Von Loredana bis Haiyiti – Frauen in der deutschsprachigen Hip-Hop-Szene waren noch nie so erfolgreich. Den Weg dahin ebnete auch die Heidelbergerin Cora E.

Die Zukunft des deutschen Raps ist weiblich

Von 
Anna Suckow
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Gehört zu den erfolgreichsten des Deutschraps: „Selfmade-Millionärin, Mama und Popstar“ Loredana. © Bobby / Groove Attack

Heidelberg. Machos vor dicken Autos, Gewaltverherrlichung und Sexismus: Lange waren im deutschen Hip-Hop Männer an der Macht. Doch eine Reihe weiblicher Künstlerinnen bringen Feminismus und Gleichberechtigung in die Charts. Der Weg dahin war steinig. Geebnet haben ihn vor über zwanzig Jahren Rapperinnen wie die Heidelbergerin Cora E.

„Ich bin Selfmade-Millionär, Mama und Popstar. Ich kaufe einen Kindersitz für meinen Porsche Boxster“ rappt Loredana unterkühlt auf ihrem derzeit auf Platz 15 der Charts platzierten Album „Medusa“. Die 25-jährige Schweizerin mit 2,8 Millionen Instagram-Abonnenten ist die in Deutschland meistgestreamte Musikerin auf Spotify – vor Billie Eilish (Platz 3).

Ihr neues Werk enthält zwölf genretypisch kurze Stücke, die sich thematisch beim oberflächlichen Hören kaum unterscheiden von ihren männlichen Pendants. Es geht um Geld, Geltungsdrang und klassisches Gangstergehabe. In diesem Jahr hat die Staatsanwaltschaft Luzern die Ermittlungen wegen Betrugs gegen die Rapperin eingestellt. Sie und die Frau, die Anzeige erstattet hatte, einigten sich außergerichtlich, es floss viel Geld. Auf Twitter trendete daraufhin der Hashtag „BoycottLoredana“.

Bigotter Umgang mit Kriminalität

Auch der Rapper Gzuz hatte 2020 juristische Schwierigkeiten. Der Frontmann der Hamburger Hip-Hop-Gruppe 187 Strassenbande habe Waffen und Drogen besessen, stellte das Amtsgericht Hamburg fest. Nach seiner Verurteilung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten fluteten „Freegzuz“-Postings das Social Web. Die Reaktionen zeigen den bigotten Umgang der hiesigen Fangemeinde mit Kriminalität.

Die als Youtuberin bekanntgewordene Shirin David platzierte 2019 mit „Supersize“ erstmals ein Soloalbum einer deutschen Rapperin auf Platz eins der Charts. Seitdem kämpft sie mit sexistischen Anfeindungen. In „Babsi Bars“, einem am Sonntag veröffentlichen Video (725 234 Aufrufe nach 24 Stunden), rappt sie sich in knapp zweieinhalb Minuten den Frust von der Seele.

Ebenfalls 2019 gelang der ehemaligen SXTN-Rapperin Juju der große kommerzielle Durchbruch: Ihre Single „Vermissen“ landete auf Platz vier der Jahrescharts und war damit nach „Roller“ von Apache 207 die erfolgreichste Deutschrapnummer.

Badmómzjay, Nura, Keke sind nur einige der Namen, die man sich für das kommende Jahr merken kann. Dass diese jungen Frauen trotz allem Gegenwind so erfolgreich sind wie nie zuvor, haben sie auch ihren Vorkämpferinnen zu verdanken. „Ich war bereit – das Feld weit besät von Jungs. Doch kaum ’ne Frau, die vorwärtsstrebt, einen Spruch hebt, das Herz auf der Zunge trägt”, beschrieb Cora E. 1997 die Lage. Die Kielerin zog extra nach Heidelberg, der damaligen Hip-Hop-Hochburg. Um sie herum war es tatsächlich einsam, bis ein Jahr später im nicht weit entfernten Frankfurt Sabrina Setlur eine neue Art des Raps ins Land brachte. Sie war femininer und zugleich aggressiver – und damit kommerziell erfolgreicher.

Dass harter Rap und Feminismus kein Widerspruch sein müssen, zeigte auf fast unbarmherzige Art Mitte der 2000er-Jahre Reyhan Sahin. Als Lady Bitch Ray setzte sie der zu diesem Zeitpunkt stark misogyn entwickelten deutschsprachigen Szene den Spiegel vor. Heute schreibt die promovierte Linguistin Abhandlungen über Diskriminierung im Hip-Hop und in der Wissenschaft.

Ob Shirin David, Katja Krasavice oder Antifuchs – expliziter Rap in teils aufreizenden Posen mag eine herausfordernde Form des Feminismus sein. Fakt ist, dass diese Frauen klassische Narrative der androzentrischen Welt für sich beanspruchen. Ob die männlich dominierten Machtstrukturen dadurch der Vergangenheit angehören, sei dahin gestellt. Im Dezember letzten Jahres jedenfalls warf etwa die Rapperin Sookee desillusioniert das Handtuch. Dazu schrieb sie in einem Facebook-Post: „Feminismus ist ein Business geworden.“

Um das Thema Gleichberechtigung schlängelt sich Haiyiti einfach elegant herum. Stattdessen dreht sie ein Video in jener Villa auf Ibiza, in der sich der damalige österreichische Vizekanzler und Rechtspopulist Heinz-Christian Strache um Amt und Würde gebracht hatte.

Haiyti ist Liebling des Feuilletons

Nicht nur deshalb: Wenn Loredana der Star der Streamingdienste ist, dann ist Haiyti der ausgesprochene Liebling der Feuilletons. In der ersten Dezemberwoche brachte sie ihr neues Album „Influencer“ heraus, das zweite innerhalb von sechs Monaten. Es ist nicht die Ohrwurmschleuder, die „Sui Sui“ war, sondern vielmehr eine emotionale Offenbarung der Künstlerin, die mal als Fashionista, Gossenpoetin oder Kunststudentin gefeiert wird. Die clever verkürzten und verrenkten Texte betten sich auf einem traplastigen, avantgardistischen Rhythmus, geschmückt mit einfallsreich kuratierten Melodie-Samples aller Art.

Wie ein Jahresrückblick zeigen die Veröffentlichungen von Loredana, Shirin und Haiyti die Bandbreite des weiblichen deutschsprachigen Hip-Hops zwischen Kunst und Kommerz. Die Zukunft gehört ihnen und ihren Kolleginnen – auch wenn sie dafür mit harten Bandagen kämpfen müssen.

Musik

Die Deutschrapperin Loredana ist in der Szene auf dem Vormarsch

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Die Wegbereiterinnen



  • Cora E: Die Kielerin Cora E. zog 1992 nach Heidelberg. 1993 erschien ihr Debüt „Könnt ihr mich hör’n?“. Die Single „Schlüsselkind“ (1997) und ihre ein Jahr später veröffentlichte LP „CORAgE“ gehören zu den Bekanntesten.
  • Sabrina Setlur: Sabrina Setlur gelang der große Durchbruch 1995 als Schwester S. mit der Single „Ja Klar“ und dazugehörigem Album „S ist soweit“ (Platz 11 der Charts). 1997 folgte dann „Die neue S-Klasse“ unter richtigem Namen – inkl. No-1-Hit „Du liebst mich nicht“. „Aus der Sicht und mit den Worten von …“ erschien 1999; die Platte erreichte Platz 3 der Albumcharts. Die Alben „Sabs“ (2003) und „Rot (2007) konnten später nicht an frühere Erfolge anknüpfen. Bilder: Mika Vaisanen / Carstensen, dpa

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