Mannheim. Paul Gerlingers sieben neue Lieder sind zwar gerade frisch veröffentlicht auf der Digital-EP „Keine Kompromisse“. Trotzdem haben sie teilweise schon ein erstaunlich großes Publikum erreicht: Denn Mitte Juni ist der Mannheimer Songwriter in der bisher bewegtesten Woche seiner Musikkarriere mittwochs kurzfristig für das Vorprogramm des irischen Pop-Senkrechtstarters Dermot Kennedy beim Zeltfestival Rhein-Neckar eingesprungen und hat am Donnerstag für die Schweizer Indie-Pop-Ikone Sophie Hunger in der Alten Feuerwache eröffnet - bevor er am Freitag auf der Sommerbühne des Karlstorbahnhofs besonders tief in sein neues Repertoire blicken ließ. Wer dabei war, hat das Gros dieses neuen Kurzalbums des 26-Jährigen zwangsläufig noch gut im Ohr - wegen ihrer subtilen Eingängigkeit, die sich langsam, aber sicher ins Gedächtnis fräst. Aber natürlich auch wegen Gerlingers eindringlich tiefer Stimme.
Diese erinnert auf „Keine Kompromisse - zumindest meistens - etwas weniger an den derzeit populärsten Tieftöner des deutschen Indie-Pop, Henning May von AnnenMayKantereit. Und auch, wenn Gerlinger inhaltlich nicht aus seiner tiefsinnigen Haut herauskommt, klingt die für ihn stilprägende Melancholie nun doch etwas heiterer - den Umständen der deprimierenden Zeitläufte zum Trotz. Das liegt daran, dass es in vielen Liedern um die Klippen der komplizierten Beziehungsanbahnung unter nachdenklichen jungen Leuten geht.
Ein Prozess, der trotz Komplikationen Wind unter die Flügel bläst, ob man will oder nicht - wie man sogar in der urromantischen Schlussballade „Mond“ hört. Der fast schon gut gelaunte, Opener „Nachricht von Dir“ bringt die emotionalen Extreme leichtgängig auf einen Nenner: „Durstige Visagen strahl’n im Neon der Leuchtreklamen / Erklären mir, dass alles untergeht in wenigen Jahren und fragen / Ob ich nicht vielleicht noch eine Kippe habe / Dresscode ist schwarz und weiß, weil hier die Farben fehl’n / Seit die Schatten unsrer Zeit sich auf die Ekstase legen“, heißt es da zwar. Aber auch: „Dank dir ist alles.“ Texten kann der Sänger und Gitarrist.
Der Titel „Keine Kompromisse“ ist insofern Programm, als dass Gerlinger zwar zum Teil illustre Deutschpop-Produzenten und Co-Songwriter wie Daniel Schaub, Guido von Monrath oder Daniel Borger eingebunden hat. Trotzdem bleibt er seinem liedermacherhaften, stilistisch offenen Sound mit Fokus auf starke Streicher-Arrangements treu, geerdet vom Mannheimer Bassisten Michael Herzer als Spiritus Rector. Das klingt im besten Fall („Fünf vor Zwölf“) eher wie Tom Waits als nach Henning May. (Bild: Lea Bräuer)
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