Das Interview

„Gelebte Identifikation mit Europa“ - 60 Musikerinnen und Musiker aus 16 Ländern in Mannheim

Am 26. und 27. August spielt die European Youth Orchestra Academie in Schwetzingen und Mannheim. Im Interview spricht Dirigent Jan-Paul Reinke über das Projekt mit 60 Musikerinnen und Musiker aus 16 europäischen Ländern.

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Stefan M. Dettlinger
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Imposant posiert vor den Steinen des Mannheimer Wasserturms: EYOA-Dirigent Jan-Paul Reinke. © Manfred Rinderspacher

Am 26. und 27. August gehen sie auf die Bühne. In Schwetzingen. In Mannheim. Doch noch kennen sich die 60 Musikerinnen und Musiker aus 16 europäischen Ländern gar nicht. Erst in einer Arbeitsphase werden sie in Mannheim bei der European Youth Orchestra Academy (EYOA) zusammenkommen und zusammenfügen, was zusammen gehört: Musik. Jan-Paul Reinke, der in Mannheim auch das Jugendsinfonieorchester leitet, probt, betreut und dirigiert das EYOA und ist sich sicher: „Die Aufgeschlossenheit Jugendlicher und eine kleine Portion Mitteilungsbedürfnis überwinden sprachliche Barrieren enorm schnell.“

Herr Reinke, Sie veranstalten im August das European Youth Orchestra Academy. Was steckt hinter diesem Projekt?

Jan-Paul Reinke: Grundgedanke ist, europäische jugendliche Musikerinnen und Musiker zu einer Arbeitsphase in die Musikstadt Mannheim einzuladen und ein sinfonisches Programm zu erarbeiten. Dem Initiator Michel Maugé, seinem Team sowie den Ausrichtern Rotary Club Mannheim Rhein-Neckar, der Musikschule Mannheim und Kultur@home Metropolregion Rhein-Neckar e.V. ist es ein großes Anliegen, Jugendliche aus möglichst vielen Ländern einzuladen und so neben der musikalischen Entwicklung auch die Völkerverständigung und Vermittlung europäischer Werte zu fokussieren.

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Wie viele Nationalitäten sind es?

Reinke: 2019 waren es 31 Teilnehmende aus zehn EU-Ländern, für 2022 sind es 60 aus 16 europäischen Ländern!

Gibt es da nicht auch Kommunikationsprobleme?

Reinke: Im Allgemeinen finden sich Jugendliche, die eine gemeinsame Leidenschaft teilen, auch sprachlich sehr schnell. In der Online-Academy 2022 durften wir beeindruckende Konversationen erleben, musikalisch oder auch politisch. Die Aufgeschlossenheit Jugendlicher und eine kleine Portion Mitteilungsbedürfnis überwinden sprachliche Barrieren enorm schnell. Zudem haben alle ja die Musik als verbindende Kraft.

Wie kulturell nachhaltig ist das Projekt?

Reinke: Ich glaube, dass in einer Welt, wie sie sich uns heute darstellt, die realen Begegnungen wichtiger sind denn je. Werte wie Freiheit, Akzeptanz oder Verständnis für unterschiedliche kulturelle Backgrounds werden nur im direkten Austausch und hier mit dem verbindenden Element Musik erfahrbar. Europa hat nur eine Zukunft, wenn wir miteinander ins Gespräch kommen. Dafür einen Raum zu schaffen und das Gemeinschaftserlebnis Orchester zu ermöglichen, schafft für Jugendliche die Grundlage einer gelebten Identifikation mit Europa, der eigenen Kultur und entfacht im besten Falle einen Funken zur aktiven Mitgestaltung der Zukunft des Kontinents.

Reinke und die Akademie

 

Jan-Paul Reinke: Geboren ist der dirigent 1985 in Mannheim. er studierte Orchesterdirigieren (im Masterstudiengang mit Schwerpunkt Oper) an der HfMT Köln. Heute dirigiert er das Jugendsinfonieorchester Mannheim, das Stamitzorchester und Gastdirigent. Seit 2017 Lehrauftrag für Orchesterleitung an der MH Freiburg

Konzerte der Academy: Freitag 26. August, um 20 Uhr auf der Seebühne im Luisenpark Mannheim. Am Samstag, 27. August, um 20 Uhr im Rokkokotheater Schloss Schwetzingen.

Karten: www.eventim.de & Capitol Mannheim, karten@capitol-mannheim.de.

Bei dem Thema werden Sie ja so richtig leidenschaftlich…

Reinke: … nun ja, ich bin einfach davon überzeugt, dass man in seinem Umfeld anfangen muss, Dinge zu verändern. Musik ist ein Medium, dass keiner Worte bedarf und mit dem man beginnen kann, Ideale zu vermitteln und vielleicht sogar ein Stück weit zu verwirklichen …

Wie unterschiedlich ist die musikalische Vorbildung in den verschiedenen Ländern? Und das Niveau? Können deutsche Jugendliche international noch mithalten?

Reinke: Diese Frage ist spannend. Wir konnten in den vergangenen Jahren immer wieder beobachten, dass aus Spanien und Portugal besonders starke Holzbläser kommen. Dies hat sicher auch mit der Blasorchestertradition dort zu tun. In osteuropäischen Ländern ist ein größerer Streicheranteil erkennbar. Das Niveau insgesamt ist hoch. Ich würde aber sagen, dass die Deutschen absolut mithalten können. Hier könnte man den Vergleich zum Jugendsinfonieorchester Mannheim bemühen, aus dem jedes Jahr erneut Bundespreisträger bei Jugend musiziert hervorgehen. Die gezielte Spitzenförderung bleibt unabdingbar, wollen wir dieses Niveau halten.

In der musikalischen Spitze sieht es aber anders aus. Ein Blick in deutsche Musikhochschulen reicht da. Der Anteil deutscher Studenten wird dort immer kleiner…

Reinke: So ist es! In vielen Fällen entscheiden sich Jugendliche heute gegen ein Musikstudium, da damit eine „unsichere“ Zukunft in finanzieller Ungewissheit verbunden wird. Viele Elternhäuser äußern Bedenken bei einem Studienwunsch im künstlerischen Bereich. Dazu hat Corona sein Übriges getan. Andere haben Angst vor dem weltweiten Konkurrenzkampf bei Aufnahmeprüfungen. Die Weichen, ob später ein Musikstudium möglich ist oder nicht, werden bereits sehr früh in der Kindheit gestellt. Da braucht es Elternhäuser, die das Talent ihrer Kinder umsichtig fördern und begleiten, und vor allem Musikschulen, die auch in Zukunft ihren Fokus auf die klassische Instrumentalausbildung wieder intensivieren.

Mitunter wird behauptet, es habe etwas mit Wohlstand …

Reinke: Nicht auszuschließen. Durch G8 sind Schulabgänger sehr jung und gerade in der musikalischen Ausbildung „fehlt“ ein Jahr. Die kreative Entfaltung bleibt da meiner Beobachtung nach etwas auf der Strecke. Auch der Mut zur eigenen Courage, etwas zu riskieren oder einfach auszuprobieren, nimmt ab. Unsere Gesellschaft definiert sich mehr und mehr über materielle Werte. Da hat Musik vielleicht einen schwereren Stand. Umso wichtiger, dass wir musikalische Abenteuer wie unsere EYOA durchführen und Wege zur Musik aufzeigen.

Wie ist im EYOA die deutsche Jugend vertreten - also prozentual?

Reinke: Mit zehn bis zwölf Prozent.

Und wie läuft das, wie wird man Teil des Projekts? Gibt es da ein Vorspielen wie in Profiorchestern?

Reinke: Aufgrund der europaweiten Ausschreibung sind wir auf eine Online-Audition angewiesen. Bewerberinnen und Bewerber zwischen 14 und 18 mussten einen Satz einer klassischen Sonate und Orchesterstellen aus dem zu erwartenden Programm ohne Video- und Tonschnitt hochladen. Das wurde dann von einer Fachjury, den Dozenten der Academy, per Punktesystem bewertet. Die mit den meisten Punkten haben sich durchgesetzt. Dabei kristallisierten sich auch schon potenzielle Konzertmeister und Stimmführer heraus, so dass das Orchestergerüst recht früh Konturen annahm.

Und jetzt haben Sie Ihre Traumbesetzung zusammen, oder hat der Ukraine-Krieg noch einen Strich durch die Rechnung gezogen?

Reinke: Traumbesetzung ist ein großes Wort. Wir haben alles besetzt, haben Stimmführungspersönlichkeiten an Bord. Das Grundgerüst steht, wirkt stimmig, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir ein wunderbares Kollektiv formen werden. Das Spannende ist ja, dass wir am ersten Tag eine Art Blackbox öffnen und sich dann zeigen wird, wohin die Reise geht. Wir konnten nun sogar noch in Mannheim lebenden jungen ukrainischen Musikern die Teilnahme ermöglichen. Darüber bin ich sehr glücklich und hoffe, dass wir so einen kleinen aber unmittelbaren Beitrag zur Integration leisten.

Wohin geht es denn musikalisch?

Reinke: Wenn man eine solche Academy in der UNESCO City of Music Mannheim ausrichtet, kommt man um die Mannheimer Schule nicht umher, die außerhalb Deutschlands übrigens weitaus bekannter ist als im eigenen Land. Wir starten also mit der Ouvertüre von Ignaz Holzbauer „Günther von Schwarzburg“, die Mozart zu seiner Zauberflöten-Ouvertüre inspirierte. Und der von Mannheim begeisterte Mozart liefert uns dann sein Violinkonzert Nr. 5, A-Dur, gespielt von der Schweizer Violinistin Simone Meier. In der zweiten Hälfte erklingt Beethovens 7. Sinfonie, ursprünglich eigentlich fürs Beethoven-Jahr 2020 geplant, als alles coronabedingt ausfallen musste. Im Konzert auf der Seebühne wird die Sinfonie als Crossover-Projekt mit dem Elektro-Klangkünstler und DJ Jimmy Joel Eyrich, Absolvent der Pop-Akademie, gemeinsam aufgeführt - eine weitere Hommage an Mannheims vielseitige Musikwelt, die viel zu selten zusammengeführt wird. Das wird spannend!

Beethoven als Crossover-Projekt und Hommage an Mannheim? Wie denn das?

Reinke: Ein Jugendorchester stellt ja immer die neue Generation dar. Klassische Musik hat sich zwar meist recht langsam verändert, kann sich dem Wandel aber auch nicht entziehen. Mannheim steht oft mit Pop-Musik im Fokus, seine klassische Tradition eher im Schatten. Die klassische Musik ist ohne Mannheim in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Karl Theodor, die Hofkapelle und die Komponistenriege um Stamitz, nicht in ihrer heutigen Form denkbar. Insofern versuchen wir, alle musikalischen Strömungen, die Mannheim in seiner Historie ausmachen, zu bündeln und in einem neuen Werk zu vereinen.

Das hört sich nach einer wilden Mischung an …

Reinke: Das wird es! Ich freue mich auf das Orchester aber genauso auf zahlreiche aufgeschlossene und interessierte Zuhörer und kann nur herzlich einladen, die Konzerte am 26. & 27. August zu besuchen und sich auf zwei herrliche Sommerabende mit jugendlicher orchestraler Spielfreude zu freuen. Ich bin mir sicher: Es wird ein besonderes musikalisches Fest!

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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