Das Interview

Heidelberger Dirigent: „Wenn es wolkig ist, Haydn hören!“

Der Dirigent Johannes Klumpp vervollständigt das Megaprojekt der Heidelberger Sinfoniker mit der Einspielung aller Haydn-Sinfonien. Nun ist kurz vor dem Abschluss. Warum der Dirigent Haydn schätzt

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Präsentiert sich mit viel Stolz: Johannes Klumpp (Mitte) mit seinen Heidelberger Sinfonikern. © Peter Gwiazda

Heidelberg. Herr Klumpp, das Projekt Gesamtaufnahme der Sinfonien von Haydn lag nun doch sehr lange auf Eis. Wie fühlt es sich an, nun damit weiterzumachen - auch als neuer Dirigent in der Sache?

Johannes Klumpp: Ich kannte viele der Aufnahmen schon lange - und habe immer, wenn ich irgendwo Haydn dirigieren musste, geschaut, ob es Aufnahmen aus Heidelberg gab. Als ich dann das erste Mal mit den Heidelberger Sinfonikern zusammenarbeitete, merkten wir, glaube ich, beide, wie ideal das zusammenpasst: Dieser Wunsch nach Energie, nach wilder Phrasierung, nach scharfer Artikulation - da treffen sich unsere Identitäten. So ist der Wunsch entstanden, die Zusammenarbeit zu vertiefen und die Gesamteinspielung aller Haydn-Sinfonien zu beenden.

Wie war die Realisierung?

Klumpp: Die Arbeit war unglaublich spannend. Alle Sinfonien sind so vielgestaltig, keine ist wie die andere, ich habe gelernt, ein bisschen in Haydns Kopf zu schlüpfen in der intensiven Arbeit. Und keine der um die 40 Sinfonien, die wir seit 2020 eingespielt haben, kannte ich! Die bekannten Sinfonien waren ja alle schon weg… Jede Sinfonie ist eine kleine Perle. Wertvoll und großartig zu entdecken.

Klumpp und Haydn

  • Heidelberger Sinfoniker: 1985 u.a. von Thomas Fey als Schlierbacher Kammerorchester gegründet, gibt es sie seit 1994. 2024 ist also 30. Geburtstag. 2014 musste Fey sich aufgrund eines schweren Unfalls aus der Musik zurückziehen.
  • Das Haydn-Projekt: Die neue Box umfasst die Sinfonien 12, 13, 16, 21, 22, 23, 24, 28, 29, 30, 55, 68, 67, 72. Hänssler Classic.
  • Johannes Klumpp, 1980 in Stuttgart geboren, studierte an der Liszt-Hochschule Weimar Orchesterleitung. 2009 wurde er 1. Kapellmeister beim Musiktheater im Revier, 2013 Chefdirigent des Folkwang Kammerorchesters Essen und 2020 Künstlerischer Leiter bei den Heidelberger Sinfonikern.

Sie setzen mit ihrem Wunsch nach Energie, wilder Phrasierung und scharfer Artikulation dort an, wo Thomas Fey aufgehört hat. Wo, finden Sie, setzen Sie da noch eigene Akzente?

Klumpp: Oh, unsere Interpretationen sind schon sehr, sehr unterschiedlich! Wir sind ja auch zwei sehr unterschiedliche Menschen. Ich glaube, speziell die Mittelsätze, also die langsamen Sätze und vor allem auch die Menuette unterscheiden sich sehr stark. Wir fußen beide in der historisch informierten Aufführungspraxis, aber natürlich kommt man da trotzdem zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und natürlich gibt es auch die außermusikalische Komponente: Das Orchester ist heutzutage viel demokratischer organisiert, alles entsteht aus den Musikern heraus. Und die ganzen Konzertformen haben sich stark entwickelt: mit den moderierten Konzerten oder unserer „Haydn-Zeit-Reise“, einer Mischung aus Lesung und Musik, und auch den Kinderkonzerten. Damit sprechen wir auch ein neues Publikum an.

Daraus könnte ich jetzt schließen, dass es bei Fey undemokratischer zuging, despotischer?

Klumpp: Oh nein, das maße ich mir nicht an zu beurteilen, ich war ja auch gar nicht dabei. Ich meine nur: Die Heidelberger Sinfoniker waren die Gründung von Thomas Fey, es waren seine Visionen und stark auch seine künstlerische und organisatorische Aktivität, die prägend waren. Nach seinem Unfall, nach seinem Ausscheiden, entstand natürlich eine Lücke, die man schließen musste. Und man beschloss, sie „gemeinsam“ zu schließen.

Und wie?

Klumpp: Jeder ist für einen Teilbereich zuständig, jemand sorgt für die Musikerorganisation, jemand macht das kaufmännische, jemand betreut den Kartenverkauf, jemand kümmert sich um Gastspiele, jemand sorgt dafür, dass die Räume gebucht werden und die Aufbauten stimmen. Das ist beeindruckend. Dadurch entsteht natürlich ein viel größeres „Wir-Gefühl“, eine Eigenverantwortlichkeit, eine Zugehörigkeit, eine unglaubliche intrinsische Motivation. Für mich ist diese Energie, die dadurch entsteht, ein wahres Geschenk! Das ist einzigartig!

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Wie geht es Herrn Fey?

Klumpp: Ich habe ihn im vergangenen Mai besucht, nachdem wir die letzte der Haydn-Sinfonien im Kasten hatten. Das war schön und bewegend, er hat sich darüber sehr gefreut. Er freut sich, dass sein „Baby“ lebt und gedeiht …

Warum wird so ein Geheimnis um seinen Zustand nach dem Unfall 2014 gemacht. Das ist zehn Jahre her. Keiner will darüber sprechen.

Klumpp: Es obliegt nicht mir, über Privatsphäre und öffentlichen Raum zu entscheiden, wenn es andere Menschen betrifft.

Jetzt hängt die Komplettierung aller Sinfonien des Wiener Meisterkomponisten ein bisschen in der Luft, zumal der Tonträgermarkt ohnehin darniederliegt.

Gibt es jetzt irgendwelche Live-Zyklen, die Sie anstoßen, auch um das Projekt nochmals ins Bewusstsein zu rufen?

Klumpp: Wir sind enorm dankbar, dass wir das Projekt dank der Athenaeum-Stiftung zu Ende bringen konnten. Das hat uns allen sehr viel bedeutet. Gerade ist die Vierer-CD-Box erschienen, genau solch eine fehlt dann noch, dann ist alles „da“. Der physische CD-Markt ist für uns heute nicht gar so entscheidend, aber auf sämtlichen Streaming-Plattformen kann man dann unseren Haydn auf der ganzen Welt hören. Darauf sind wir durchaus stolz. Und in Heidelberg haben wir ja unser kleines Festival „Explore Haydn“, wo wir ihn ins Licht stellen möchten. Haydn bleibt also ein Teil unserer Identität.

Wie sehen da die Streaming-Zahlen weltweit aus?

Klumpp: Ich sehe gerade bei „Spotify artists“: In der letzten Woche haben 5429 Menschen weltweit den ersten Satz unserer 72. Sinfonie von Haydn gehört.

Ich kann mir denken, dass Sie keine Aufnahmen machen, um Geld zu verdienen, aber wie viel bleibt da bei den Heidelbergern und Ihnen hängen?

Klumpp: In der Tat, die Aufnahmen dienen nicht dem Zweck, Geld zu verdienen. Die Summen, die sich durch Streaming verdienen lassen, sind gering. Und gehen auch nicht an die Künstler, sondern ans Label. Wir bekommen für die Aufnahme ein kleines Honorar von Hänssler. Aufnahmen dienen heutzutage der Schärfung des eigenen Profils und somit der eigenen Vermarktung gegenüber Veranstaltern.

Sie wollen also keine Zahl nennen?

Klumpp: Ich muss ehrlich gestehen, dass ich die genauen Zahlen nicht kenne. Ich bin als Dirigent dafür Gott sei Dank nicht zuständig. Aber mich freut, wenn wir vom Label zurückgespiegelt bekommen, dass sie zufrieden sind.

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Zurück zu Haydn, der es neben den anderen Wienern Mozart, Beethoven und Schubert immer so schwer hatte und hat. Warum sollten wir ihn spielen und hören?

Klumpp: Haydn strahlt, wenn man ihn ins Licht stellt. Das wollen wir! Die Musik ist so sonnig, hat so gute Laune, ist beschwingt, verspielt, dabei so fantastisch intelligent. In dieser Welt, gerade wenn sie mal mehr Wolken als Sonne hat, tut uns Haydn wunderbar wohl, die Musik wirkt in die Tiefe unserer Seele …

Ein Antidepressivum?

Klumpp: Wenn es wolkig ist, Haydn hören! Und die Sonne strahlt wieder. Haydn wirkt.

Noch was Anderes: Fey war zu Mozarts Todestag auch hin und wieder unter der Flagge Mannheimer Mozartorchester gesegelt und hatte im Mozartsaal des Rosengartens große, lange Konzerte gegeben, teils mit sehr namhaften Solisten. Mit dem Orchester war er sogar einmal für einen Grammy nominiert. Wollen Sie das auch wieder aufleben lassen mit ihren Heidelbergern? Die Musizierenden waren, so weit ich mich erinnere, fast identisch.

Klumpp: Das Mannheimer Mozartorchester ruht momentan, und es gibt meines Wissens keine Planung eines konkreten Projektes. Wir konzentrieren uns voll und ganz auf die Weiterentwicklung der Heidelberger Sinfoniker.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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