So startete das Festival

Auftakt von Enjoy Jazz gerät in Ludwigshafen zur Teufelsaustreibung

Furioses Eröffnungskkonzert des Piano-Duos Vijay Iyer und Nduduzo Makhathini als Weltpremiere im nur zu zwei Dritteln gefüllten BASF-Feierabendhaus

Von 
Georg Spindler
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Weltpremiere zum Auftakt von Enjoy Jazz: Vijay Iyer (links) im Duett mit Nduduzo Makhathini. © Manfred Rinderspacher

Ludwigshafen. Das Konzert beginnt düster. Wen wundert es in diesen Zeiten? Vijay Iyer lässt seinen Flügel in abgrundtiefen Bassregionen nachtschwarz grollen und rumoren wie ein dräuendes Gewitter. Jeder einzelne der Töne, die er schließlich im Diskant hinzufügt, klingt spitz und klirrend - wie prasselnde Hagelkörner. Ein atonaler, aber stimmungsvoller Auftakt für die Enjoy-Jazz-Eröffnung, bei der im (leider nur zu zwei Dritteln besetzten) BASF-Feierabendhaus in Ludwigshafen die Begegnung des US-Pianisten mit seinem südafrikanischen Kollegen Nduduzo Makhathini als Weltpremiere auf dem Programm steht.

An zwei aneinander geschmiegten Klavieren sitzen sich die beiden frontal gegenüber. Makhathini verharrt zunächst regungslos. Als er in den Dialog einsteigt, entwickelt sich ein furioses Miteinander zweier Gleichgesinnter. Beide kommen aus der schwarzen, perkussiv geprägten Jazzpiano-Tradition, die über Randy Weston und Andrew Hill zurückreicht bis zu Thelonious Monk und Duke Ellington.

Mal stürmische Improvisation, mal meditative Atmosphäre

Makhathini bringt, wie oft an diesem Abend, feste Strukturen in das zuvor freie Spiel, ein Funk-Bass-Ostinato, über dem das Duo eine stürmische Simultan-Improvisation entfesselt, mit bebenden Tiefton-Fundamenten und ekstatisch aufwärts stürzenden Hochton-Läufen. Das Ganze mutet, dem Festivalmotto „Healing“ gemäß, an wie eine Teufelsaustreibung, mit der böse Geister verjagt werden sollen.

Am Ende des Konzertes, das Iyers räsonierende Ballade „Entrustment“ als Zugabe beschließt, ist die Stimmung ganz anders: meditativ, aber nicht minder intensiv. Selbstversunken beschwören beide die Magie des Moments, nachdenklich werden nun Tonfolgen über die Tastatur gestreut, es ist wie ein Innehalten nach einem Unwetter. Makhathini, der gelernte Zulu-Heiler, hebt mit sanfter pastoraler Stimme an zu einem afrikanischen Ritualgesang, als wäre er ein Vater, der ein aufgeregtes Kind zur Ruhe bringen will. Auch der Ausklang dieses Abends ist bewegend.

Was sich in den 90 Minuten zwischen Beginn und Abschluss des Auftritts entfaltet, lässt sich nur als Überwältigungsmusik bezeichnen. Es geht meist vehement, druckvoll, zupackend zur Sache. Fern jeglicher Eurozentrik bestimmen bluesige Tremoli, afrikanische Grooves, hypnotische Modalität die Musik. Dabei huldigen die Duo-Partner einer Ästhetik, die sich an Cecil Taylors Credo orientiert, das Klavier bestünde aus 88 gestimmten Trommeln.

Der Rapport zwischen den zwei Pianisten ist dabei mitunter so frappierend, dass selbst Iyer in seiner kurzen Schlussansprache an das Publikum (das ansonsten kommentarlos mit der Musik konfrontiert wird) eingestehen muss, beide hätten nicht gewusst, wer denn nun was gespielt hätte.

In der Tat sind die Texturen derart dicht miteinander verwoben, dass man als Zuhörer schon mal die Augen zu Hilfe nehmen muss, um zu sehen, wer gerade solistisch in Aktion tritt - wenn nicht, wie in der spektakulären Eingangssequenz, die individuellen Beiträge in einer mächtigen Klangschmelze nahezu untrennbar zusammenfließen. Doch das Faszinierende bei diesem Konzert liegt auch darin, die Eigenheiten der Spieler zu erkennen, auch wenn sie aus der gleichen Quelle schöpfen - schließlich ist Jazz noch immer, allen modischen Strömungen und Auffassungen zum Trotz, die Musik des persönlichen Ausdrucks.

Wenn beide sich in raschen Ruf-und-Antwort-Passagen miteinander verständigen oder gelegentlich fast parallel Themen intonieren, wird deutlich, dass Iyer viel leichthändiger agiert. Er verfügt auch über die größere Klangpalette, seine girlandenartig ungemein weit ausschwingenden Diskant-Linien besitzen eine Fliehkraft, die oftmals neue Aktionsräume eröffnet. Brillant sind auch seine spannungsvollen Akkord-Passagen und spontan eingestreuten Parallel-Läufe, wie man sie von Salsa-Musik her kennt.

Austausch von intellektuellen und emotionalen Positionen aus

Iyers großes Imaginationsvermögen zeigt, dass er in seiner Karriere mit eher intellektuell ausgerichteten Größen zusammengearbeitet hat, die ihn nachhaltig beeinflusst haben: der Rhythmus-Virtuose Steve Coleman etwa oder der Klang-Forscher Roscoe Mitchell aus Chicagos Avantgarde-Szene. Makhathinis Spiel dagegen ist emotionaler, beseelt von urwüchsiger, mitreißender Kraft. Seine donnernden Akkordhiebe im Bassbereich sind schroff und scharfkantig wie Gesteinsbrocken, in ihrer mineralischen Härte wirken seine Melodie-Phrasen wie in die Tastatur gemeißelt. Nicht ohne Grund betont er stets, wie sehr John Coltranes Pianist McCoy Tyner ihn geprägt habe. Auf reizvolle Weise steuert er aber auch folkloristische Elemente bei, die tief in der Musik Südafrikas verwurzelt sind; liedhafte Themen oder choralartige Harmonien.

Bei aller Experimentierfreude erreicht dieser denkwürdige Konzertabend so seinen emotionalen Höhepunkt, als Makhathini dem größten südafrikanischen Jazzmusiker Abdullah Ibrahim seine Reverenz erweist: Indem er dessen betörende Hymne „The Wedding“ anstimmt, ein feierliches, kirchenliedartiges, klangschönes Stück, das mit jeder Note Hoffnung verbreitet. Geschrieben wurde es mitten in der rassistischen, menschenverachtenden Ära der Apartheid. Ein Zeugnis für die zeitlose Macht der Musik, die Welt zum Besseren zu verändern.

Redaktion

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