Am Anfang steht, wie so oft im Theater, eine Idee. Wenn es sich um eine der führenden zeitgenössischen Tanzcompagnien Europas handelt, darf, ja muss man davon ausgehen, dass es eine originelle ist. Einen „Hammer“, genauer einen enormen, knallroten Vorschlaghammer, zum Titel und Thema einer Premiere zu machen, ist fraglos originell, aber sicher auch ein wenig merkwürdig bis kurios.
Genau in diesem Grenzbereich liegt die Stärke der außergewöhnlichen Göteborgs Operans Danskompani, deren zahlreiche Fans sich bis hoch zum Zweiten Rang des Theaters im Pfalzbau eingefunden haben, um die schwedische Truppe zu feiern. Bereits zum dritten Mal gastiert das von Katrin Hall geleitete – wie es über sich selbst sagt – „kühne, zukunftsorientierte Ensemble“ im Pfalzbautheater und zeigt zum zweiten Mal hier eine Deutsche Erstaufführung (DEA), die im Fall von „Hammer“ auch deren erstes Gastspiel außerhalb Schwedens ist.
Ein Tänzer betritt gänzlich untheatralisch die Bühne und hängt das titelgebende Requisit in einen weißen Kasten, der sich im Laufe des Ersten Akts langsam in den Bühnenhimmel heben wird. Buchstäblich wollen uns die Schweden also „zeigen, wo der Hammer hängt“. Ob es die Redensart auch im Schwedischen gibt, wissen wir nicht, aber das deutsche Sprachbild ist durchaus zutreffend. Getanzt wird in hautfarbenen „nude“-Kostümen, die archaische Urmenschlichkeit verkörpert. In einer Ästhetik, die auf „Sacre du Printemps“ anspielt, sind kultische Gruppenbewegungen naheliegend, auch wenn das Ergebnis dieses Frühlingsfestes beileibe keine Opferhandlung ist.
Das choreographisches Credo: Verrücktheit macht Kunst freier
Es wird schwer geatmet, eher gymnastisch synchron am Boden geturnt, gerobbt, gekniet als traditionell getanzt. Der Stockholmer Alexander Ekman, der seine Karriere als Tänzer im Royal Swedish Ballet begann und nach Engagements am legendären Cullberg Ballet und Nederlands Dans Theater 2 zum weltweit gefeierten Choreographen avancierte, liebt diese harten, bodennahen Bewegungsformen voller verspielter Verrücktheit. Sein Credo: „Tanz ist eben auch eine Kunstform, die wirklich schräg sein darf. Das macht sie freier.“ Und somit passt der Choreograph eben auch zu Katrin Halls Truppe mit ihren sage und schreibe 29 typenstark besetzen Tänzerinnen und Tänzer.
Aus der Tutti-Gruppe finden sie langsam zu individuellen Gesten, stehen auf aus der Masse, stürzen, werden von den anderen gestützt und aufgerichtet. Es beginnt ein gemeinsames Bauvorhaben. (Theater-)Steine werden geschleppt, gestapelt, weitergereicht. Mit „Bau auf, bau auf!“ wäre dieses idyllische Kollektivkolorit einst in der DDR besungen worden. Doch anders als bei der Freien Deutschen Jugend sind hier Individualausbrüche durchaus möglich. Paare bilden sich, Tänzer springen sich in Hockehaltung an und werden getragen, auch hat jeder und jede einen „Stage-Diving“-Sprung zum Wohlfühlen gut.
Bevor sich das Ensemble in strahlender Wohlfühlharmonie dann tatsächlich auf dem Weg durch das Publikum macht, ist erst mal Schluss mit lustig. Feueralarm. Der Pfalzbau wird (wiedermal) geräumt. Langsam wird sie lästig, diese Ludwigshafener Feuermelderfehlmeldungsproblematik.
Sei’s drum, alle kehren zurück, es gibt Sonderapplaus und die gute Laune wird über Armlehnen und Sesselkanten in den Zuschauerraum getragen. Was passiert, ist hohe Dramaturgie: Der Jubel, das Zücken von Handys und die ausgelassene Stimmung werden zur Selfie-Orgie, die mit Blitzlichtgewitter thematisch zur Bühne zurückkehrt. Schnitt. Pause.
Die Kälte der Selbstbespiegelung greift über Handys ins Publikum
Nun sind alle in elegantem Schwarz, später in schrillen blau-weißen Promi-Pelzen (großartige Kostüme: Henrik Vibskow) und Perücken gewandet. Die Ego-Show beginnt mit rhythmischem Schlagen der Plateau-Absätze, es wird „gepost“ und „gevoguet“, als hätte weiland Madonna höchstselbst choreographiert. Zu Mikael Karlssons (bisweilen auch ein wenig nervigem) 80er Jahre TV-Serien-Soundtrack ist „Ich, ich, ich“ zu hören. Late-night-Shows, Foto-Shootings mit Riesenkameras. Wir merken schnell – nicht selten bringt Ekman ja auch den „Holzhammer“ zum Einsatz: Elysium war gestern, wir sind in der Social-Media-Welt von heute. Die Möglichkeiten zwischen den Extremen Altruismus und Egomanie soll das begeisterte Publikum selbst suchen. Man applaudiert stehend: Hammer!
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