Enjoy Jazz

Preisverleihung: Nicole Mitchell mit Artifacts Trio in Mannheim

Die Flötistin Nicole Mitchell hat zusammen mit dem Trio Artifacts für einen Glanzpunkt des Enjoy Jazz-Festivals gesorgt - und wurde mit dem Christian Broecking Award geehrt

Von 
Georg Spindler
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Beherrscht ihr Instrument perfekt: Nicole Mitchell. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. In dieser kleinen Röhre steckt ein ganzer Klangkosmos: Wenn Nicole Mitchell Querflöte spielt, offenbart sich eine gewaltige Sound-Vielfalt. Das zeigt sich beeindruckend bei einem unbegleiteten Solo während ihres Enjoy-Jazz-Auftritts in der Alten Feuerwache Mannheim. Jeder Ton ist da auf ganz eigene, fein nuancierte Weise modelliert: hauchig zart und luftig wehend, konturenklar mit kristalliner Schärfe oder zerfließend in wässrig verschwommene Unschärfen. Zudem ist sie eine Meisterin ausgefeilter Überblas-Techniken: Indem sie in ihr Instrument summt, knurrt, schreit, erzielt sie raffinierte Vokalisierungseffekte. Allein die Fülle der Ausdrucksmöglichkeiten, über die Mitchell schon bei der Tonbildung verfügt, ist einzigartig. Aber sie ist auch eine exzellente Improvisatorin, die mit langem Atem selbst extrem weit gespannte Phrasenfolgen spannungsvoll zu gestalten weiß. Und eine hochkarätige Komponistin, die alle möglichen Genres - von melodischen Song-Themen über rasante neobop-artige Phrasen-Floskeln bis hin zu abstrakten, atonalen Klang-Konstruktionen - souverän beherrscht.

George Lewis ist eigens zur Verleihung angereist

Nicht ohne Grund ist Nicole Mitchell die derzeit höchst dekorierte Flötenstimme des Jazz. In Mannheim erhält sie vor Konzertbeginn den mit 10 000 Euro dotierten Christian Broecking Award. Er erinnert an den 2021 verstorbenen Musikjournalisten, der Enjoy Jazz jahrelang eng verbunden war. Die Preisverleihung nimmt kein Geringerer vor als der eigens angereiste George Lewis, als Posaunist einer der größten Improvisatoren des zeitgenössischen Jazz.

Mit dem Ensemble Artifacts, das Tomeka Reid (Cello) und Mike Redd (Schlagzeug) komplettieren, sorgt Mitchell dann für einen Glanzpunkt des Festivals. Das Trio, das dem Avantgardezirkel Chicagos entstammt, überrascht durch zugängliche, mitreißende, extrem swingende Musik: mit tanzbaren Latin-Rhythmen, rockigen Beats, bodenständigen Ostinato-Grooves und zündenden Themen, die oft auf eingängigen Kürzel-Motiven basieren.

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Aber es gibt auch Ausflüge in kollektiv verzahnte Free-Jazz-Improvisationen und selbst in jene, heute fast vergessenen, pastoralen Idyllen, die der Zusammenklang von Cello und Flöte schon im kühlen Westcoast-Jazz der 1950er Jahre reizvoll beschworen hat.

Drei hochmusikalische Virtuosen begeistern

Die Virtuosität, mit dem das Ensemble dabei hochmusikalisch zu Werke geht, ist schlichtweg begeisternd. Reid vermag ihr Cello mit dem Bogen voller romantischer Schwermut in klassischer Diktion zum Singen zu bringen. Sie schrummt und schrammelt aber auch über die Saiten, dass es klingt, als spiele sie eine archaische Blues-Gitarre. Und mit einem Mal entpuppt Reid sich als wahres Groove-Monster, als sie ihrem Instrument erdige Funk-Riffs entlockt.

Auf gleichem Level agiert der Mann am Schlagzeug, der gleich zu Beginn des Auftritts mit vertrackten Cowbell- und Trommelrand-Akzenten für karibisches Flair sorgt. Bei ihm scheint jedes Teil seines Instrumentariums, jede Trommel und jedes Becken, eine eigenständige Bedeutung zu besitzen.

Reed schöpft tief aus der Tradition afrikanischer Rhythmik - und aus der Jazzgeschichte: Im Zentrum seines Spiels stehen druckvolle Snare-Schläge, mit denen er die Band forciert vorantreibt. Zur Freude des Publikums, das an diesem denkwürdigen Abend leider nicht sehr zahlreich erschienen ist; es sind keine 200 Zuhörer.

Redaktion

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