Mannheim. Herr Becker, wenn ich Sie zusammen mit Joseph Conrad bei einem guten Whisky abends zusammen an einen Kamin setzen würde: Was wäre Ihre erste Frage?
Ben Becker: Oh Gott, ich glaube, ich könnte zuerst vor lauter Einschüchterung gar nicht sprechen. Nach einer Weile käme ich vermutlich darauf, ihn zu fragen, wie das für ihn so lief, als Sohn polnischer Eltern, der so früh bei der englischen Handelsmarine engagiert wurde. Ihn einfach erzählen lassen. Seine Lebenserfahrungen würde ich in mir aufsaugen. Da haben Sie mich jetzt aber zum Start gleich erwischt…
Ich lege es auch nicht darauf an, Ihnen die gleiche Frage zum 100. Mal zu stellen…
Becker: Die „Apokalypse“ macht ja gerade etwas Pause, insofern kommen meine Antworten nicht wie aus der Pistole geschossen - das werden Sie mir verzeihen müssen. Ich bin gedanklich aber auch schon bei meinem Projekt zu Joseph Roth, das ich im Mai mit dem Renaissance-Theater realisieren werde. Ich gebe mir aber redlich Mühe, Ihnen hier nicht irgendeinen Scheiß zu erzählen.
Ben Becker in Mannheim
- Der Schauspieler, Synchronsprecher und Sänger Ben Becker wurde am 19. Dezember 1964 in Bremen geboren
- Erste Bekanntheit erlangte Becker 1995 mit der Roman-Verfilmung, machte aber mit verschiedensten Projekten in den Folgejahren immer wieder von sich reden
- Zu Beginn seiner Karriere schrieb und inszenierte der Künstler mit „Sid & Nancy“ ein eigenes Theaterstück zu Ehren des Sex Pistols-Musikers Sid Vicious, 2001 verkörperte Becker in Neil LaButes „Bash“ an den Hamburger Kammerspielen einen Kindsmörder, an der Seite von unter anderem Mario Adorf und Hannelore Elsner beteiligte sich der Schauspieler am „Rilke Projekt“In eigenen musikalischen Projekten widmete sich Becker neben klassischen Kompositionen von Gustav Mahler auch den Songs von Johnny Cash oder Elvis Presley
- Am Freitag, den 31. März ist Ben Becker um 20 Uhr mit einer dramatisierten Lesung von Joseph Conrads „Apokalypse“ im Mannheimer Rosengarten zu Gast
- Tickets gibt es ab 46,85 Euro
- Infos: www.mcon-mannheim.de
Das weiß ich sehr zu schätzen. Dann bleiben wir doch bei Ihren Worten. Sie sagen, die „Apokalypse“ mache gerade Pause. Wohl eher ein wünschenswerter Zustand, wenn man sich gerade das Weltbild ansieht, nicht wahr? Wie halten Sie das aus?
Becker: Ganz ehrlich? Das frage ich mich ganz oft selbst. Es mag auch daran liegen, dass ich älter geworden bin, aber ich versuche mittlerweile, keine ganz provokante Position mehr zu beziehen. Auf der Bühne kann man eigentlich nur offene Fragen stellen - und sie auch als solche stehen lassen. Wobei einem dann doch immer mal wieder etwas herausrutscht. Kürzlich in einer Pause beim Applaus war es wieder soweit: „Niemals wieder sollen von diesem Land aus Panzer in Richtung Russland rollen.“ Das galt ja einmal. Mittlerweile rüsten wir auf, was das Zeug hält und „Kriegsdienstverweigerer“ ist zum Schimpfwort geworden. Und ganz nebenbei beschäftigen uns auch noch gesellschaftliche Debatten um die Diskriminierung der Frau, Umweltverschmutzung oder der Klimawandel.
Die Frage bleibt: Wo führen die Debatten hin?
Becker: Sie haben es erfasst. Es geht um den Mehrwert der Diskussion - und der ist genau das, was ich für mich in Frage stelle. Denn es findet auch - und das muss man so deutlich sagen - eine wahnsinnige Verdummung statt. Wenn ich beispielsweise den ganzen Tag RTL2 schaue, wird mir das nicht gelingen, ohne dabei wahnsinnig zu werden. Es wird immer wieder behauptet, dass wir so eine gute, christliche, demokratische bürgerliche Gesellschaft sind. Bei einem genauen Blick merkst du aber, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung oder ein liebevolles Miteinander einfach nicht stattfindet. Und dann sagen wir voller Stolz: Das sind wir. Wenn „wir“ das wirklich sind: Müssen wir das verteidigen? Und gegen wen? Welche Mächte sind es wirklich, die hier aufeinander losgehen?
Sie meinen, der neu formierte Westen gegen Putin?
Becker: Wenn wir ehrlich sind, dann müssen die Interessen der Mächtigen doch gerade enorm hinterfragt werden. Aber es hilft nichts, das aus einer Wut heraus zu diskutieren und dabei den Überblick noch mehr zu verlieren. Deswegen geht es mir zunehmend darum, aus der Vogelperspektive heraus, fast schon hilfesuchend, nach einer friedlichen Antwort zu forschen und…
…orientiert zu bleiben?
Becker: Ja, orientiert zu bleiben. Und das in einem literarischen Text wie „Apokalypse“ zu suchen und auf der Bühne zum Gegenstand zu machen, finde ich enorm wichtig. Dafür ist meiner Meinung nach die Kunst da. Theater muss polarisieren. Deswegen habe ich den Abend sehr liebgewonnen, auch, wenn es jedes einzelne Mal wieder schwer ist, ihn zu bestehen.
Es ist ein unglaublich dichter, aber auch ein schmerzhafter Text. Hatten Sie nie Bedenken, dass Sie ihn mit ausreichend Tiefe und Gestalt erfüllen können?
Becker: Meine Angst war, dass die Zuschauer sagen könnten: Was soll dieser Text jetzt? Der ist doch von vorgestern! Denn klar, wenn du von einem aufgespießten Kopf auf dem Pfahl hörst, wird dir schlecht. Dass es gar nicht um ein Dschungel-Abenteuer mit Winnetou, sondern um einen unglaublich aktuellen, wichtigen Text geht, muss ich immer wieder von Neuem vermitteln.
Apokalypse
- In der dramatsisierten Lesung "Apokalypse" geht es um dem Stoff, den unter anderem Francis Ford Coppola zu seinem berühmten Film „Apocalypse Now“ formte. Er handelt von dem englischen Kapitän Marlow, der ins Herz des Kongo vorstößt, um den Handelsagenten Kurtz zurück in die Gesellschaft zu geleiten – dabei aber selbst in die Abgründe einer ihm unbekannten Welt hineingezogen wir.
Wenn man sich Ihre Biographie ansieht, erkennt man von der Rolle als Adolf Brand über die Teilnahme am Rilke-Projekt bis hin zu den Songs von Johnny Cash einen gewissen Hang dazu, sich mit Materie zu befassen, die eine Fallhöhe, aber auch die große Chance auf Relevanz mit sich bringt. Gab es nie Bedenken, zu scheitern?
Becker: Ich sage Ihnen das so frech wie ehrlich: Mir war klar, dass ich diese Stoffe nur erzählen kann, wenn ich die Abgründe erforsche, die damit verbunden sind. Das Plakative, Einfache hat mich nie interessiert. Ich bin froh, dass ich von dem, was ich wirklich erzählen will, leben kann. Ich verrate Ihnen etwas: Wenn Sie die 70 Minuten gesehen haben, werden Sie merken, dass im Publikum vermutlich Totenstille herrscht. Ganz oft löse ich das dann auf, es ertönt kein Applaus, die Menschen bleiben im Theater sitzen - und denken nach. Aber Ich hatte kürzlich eine Kritik aus Detmold, in der der Kritiker fragte, ob ein Depeche Mode-Konzert zu Mitsingen nicht mehr Unterhaltung brächte, als mein Abend. Ich sage in diesem Fall klar: Lieber nicht mitsingen, sondern nachdenken!
Achtung, Sprechverbot! Ironie aus. Darf man sowas denn noch sagen?
Becker: Gegenfrage: Was wird aus uns, wenn wir solche Dinge nicht mehr sagen? Ich muss mich doch für etwas entscheiden können. Andere entscheiden sich, Klimakleber zu sein, ich wende ein: Ich hätte damals lieber gegen den Reichstag gepinkelt! Es fällt mir nicht ein, mich irgendwo einzuordnen. Stattdessen mache ich das, was ich kann: Etwas zu beobachten und das dann zu einem Stück Kunst zu verarbeiten, das gesagt werden kann - und von mir gesagt werden muss. Mehr Nachhaltigkeit kann ich nicht geben.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-ben-becker-vor-seinem-auftritt-in-mannheim-theater-muss-polarisieren-_arid,2065616.html