Mannheimer Kinos

Geschäftsführer: „Eine komplette Schließung des Mannheimer Cineplex ist in der Diskussion“

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Mannheim. Frank Noreiks, Geschäftsführer der Filmtheaterbetriebe Spickert in Mannheim, schlägt Alarm: Das Cineplex auf den Planken stehe vor dem dauerhaften Aus. Etwas Hoffnung machen Pläne zum Thema Autokino in Mannheim.

Herr Noreiks, als Geschäftsführer der Filmtheaterbetriebe Spickert sind Sie verantwortlich für die beiden größten Mannheimer Kinos, Cinemaxx und Cineplex. Beide Häuser sind seit mehr als vier Wochen geschlossen, Sie liefern jetzt Popcorn aus. Ist die Lage so ernst?

Frank Noreiks: Die Lage ist bedrohlich für unsere Kinos in Mannheim, die Kinos an sich und die kulturelle Vielfalt einer Stadt wie Mannheim ist gefährdet. Die Situation ist hier eine besondere, und hier muss ich etwas ausholen.

Da geht es Ihnen um die Bedeutung Ihrer Häuser für die Stadt, nehme ich an.

Noreiks: Genau. Wir betreiben seit vielen Jahren das Cineplex Planken als unser Urspungshaus sowie seit der Übernahme aus der Cinemaxx Gruppe das Cinemaxx Mannheim, seit 2004. Für uns war dieser Schritt mit Sicherheit keine „Liebesheirat“, sondern ein Schritt zur Verbesserung der Konkurrenzsituation der beiden Kinos in der Innenstadt. Mit 18 Leinwänden betreiben wir ambitioniertes Kino auf einem hohen Niveau. 18 Leinwände mit wöchentlich 750 Vorstellungen stellen uns jede Woche vor die Herausforderung, vielfältig und betriebswirtschaftlich zugleich zu arbeiten - und das immer unter Berücksichtigung unserer Besucherwünsche. Unter dem Strich bringen wir damit knapp eine Million Besucher in die Stadt, die auch gastronomisch vor oder nach den Kinobesuchen in Mannheim verweilen. Am Wochenende gerne auch die Pfälzer Familie, die neben einem Einkaufstag auch ins Kino geht. Mit Blick auf die Metropolregion Rhein Neckar verschärft sich unsere Konkurrenzsituation durch die Vielzahl an Kinos in unmittelbarer Nähe. Insbesondere sind dies Kinopolis Viernheim, Cinestar Ludwigshafen und der 2017 eröffnete Luxor-Filmpalast Heidelberg.

Inwiefern? Konkurrenz gibt’es doch überall.

Noreiks: Natürlich. Aber insgesamt bietet die Metropolregion Rhein-Neckar mit den genannten Kinos 54 Leinwände mit im Schnitt 216 Vorstellungen am Tag. Umgerechnet sind dies 12 314 Einwohner pro Leinwand. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 16 700 Einwohnern. Die Zahlen belegen die extrem hohe Leinwandkonzentration. In normalen Zeiten ist dies mit viel Geschick zu meistern. Nur was ist gerade normal in einer Ausnahmesituation? Zudem liegen Jahre hoher Investitionen hinter uns. Denken Sie daran, dass wir in den letzten Jahren all unsere Kinos digitalisiert haben. Vor über zehn Jahren haben wir dem Cineplex Planken ein frisches Facelifting gegeben. Das Cinemaxx Mannheim haben wir in den letzten fünf Jahren grunderneuert. Mit Blick auf unsere anderen Standorte haben wir unser Kino in Bruchsal komplett innen und außen renoviert und neugestaltet sowie um zwei weitere Säle für die Programm-Vielfalt erweitert. Das Cineplex Neustadt kam 2018 dazu. Eine fünfjährige Planung konnten wir mit zehn Sälen plus Gastronomie mit 500 Sitzplätzen umsetzen. Mit Blick auf Mannheim stehen wir als einer der innovativsten Kinobetreiber in Deutschland da.

Woran machen Sie das fest?

Noreiks: Wir sind Pionier in der alternativen Nutzung unserer Säle, außerhalb des regulären Filmangebotes. Die Mannheimer Aufführungen von Klassik- und Sportübertragungen sowie Dokumentationen und sonstige Events gelten für viele andere Kinobetreiber in Deutschland als Maßstab für ein gutes und vielfältiges Programm. Wir liegen somit in Mannheim auf dem Niveau der großen Metropolen Deutschlands wie zum Beispiel Berlin. Wir sind dabei immer bestrebt, das Kino der Zukunft schon heute zu bieten.

Jetzt liefern Sie Popcorn aus.

Noreiks: Popcorn und andere Artikel aus unserem Sortiment nach Hause zu liefern sowie unser Streaming-Dienst sind eine realistische und sinnvolle Alternative in der jetzigen Phase. Was sollen wir anderes machen? Kreativität ist gefragt und natürlich auch motiviertes Personal. Wir befinden uns zwischen freiem Fall und einem Schwebezustand. Keiner weiß, wie lange wir uns noch im Winterschlaf befinden müssen. In der Tat haben wir aber alles andere als Winterschlaf. Hinter den Kulissen wird auch Hochtouren gearbeitet. Der Popcorn-Lieferservice sowie unser Streamingdienst für Filme zu Hause motivieren unsere Mitarbeiter. Das reguläre Geschäft können wir dadurch nicht ersetzen. Die Ungewissheit der Lage ist das, was uns umtreibt. Sie können noch so viel Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Es sind persönliche Schicksale, die damit verbunden sind. Wir sind kein Konzern. Wir kennen unsere Mitarbeiter - das ist für uns das höchste Gut. All das, was mit den Maßnahmen verbunden ist, fällt uns nicht leicht. In Mannheim haben wir rund 130 Mitarbeiter beschäftigt. Hinzu kommen knapp 100 für die Standorte Neustadt (ohne die Gastronomie) und Bruchsal. Wie haben aber Fixkosten, die anfallen, die Filmverleiher haben das erste Quartal abgerechnet und und und. Im Grunde steht das; wofür wir die letzten Jahre gearbeitet haben, vor dem Ungewissen oder vor einem Aus.

Im Vorgespräch haben Sie angedeutet, dass Sie vermutlich das Cineplex, nicht halten können, wenn sich die Situation nicht ändert. Bei welchem Szenario?

Noreiks: Dazu muss man die Grundsituation der Kino-Branche verstehen. Anders als in anderen Branchen, die kurzfristig zweifellos ebenfalls schwer von der Pandemie und der damit verbunden Krise betroffen sind, besteht für Kinos keine Chance, verlorene Umsätze nachzuholen. Dies wäre allenfalls denkbar, wenn es zu einer Sonderkonjunktur käme, was nach der Lage der Dinge ausgeschlossen werden kann. Bereits seit Anfang März waren die Besucherzahlen aufgrund einer ständig steigenden Verunsicherung in der Bevölkerung stark rückläufig. Die Rückgänge gegenüber dem Vorjahr als Vergleichsmaßstab lagen bis zu 75 Prozent. Diese Phase hat insofern bereits schwere Verluste hinterlassen. Gegenüber einer am Mittelwert der Jahre 2017 bis 2019 definierten Besuchererwartung von bundesweit rund 115 Millionen Kinobesuchern. Im Gesamtjahr unterstellt unser „Corona-Szenario“ einen auf etwa 75 Millionen sinkenden Kinobesuch in 2020 bundesweit, wovon in den Monaten Januar bis März rund 23,5 Millionen bereits realisiert wurden.

Kann man die Verluste beziffern?

Noreiks: Es fehlen somit rund 40 Millionen Besucher in den deutschen Kinos, und der nicht vermeidbare Verlust liegt nach unseren Berechnungen in einer Größenordnung von rund 186 Millionen Euro nur für die Kinobranche. In der Dimension „Finanzlücke je fehlendem Besucher“ ergibt sich auf der Makroebene ein Wert von rund 4,62 Euro je fehlendem Besucher. Dies resultiert letztlich daraus, dass sich die Betriebskosten je Besucher selbst bei einer Schließung der Betriebe nicht auf null reduzieren lassen, sondern Grundkosten in erheblicher Höhe verbleiben. Wir alle hoffen auf den Tag einer möglichen Wiedereröffnung unserer Kinos, auch wenn diese mit Einschränkungen verbunden ist. Hier wartet eine weitere Herausforderung auf uns.

Meinen Sie das weitgehende Fehlen von großen Blockbustern im restlichen Kinojahr? Der neue Bond wurde verschoben, Disney lässt seinen „Mulan“-Nachfolger wohl nur auf dem neuen hauseigenen Streaming-Kanal laufen.

Noreiks: Richtig. Einzelhändler und Modehäuser haben ihre Lager voll, warten auf eine baldige Wiedereröffnung und können mit einem sofortigen Verkauf der Ware beginnen. Wir hingegen sind vom Lizenzgeschäft der Filmverleiher und der angebotenen Filmware abhängig. Die Verleiher haben entschieden, ihre Starts auf Winter 2020 oder ganz auf 2021 zu verschieben. Das Angebot für diesen Sommer war im Vorfeld schon durch die geplante Fußball-EM vom Grunde her sehr ausgedünnt. Das heißt für uns konkret, dass selbst bei einer baldigen Hausöffnung ein entsprechendes Filmangebot zur Versorgung unserer 18 Leinwände fehlt. Wir gehen daher zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass sich das Filmangebot erst ab November 2020 „normalisiert“. Wie sollen wir denn diese Durststrecke bis November überstehen?

Wie konkret bedroht dieses Szenario das Cineplex?

Noreiks: Daher ist es im Moment eine konkrete Überlegung, das Cineplex-Planken in jedem Fall erst zum Herbst zu öffnen. Eine komplette Schließung ist bei uns in der Diskussion. Umso wichtiger ist eine frühe Bekanntgabe eines möglichen Eröffnungstermines, damit auch Filmverleiher planen können. Nicht nur wir Kinobetreiber.

Wie wahrscheinlich ist eine komplette Schließung?

Noreiks: Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Wir ziehen alle nötigen Schritte in Erwägung. Als Zweckobjekt ließe sich hier auch nichts anderes als Kino etablieren. Im schlimmsten Fall würde das Kino dann von ausländischen Investoren betrieben und von dort gesteuert werden. Dieser Schritt liegt uns fern. Aber wir ziehen alles in Betracht.

Greifen denn die Hilfen bei Ihnen nicht? Sie haben ja auch Kontakt zur Stadt gesucht - was wurde Ihnen angeboten?

Noreiks: Bis jetzt greifen die Hilfen nicht. Wir fallen bisher durch sämtliche Raster von Sofortmaßnahmen und KfW-Krediten. Wir reichen im Moment einen Antrag bei der Stadt Mannheim für kommunale Kulturförderung ein. Das warten wir noch ab. Hier hat die Stadt verstanden, Kultur als urbanes Instrument eins vielfältigen Angebots einer Stadt zu sehen.

Welche Hoffnungen setzen Sie auf weitere Lockerungen, bei denen der Kulturbetrieb bisher außen vor bleibt? Vor dem Shutdown haben Sie ja schon ein Konzept zu praktizieren versucht, bei dem Kinobesucher Plätze mit Abstand zugewiesen bekommen, die Saalkapazitäten bei weitem unterschritten werden und es auch nicht zum gewohnten Andrang an den Kassen kam.

Noreiks: Wir hoffen natürlich auf eine baldige Öffnung unserer Säle. Bereits vor der Komplett-Schließung haben wir weitreichende Vorkehrungen getroffen zum Schutze unserer Mitarbeiter und Kunden. Unsere Ticketsysteme haben wir entsprechend programmieren lassen. Besucher sitzen grundsätzlich auf Lücke zum Nachbarn. Sprich jeder neue Kauf sitzt auf Abstand zum Vorkäufer. Eine maximale Besucherzahl pro Saal ist individuell einstellbar. Wenn es eine Vorgabe von zum Beispiel 50 Personen pro Saal gäbe, kann auch nur das verkauft werden. Vorstellungszeiten werden so entzerrt, dass Warteschlangen an den Kassen und Theken entfallen. Von dem abgesehen bieten wir schon seit langem das Online-Ticketing für einen kontaktfreien Zugang in die Säle. Hygienestationen in den Foyers und den sanitären Anlagen. Abstandsmarkierungen an Kassen, Theken und Einlass sind selbstverständlich. Sicherheitspersonal überwacht die Einhaltung des Standards vor Ort. Wir haben bereits einen „Corona-Beauftragten“ abgestellt, der für einen einheitlichen, hohen Standard in unseren Kinos sorgt. Spannend ist für uns zu sehen, unter welche Rubrik bei den Öffnungsterminen „Kino“ fällt.

Das heißt?

Noreiks: Wenn wir allgemein unter Veranstaltungen eingruppiert werden, fühlen wir uns deutlich falsch verstanden. Kino ist unter den genannten Maßnahmen keine Massenveranstaltung, die unkontrolliert abläuft. Wenn Einzelhändler wieder unter Einschränkungen öffnen dürfen, dann bitte auch die Kinos. Wir fordern daher die Politik auf, die Kinos schnell und geregelt wieder an den Start zu bekommen. Alles andere wäre eine Ungleichbehandlung und nicht zu erklären.

Ist die Hoffnung realistisch?

Noreiks: Ich befürchte nein. Wir betreiben bei Stadt, Land und Bund im Moment Lobbyarbeit. Wir können natürlich nicht für alle Kinos in Deutschland sprechen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Warten wir die Ereignisse der kommenden Tage ab. Wir können natürlich nicht vorhersagen, wie groß der Andrang bei einer Öffnung sein wird. Mit Sicherheit wird es gewisse Ängste bei Besuchern geben, die wir durch unser Sicherheitskonzept aus dem Weg räumen wollen. Wir glauben aber, dass kleine und mittelstarke Filme überdurchschnittlich gut laufen könnten. Eine vorgegebene maximale Besucherzahl pro Saal wäre für uns das kleinste Übel. Lieber unter Auflagen früher öffnen, als bis zum Herbst warten. Dann ist die Kinokultur komplett ausgetrocknet.

Eine Alternative bis in den Spätsommer könnten - wie jüngst in Heilbronn frisch etabliert - Autokinos sein. Da sollen in Mannheim schon mehrere Akteure Planungen angestoßen haben, bei denen Ihr Know-how vermutlich gefragt ist. Wann und wo könnte das losgehen?

Noreiks: Im Moment schlagen tatsächlich einige Akteure auf, die in Mannheim und Region gerne Autokino betreiben wollen. Das zeigt das Bedürfnis der Leute, aus dem Haus zu gehen und Kino zu schauen. Das wird natürlich nur unter Auflagen gehen: Zwei Personen pro Auto, großer Abstand zwischen den Wagen und vieles mehr. Jetzt hängt es davon ab, wer hier den Zuschlag erhält. Wir selbst wollen hier nicht als Veranstalter auftreten. Wir müssen uns auf unsere Kinos konzentrieren, darauf, diese baldmöglichst wieder aufmachen zu können. Eine Investition in dieser Richtung ist für uns im Moment nicht vorstellbar. Allerdings sind wir mit Sicherheit ein geeigneter Partner zum Thema Filmauswahl und Disposition. Diverse Gespräche sind am Laufen.

Im Autokino wären ja auch Konzerte, Lesungen und vergleichbares Kulturprogramm denkbar, oder?

Noreiks: Das ist grundsätzlich denkbar. Das geschlossene Auto bietet wohl einen geschützten Rahmen, solange Fenster geschlossen bleiben. Daher bietet sich durchaus auch ein kulturelles Rahmen-Programm an. Gottesdienste, Konzerte und so weiter bieten sich sehr gut an. Aber das muss natürlich ausgearbeitet und von der Stadt abgesegnet werden. Spannendes Thema. Wobei ich davon ausgehe, dass das Thema Autokino auch nur dieses Jahr funktionieren wird.

Kann das helfen, dass die Mannheimer Kinolandschaft die Corona-Krise halbwegs unbeschadet übersteht? Oder was muss sonst noch zwingend passieren?

Noreiks: Es hilft auf jeden Fall, das Thema Kino am Leben zu halten. Finanziell ist das keine Entschädigung für geschlossene Kinos. Daher kann ich mir sehr gut vorstellen, dass eine Zusammenarbeit verschiedener Player zum Thema Autokino genau richtig ist. Kompetenzen bündeln. Ungewöhnliche Zeiten fordern eben auch ungewöhnliche Schritte. Was man im Übrigen nicht vergessen darf: Das Kino ist ein wichtiger urbaner Faktor für eine lebendige Stadt. Wir sind eine der wenigen Betriebe, die täglich Menschen an den Abendstunden in der Stadt hält.

Zur Person

  • Frank Noreiks, geboren 1965, betrat 1996 die Kinolandschaft der Region: als Betriebsleiter des neu eröffneten Kinopolis Viernheim.
  • Von 2000 bis 2003 war er Geschäftsführer bei CineArt/Kinopolis national, seit 2011 arbeitet er bei den Filmtheaterbetrieben Spickert.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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