Heidelberg. Zum diesjährigen Festspiel-Motto „Heilung“ passt sie wie das Pflaster auf die Wunde. Die französisch-syrische Flötistin Naissam Jalal hat zu dem Thema „Healing Rituals“ ein ganzes Album aufgenommen. Diese „Heilung“ sucht sie in der Kraft der Elemente, das meint nicht nur Wasser, Wind und Erde – auch den Wald, die Sonne und den Mond bezieht sie ein. Den Hintergrund bildet ein Klinikaufenthalt Jalals. Aber im Heidelberger Karlstorbahnhof wird rasch deutlich, dass es nicht allein um die persönliche Gesundung gehen soll. Um esoterisches Gesäusel schon gleich gar nicht.
Jede „Heilung“, jedes Aufgehobensein in den Naturmächten soll offenbar auch dazu dienen, Kraft zu tanken für den Kampf um die Verbesserung der Welt – was diese nötig hat wie selten. Die Flötistin wird dabei zur Frau, die explizit politisch denkt und kalkuliert, bisweilen wird die Heilerin und Ärztin gar zur Aktivistin: Sie benutzt beim Enjoy Jazz-Konzert das kontroverse „G“-Wort, spricht also vom „Genozid“ im Gaza-Streifen und verlangt ein freies Palästina. Auch wenn derlei nicht im Mittelpunkt des Abends steht.
Mixtur aus Jazz, arabischer Musik und Folk
Die Doppelstrategie und -therapie durchzieht freilich nicht minder die Musik. Was ziemlich überzeugende Ergebnisse erbringt: Denn Jalals Heilungsrituale sind zwar einerseits fein austariert, beschreiben häufig eine Bogenform und nehmen gern ein ruhiges, „gutes“ Ende. Die Mixtur aus Jazz, arabischer Musik und Folk betört zudem mit ihrem Farbenreichtum. Wenn Jalal, was selten vorkommt, in die Nay bläst, die berühmte mundstücklose „Urflöte“ des Orients, wird der akustische Geschmack noch kräftiger.
Doch gleichzeitig atmet ihr Ton die aufbrausenden Freiheiten des Modern Jazz, ihre furiosen Soli lassen sie passagenweise wie eine Art Enkelin des großen Eric Dolphy wirken. Ihre Band steht ihr kaum nach, besonders Karsten Hochapfel am Cello. Dabei stammt der Mann vom Bodensee.
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