Neulich raunte mir ein ranghoher Vertreter der Stadt Mannheim zu, der „Mannheimer Morgen“ würde so viele wichtige Themen nicht aufgreifen. Ich entgegnete dem Stadtvertreter, der „Mannheimer Morgen“ würde sich eben nur um die spannenden Themen kümmern. Da lachte er, und ich tat es auch.
Zumindest für diesen einen Moment war das Thema beendet. Schade eigentlich. Es hätte der Anfang einer Diskussion werden können, die weder Rathäuser, Ministerien, Konzerne, Verbände und Vereine noch Redaktionen in der nötigen Ernsthaftigkeit miteinander führen. Was dürfen wir voneinander erwarten – und was nicht? Stattdessen erleben Journalisten – gerade im Lokalen – zu oft noch, wie Amts- und Würdenträger wie eine Jury Noten vergeben für die unabhängige Arbeit von Redakteurinnen und Redakteuren – als sei eine Redaktion der verlängerte Arm ihrer Pressestellen.
Immer wieder ist zu beobachten, wie lokale Multiplikatoren von Zeitungen erwarten, dass sie springen, wenn sie rufen. Wenn eine Redaktion aber nicht springen will, wird ihr gern mal vorgeworfen, die Arbeit von relevanten Institutionen nicht adäquat abzubilden. Wir müssen uns dabei immer wieder selbst klar machen: Nur weil eine Person von Rang und Namen oder eine Institution etwas wichtig findet, ist es noch lange nicht relevant für unsere Leserinnen und Leser.
Wächter gegenüber der Politik
Dieses Spannungsverhältnis kennt noch eine andere Dimension: Die Redaktion vor Ort berichtet zwar, aber diese Berichterstattung gefällt nicht. Bürgermeister, Unternehmenslenker, Verbandspräsidenten, Vereinsvorsitzende können da schon mal unangenehm werden. Das ist in Ordnung. Denn unangenehm zu sein, ist auch unser Job.
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Schwer erträglich wird es, wenn Menschen an der Spitze von Organisationen jegliches Verständnis für unabhängige Medien verlieren. Wie geht man etwa mit dem Präsidenten eines Sportvereins um, der einen Reporter als „Hassprediger“ bezeichnet, weil dieser kritische Kommentare schreibt? Wir haben uns seinerzeit entschieden, über diese Entgleisung hinwegzusehen und weiter konzentriert und sachlich unseren Job zu machen. Frei nach Michelle Obama: When they go low, we go high.
Ignorieren ist aber nicht immer sinnvoll. Wir diskutieren natürlich mit Amtsträgern und Pressesprechern über unsere Arbeit, auch das gehört zu unserem Selbstverständnis. Wobei wir uns allmählich fragen, wie viel demokratische Basisbildung wir auch bei sogenannten Multiplikatoren inzwischen leisten sollen. Vielleicht müssen wir die folgenden Gedanken noch deutlicher, noch lauter, noch vernehmbarer formulieren: Die freien Medien haben eine Wächterfunktion gegenüber Politik, Wirtschaft und einflussreichen gesellschaftlichen Akteuren.
Der Ideen-Akku füllt sich nicht auf, indem man ständig und de facto fremdgesteuert Texte über Termine produziert
Über Jahrzehnte hieß es, Medien seien die vierte Gewalt neben der Legislative, Exekutive und der Judikative. Ich halte von diesem Bild nichts. Wir Journalisten stehen nicht in einer Kette mit den staatlichen Organen – sondern wir betrachten sie von allen Seiten als kritisch-konstruktive Begleiter, nicht als politische Akteure. Wir dienen nicht den Mächtigen, sondern dem Gemeinwohl. Wir stellen Öffentlichkeit her. Wenn wir Missstände sehen, benennen wir sie. Wir sind nicht da, um Termine zu besetzen. Wir machen Themenjournalismus. Wenn über einen Termin eine spannende Geschichte erzählt werden kann, dann passt es auch für uns. Wir als Redaktionen wirken mit dieser Haltung teilweise arrogant – aber zumeist unabsichtlich. Wir haben es allzu oft leider auch mit personellen Engpässen zu tun. Wir müssen härter priorisieren als je zuvor. Und manchmal trauen wir uns nicht, das in aller Ehrlichkeit zu erklären. Redaktionen wollen mehr Zeit für Recherchen haben und nicht von Termin zu Termin hetzen.
Ein Journalist braucht auch mal gedanklichen Leerlauf. Der Ideen-Akku füllt sich nicht auf, indem man ständig und de facto fremdgesteuert Texte über Termine produziert. Solche Abhandlungen interessieren unser Publikum so gut wie gar nicht. Das ist dann doppelt frustrierend. Lokalredaktionen brauchen zudem mehr Zeit für interne Debatten: Was ist wirklich interessant? Welche Geschichten wollen wir machen? Und wie wollen wir diese Themen angehen? Multimediales, teamübergreifendes Denken bleibt in der engen Taktung des redaktionellen Alltags häufig noch auf der Strecke.
An all dem wird erkennbar: Gerade der Lokaljournalismus verändert momentan sein Selbstverständnis. Warum? Weil wir richtig kämpfen müssen um neue Zielgruppen. Weil wir lernen müssen, und zwar dauerhaft, was jüngere Nutzerinnen und Nutzer von uns erwarten. Es gibt kein automatisches Interesse an lokalen und regionalen Inhalten. Wir müssen mit unseren Geschichten immer wieder Lust machen auf mehr. Daher wollen wir Dinge ausprobieren. Auch dafür brauchen wir personelle Ressourcen. Das gilt im Übrigen für alle Redaktionen, ob überregional oder lokal.
Das bedeutet einerseits: Pressestellen sollten sich nicht abhängig machen von unabhängigen Redaktionen. Sie sollten daher auch keinen Druck auf sie ausüben. Andererseits sollten Redaktionen sich immer wieder klarmachen, dass sie nicht der erste Kommunikationskanal der lokalen Politik und Wirtschaft zu sein haben. Je kleiner eine Kommune ist, je näher sich dadurch die lokalen Akteure sind, desto schwieriger wird diese beidseitige Unabhängigkeit.
Lasst uns lieber weniger Geschichten machen, aber die bitte gut begründet
Gleichzeitig wird uns oft vermittelt (und es zeigt unsere nach wie vor herausragende Stellung): Wenn von einem Ereignis nicht im „Mannheimer Morgen“ berichtet wurde, dann hat es in der breiten Wahrnehmung offenbar nicht stattgefunden. Wenn also Amts- und Würdenträger und ihre Pressestellen als Antwort auf die veränderte Haltung von Redaktionen mehr Direktkommunikation über die sogenannten Sozialen Medien betreiben, dann ist das per se noch nicht kritikwürdig.
Wir haben kein Problem damit, dass Institutionen verstärkt auf eigene ungefilterte Kanäle setzen. Problematisch wird diese Direktkommunikation von Politik und Unternehmen allerdings, wenn unabhängigen Medien Antworten auf Fragen verweigert oder verzögert gegeben werden, damit man parallel mit einem Social-Media-Post den gewünschten Spin rechtzeitig in die Welt setzen kann. Werden unabhängige Medien nur noch als lästig und als Störfaktoren der eigenen Kommunikationsstrategien wahrgenommen, wird die freie Presse beschnitten. Schlussendlich nimmt die Demokratie Schaden. Im Übrigen schaden sich gerade Amts- und Mandatsträger oft selbst mit ihren Social-Media-Postings, ohne es zu merken. Ihre Facebook- und Instagram-Präsenzen wirken mitunter wie öffentliche Arbeitsbeweise: Schaut alle her, wo ich wann mit wem war und Wichtiges getan und gesprochen habe. Manche belästigen dabei ihr Publikum mit derart erstaunlicher Irrelevanz, dass man sich unweigerlich fragt: Ist das noch Arbeit, die via Social Media dokumentiert wird? Oder ist das reine Social-Media-Profilierung mit dem Ziel, tatsächliche Tätigkeiten zu simulieren?
Was uns unterscheiden muss
Eine bittere Erkenntnis dabei lautet: Je mehr Substanz Politiker in Social-Media-Posts unterbringen, desto weniger Reaktionen erhalten sie. Je schlichter und populistischer ihre Botschaften ausfallen, desto höher das allgemeine Interesse. Viele Politiker bedauern selbst diese Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie – und füttern sie zugleich. Da kann ich nur sagen: Weniger ist mehr. Das gilt auch für Redaktionen. Lasst uns lieber weniger Geschichten machen, aber die bitte gut begründet, fundiert, informativ und am besten noch unterhaltsam. Nur so unterscheiden wir uns signifikant von unglaubwürdigen Nachrichtenquellen.
Für das Lokale gilt: Nur so werden wir langfristig als Qualitätsmedien mit einem klaren journalistischen Profil und als unabhängige Instanz ernst genommen – und zwar nicht nur von den Entscheidern aus Politik und Wirtschaft, von Vereinen und Verbänden, sondern vor allem von unseren Leserinnen und Lesern. Für sie arbeiten wir!
Anmerkung: Bei dem Text handelt es sich um den Impulsvortrag von „MM“-Chefredakteur Karsten Kammholz bei den Südwestdeutschen Medientagen in Landau am 29. Juni.
Vortrag Die Neuvermessung von Relevanz
Der Lokaljournalismus verändert sein Selbstverständnis – weniger Terminjournalismus, mehr recherchierte Themen. Das gefällt nicht allen. Ein Plädoyer für eine unangenehme Debatte.