben punktet er mit ausgefeilter Anblastechnik. Um das Mundstück weht manchmal viel Luft. Bisweilen wirft der Saxofon-Ton sogar Blasen. Das Quartett von Wilkins demonstriert in Mannheim blindes Spielverständnis. Es ist noch nicht allzu lange her, dass es auch mit dem Deutschen Jazzpreis ausgezeichnet worden ist: als „bester internationaler Live Act“. Neben Wilkins selbst ist der bereits erwähnte, ungeheuer nachdrücklich und berstend intensiv agierende Schlagzeuger Kweku Sumbry die bestimmende Figur. Selbst seine beiden Soli kann man ihm nicht nur verzeihen, sondern muss sie sogar rühmen:weil auch sie wie sinnstiftende Rituale wirken. Nicht wie Leistungsnachweise.
Kollege Micah Thomas, in der Eingangsnummer „Apparition“ ander Hammondorgel durchaus auffällig, setzt am akustischen Klavier nicht ganz so deutliche Akzente. Rick Rosato bleibt dafür am Kontrabass dem „Führungsspieler“ Wilkins immer auf den Fersen, selbst bei dessen Hochgeschwindigkeits-Ekstasen. Und der Drummer packt in solchen Abschnitten gern einen Extra-Wirbel obendrauf. Das Energie-Level ist hoch an diesem Abend inder Alten Feuerwache. Was sichauch auf die Besucherinnen undBesucher überträgt. So muss das sein bei einem „Rising Star“.
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