Pop - Provokation als Marketingstrategie – zum Wochenende legte Social-Media-Star Katja Krasavice ihr zweites Album vor

„Eure Mami“ rappt über Sex und Selbstbestimmung

Von 
Anna Suckow
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Inszeniert sich als Sexbombe: Rapperin Katja Krasavice. © Antun Filipovic

Am Freitag hat die deutschsprachige Rapperin und Influencerin Katja Krasavice ihr zweites Album herausgebracht und zelebriert sich auf dem Cover ziemlich nackt, ziemlich prall und mit zufrieden trinkendem Baby an der Brust als „Eure Mami.“ Provokation mit Kalkül. Sie haut mit den Waffen ihrer männlichen Genre-Genossen um sich. Derbe Sprache, viel Bling, wenig lyrischer Anspruch. Ist das progressiv? Mitnichten. Doch es lohnt sich trotzdem hinzuhören.

In der misogynen Welt des deutschen Proll-Raps ist Katja Krasavice noch krasser als ihre Kollegen. Sie bezeichnet sich als „Bitch“, inszeniert sich als Objekt, als feuchten Traum eines durchschnittlich fantasievollen Teenagers. Und legt gleichzeitig Wert auf feministische Selbstbestimmung. Außen künstlich, innen herzlich: Wie paradox ist diese Frau, die so hart dafür kämpft, ein Klischee sein zu dürfen?

Bekannt wurde die Hübsche – so der Künstlername übersetzt – mit einem Youtube-Kanal, in dem sie über Sexualität plauderte. Es folgten Trash-TV-Formate, Schönheits-OPs, ein Vertrag bei Warner Music.

Erste Single auf Platz eins

Nach wackeligen ersten Gehversuchen im Deutschrap („Doggy“) hat sie Fuß gefasst. Ihr Debüt-Album „Boss Bitch“ schoss vor einem Jahr auf die Eins, ihr Buch „Die Bitch Bibel“ prangte wenig später von der „Spiegel“-Bestsellerliste. Mit „Eure Mami“ schlägt sie nun ein neues Kapitel auf. Etwa der opulente Opener „Million Dollar A$$“, inklusive Lil’Kim-Referenzen, der uns eine Kollaboration mit Fler beschert. Ausgerechnet der teutonische Brunft-Rapper, der stets um seine fragile Männlichkeit besorgt zu sein scheint, scharwenzelt im dazugehörigen Video im regenbogenfarbenen Pelzmäntelchen um Krasavice herum. Oder ihre Nummer-1-Single „Highway“ mit Elif; eine Ode an die Freiheit starker Frauen. So rund produziert, dass sie im Kopf erst ein paar Runden drehen muss, bevor sie wieder davon saust.

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Die 14 Stücke sind an die Hörgewohnheit der Zielgruppe angepasst keine drei Minuten lang. Insgesamt etwas über eine halbe Stunde poppiges Hip-Hop-Entertainment ohne große Raffinesse, aber mit viel Karacho. Doch ist das neue Werk inhaltlich vielschichtiger. Songs wie „Ich seh“ entblättern zur Abwechslung Krasavices Innenleben; beinhalten Themen wie Mobbing, Gewalt in der Familie oder den Tod ihrer beiden Brüder. Damit eröffnet sie sich neue Fans. Die schillernde Projektionsfläche wird plötzlich nahbarer, verletzlicher. Ein Schritt, der sich auszahlt.

Über die Musik redet niemand

Allein die auf 12.500 Stück limitierte Deluxe-Edition des Albums (Preis: 60 Euro) war im Vorfeld ausverkauft. In Zeiten ausgefallener Konzerte lassen solche Einnahmequellen die Kasse klingeln. Und so ist zur Album-Veröffentlichung Krasavices Puppengesicht überall im Netz. Aufschrei über ihr nacktes Porträt an einer Hauswand in Berlin-Lichtenberg, Schlagzeilen über ihren Twitter-Stress mit Kollegin Juju, Gekicher über den Vibrator in der Fan-Box. Über die Musik redet erst mal niemand. Das ist in Katja Krasavices Rechnung sicher auch einkalkuliert. Hier gilt Form vor Inhalt. So funktioniert Marketing im Sinne einer selbst ernannten Boss-Bitch.

Redaktion

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