Interview

Tim Bendzko über Klimaschutz: "Wir sollten jetzt mal etwas tun"

Im Interview zu seinem neuen Album „April“ erklärt der  Berliner Deutschpop-Sänger warum er vom Reden übers "Weltretten" genug hat

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Am 31. März erscheint Tim Bendzkos neues Album "April". © Andre Josselin

Mannheim. Herr Bendzko, Ihr fünftes Studioalbum erscheint am 31. März und beginnt mit dem Titelsong „April“. Was kein Scherz ist, sondern offensichtlich der Versuch, nach der bleiernen Zeit der vergangenen Jahre Aufbruchstimmung zu verbreiten. Oder?

Tim Bendzko: Die Antwort ist ja. Es geht um ein Neustart-Gefühl: Jetzt können wir wirklich mal Aufbruchstimmung haben. Die gab es in der Pandemie auch schon mal, dann ist sie aber wieder im Keim erstickt worden. Den Song „April“ habe ich auch in einem Moment geschrieben, als es gerade noch in der Schwebe war, ob es im Winter wieder etwas entspannter zugehen könnte.

Bei einigen Liedern fragt man sich allerdings: Was kennen Sie eigentlich für Leute? Komplizierte Frauen, nervige Dampfplauderer, geisterhafte Stalking-Typen …

Am 12. Oktober live in Heidelberg

  • Tim Bendzko wurde am 9. April 1985 in Berlin geboren. Er spielte Fußball bei Union Berlin, studierte evangelische Theologie und arbeitete u.a. als Auktionator.
  • 2009 gewann er beim Talentwettbewerb „Söhne gesucht“ die Rolle als Xavier Naidoo im Video „Iz On“ und beim Söhne-Mannheims-Open-Air auf der Berliner Waldbühne.
  • Sein Debütalbum „Wenn Worte meine Sprache wären“ fand über 500 000 Käufer. Die Single „Nur noch kurz die Welt retten“ war 2011 der erfolgreichste deutschsprachige Hit des Jahres.
  • Tim Bendzkos fünftes Studioalbum „April“ erscheint am 31. März.
  • Bendzkos Club-Tour führt am Donnerstag, 12. Oktober, 20 Uhr, in die Heidelberger Halle 02 (eventim.de (49,95 Euro plus Geb.).

Bendzko (lacht laut): Okay, aber bei „Geisterjagd“ geht es eher um die eigenen Ängste und Dämonen, die einem hinterherrennen. Aber Sie meinen sicherlich vor allem „Alleine in Paris“. Die Geschichte ist tatsächlich passiert, wenn auch in einer anderen Stadt. Wir sind noch gemeinsam zum Flughafen gefahren, aber schon im Flugzeug saßen wir nicht mehr zusammen. Da fragt man sich rückblickend wirklich: Wie konnte das passieren? Aber man fällt ja immer auf die gleichen Leute rein. Mehr gibt es dazu nicht zu erzählen. Das war mehr Hollywood, als Hollywood jemals leisten kann.

Augen auf, bei der Partnerinnenwahl … wobei Popstars in gar keiner so beneidenswerten Position sind. Oder wie empfanden Sie das, als Sie noch auf der Suche waren?

Bendzko: Das ist ein komplexes Thema. Man muss schon schauen, was da die Beweggründe sind. Ich verstehe schon, dass es etwas mit einem macht, wenn man jemanden kennenlernt, der erfolgreich ist. Das finde ich auch gar nicht schlimm. Da muss man schon schauen: Was ist jetzt die Motivation? Aber wie gesagt: Mein Problem war eher, dass ich gerne auf den gleichen Typ reagiere.

Haben wir es auf „April“ mit dem bisher politischsten Tim Bendzko zu tun?

Bendzko: Bei welchen Liedern bin ich denn politisch?

„Kein Problem“ und „Wer rettet die Welt für mich?“ zum Beispiel.

Bendzko: Politisch zu sein, ist wirklich eine Frage der Definition. Aber ja. Seit 2011 werde ich zum Beispiel jedes Jahr darauf hingewiesen, wie gut „Nur noch kurz die Welt retten“ jetzt gerade in die Zeit passt. Das sagt viel aus, finde ich.

Wir reden und reden vom Klimawandel – lassen uns aber ablenken von den Klimaklebern und Sprüchen über Klimakleber. Statt einfach zu handeln.
Tim Bendzko Musiker

Was konkret?

Bendzko: Wie beschränkt unser Horizont ist. Und unsere Wahrnehmung. Wie schnell wir Sachen auch einfach vergessen. Dass letztes Jahr auch eine Krise war und im Jahr davor ebenso. Es ist doch krass: Wir reden und reden vom Klimawandel – lassen uns aber ablenken von den Klimaklebern und Sprüchen über Klimakleber. Statt einfach zu handeln. Ich weiß, das ist leicht gesagt und ein superkomplexes Thema. Aber es ist auch so einfach, zu verstehen, dass jeder kleine Schritt etwas beiträgt. Und dieses Gewarte auf die perfekte Lösung – da ist mein Lieblingsbeispiel Coldplay.

Inwiefern?

Bendzko: Wenn man zurzeit über Coldplay spricht, kommt sofort: „Das ist ja supergeil, dass sie versuchen, grüner zu werden, und bei Konzerten Energie zurückgewinnen wollen.“ Und dann folgt als Nächstes immer: „Aber die fliegen ja mit dem Privatjet.“ Das tut doch nichts zur Sache! Weil sie da, wo etwas möglich ist, versuchen, etwas zu bewegen. Das ist doch das Entscheidende. Also: Wir reden immer noch über Klimaschutz, aber ich habe das Gefühl, es braucht niemanden mehr, der Vorträge hält – wie ich jetzt gerade wieder (lacht). Wir sollten jetzt einfach mal etwas tun.

Sehen Sie sich da in der Verantwortung, selbst etwas vorzuleben? Wir sprechen hier im Mannheimer Media Park in einem schwergewichtigen Wohnmobil, mit dem Sie auf Interview-Tour durch Deutschland fahren. Das ginge auch klimafreundlicher …

Bendzko: Ja. Verantwortung ist natürlich ein großes Wort. Ich versuche da wie viele, viele Sachen zu machen, die sich für mich so anfühlen, als könnte ich sie leisten. Ich gehöre aber keiner Gruppe an, mit der ich ständig Aktionen starte. Mit elektrobetriebenen Wohnmobilen in der Ausstattung kommt man leider nicht weit. Und für mich hat sich diese Art von Interviewreise als enorm praktisch erwiesen, weil ich in der ersten Nacht in einem Hotelzimmer nicht schlafen kann. Privat fahre ich seit sechs Jahren ein Elektroauto.

Bei Ihrer Reichweite können Lieder viel bewirken … da war Ihr erster Hit „Nur noch kurz die Welt retten“ ja ein guter, vielzitierter Anfang.

Bendzko: Musik ist für mich ein Mittel, indirekt einzuwirken, ohne mit dem Zeigefinger irgendwohin zu zeigen. Und der Witz bei „Welt retten“: Der Song dreht sich ja um Leute, die nur darüber reden, aber nichts machen und sich als die großen Weltretter aufspielen. Das scheint mir zwölf Jahre später immer noch ein Thema zu sein.
Haben Sie deshalb „Wer rettet die Welt für mich?“ geschrieben? Wobei im Lied passenderweise Kinder diese Frage stellen.
Bendzko: Das ist die Fortsetzung. Meine Idee war dabei, dass sich die nächste Generation bei meiner beschwert. Nach dem Motto: „Ihr habt euch bei euren Eltern beklagt, dass sie nichts hinbekommen haben. Jetzt habt ihr selber auch nichts gemacht.“ Ich befürchte, das könnte noch so weitergehen …

Ist gar kein Camper, nutzt aber beruflich gern den Wohnwagen als rollendes Schlafzimmer und Büro: Tim Bendzko. © Jörg-Peter Klotz

Mit 37 Jahren ist der junge Vater Tim Bendzko ja fast unter Boomer-Verdacht …

Bendzko: Das ist genau das Ding. Langsam kann man sich nicht mehr aus der Verantwortung nehmen, sondern muss es selber richten.

Zur Musik: Die Platte ist enorm abwechslungsreich, sehr gut produziert – teilweise fast clubbig, dann wieder ganz reduziert im Balladenfach. Wie lief die Produktion?

Bendzko: Musikalisch habe ich alles wieder mit Benedikt Schöller und Timothy Auld produziert, wie zuletzt bei „Filter“ 2019. Songschreiberisch haben wir damals zu dritt relativ viel ausprobiert, uns mit verschiedensten Textern zusammengesetzt. Bei „Filter“ habe ich es auch mal ausprobiert, mit mehreren Leuten Songs zu schreiben: Aber nicht so, dass zehn Leute in einem Songwriter-Camp Lieder für mich schreiben. Sondern ich habe mit allen gleichzeitig geschrieben – ich bin beinahe wahnsinnig geworden. Das war supereffektiv, mit bis zu fünf Songs am Tag und einem supertollen Ergebnis wie „Hoch“ – aber es war nicht gut für mein Gemüt. Deshalb setze ich mich lieber mit einem Partner zusammen – wie Tua und Maeckes oder Schmyt, Teezy, Stanowski oder Michael von Klan. In der letzten Phase von „April“ habe ich dann alles allein geschrieben. Da hatte ich meine Sprache für das Album gefunden, alles das, was jetzt gerappt klingt. Und plötzlich geht alles ganz leicht von der Hand.

Apropos Hip-Hop: Ich höre einige Referenzen heraus: „No Diggity“-Grooves, eine starke Verbeugung vor Peter Fox’ „Alles neu“ in „April“. Ist das bewusst passiert?

Bendzko: „April“ ist schon an Peter Fox angelehnt, „Parallelwelt“ ist auch ein bisschen Justin Timberlake, wie die Melodie in den Refrain geht.

Sie spielen viel mit Stimm-Software à la Autotune. Sie sind ja ein guter Sänger, was reizt Sie daran?

Bendzko: Da geht es gar nicht darum, den Gesang besser zu machen. Es ist ein Stilmittel, um Abwechslung und kleine Brüche reinzukriegen. Ich habe viel mit der Stimme experimentiert, nach oben und unten. Wenn es zum Thema und zur Stimmung passt, finde ich das ganz geil.

Haben Sie eigentlich mit dem zweiten Lockdown besonders gehadert? Schließlich waren die Ergebnisse eines Forscher-Teams der Universität Halle bei einem Konzert von Ihnen in der Arena Leipzig im August 2020 mit 1400 Probanden für die Studie Restart-19 eindeutig.

Bendzko: Das Ergebnis kann man ganz kurz zusammenfassen: Konzerte in der Größenordnung sind ohne große Infektionsgefahr grundsätzlich möglich gewesen, wenn man bestimmte Belüftungsgeräte, Hygienekonzepte und so weiter hat. Aber das lässt die psychologische Komponente außer Acht. Viele Leute hatten Angst, auf Veranstaltungen zu gehen – unabhängig davon, ob der Lockdown für die Kultur Sinn gemacht hat. Es wäre also aufs Gleiche hinausgelaufen. So wurde am Ende wenigstens alles abgefedert. Wenn man bei der Stimmung auf eigenes Risiko Konzerte gespielt hätte, bei denen fast alle aus Angst ihre Karten zurückgeben, wäre der Schaden größer gewesen. Am Ende versucht man jetzt zwanghaft, jemandem die Schuld in die Schuhe zu schieben.

Also kein Hadern?

Bendzko: Ich finde, man muss die Sache aufarbeiten, um künftig für ähnliche Situationen gewappnet zu sein. Mit dem Wissen von heute zu sagen, „das hätte man damals so und so machen müssen“, führt zu nichts. Meine Haltung ist da eher: Lasst uns doch bitte genießen, was wir jetzt wieder tun können – und das nicht als zu selbstverständlich zu nehmen.

Als ehemaliger Jugendspieler von Union Berlin …

Bendzko (lacht): Geht schon gut los die Frage. Liebe ich …

Sie ist mit Blick auf die Bundesliga-Tabelle aber unvermeidlich. Bei Union auf Platz eins ist Ihnen doch sicher das Herz aufgegangen, obwohl sie Bayern-Fan sind, oder?

Bendzko: Da haben Sie Recht: Einfach die Tabelle aufmachen und es geht einem gut. Als ich jung war, gab es nur Bayern München im Fernsehen. Deshalb bin ich natürlich Bayern-Fan. Es war ja nie abzusehen, dass Union jemals auf Augenhöhe Fußball spielen würde. Jetzt sind sie gefühlt ein halbes Jahr auf Platz eins oder zwei durch die Bundesliga geritten – und das hochverdient. Das Ding ist: Am Anfang der Saison habe ich einem wichtigen Fußballfunktionär geschrieben, dass Union Deutscher Meister wird – natürlich im Spaß. Mittlerweile glaube ich fast dran. Wenn es irgendwann möglich ist, dann jetzt.

Ich kann Sie nicht aus Mannheim weglassen, ohne eine weitere Ihrer Lieblingsfragen zu stellen…

Bendzko (lacht): Die obligatorische Naidoo-Frage?

Genau. Zwei Jahre vor Ihrem Durchbruch wurden Sie ja für ein Konzert und einen Video-Clip in eine Double-Band der Söhne Mannheims als Xavier Naidoo gecastet. Als sich die Negativschlagzeilen um seine politische Entgleisung sich überschlagen, haben Sie nie einen Teil des Shitstorms abbekommen, oder?

Bendzko: Nein. Natürlich hat mich der eine oder andere Mal danach gefragt. Für mich als Fan war das mega-enttäuschend und traurig, dass er diese ganzen Songs womöglich nur geschrieben hat, um in diese Position zu kommen. Unabhängig davon tut es mir fast leid, was da alles passiert ist – für ihn und für alle anderen.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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