Erzähl mir was

Annika Reinhardts Hoffnung:„Es ist noch Zeit, etwas zu ändern“

Die Auszählung der Lesenden-Abstimmung zu Erzähl mir was hat ergeben: Fünf Neulinge und eine alte Bekannte siegen bei der fünften Ausgabe des Schreibwettbewerbs dieser Redaktion. Siegerin ist Regina Rothengast

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Reise- und Kreativziel für die drei Erstplatzierten: ein Wochenende in der Pfistermühle am Flüsschen Lauter im beschaulichen Wissembourg im Elsass. © Karin Willen

Mannheim. Regina Rothengast hat den Schreibwettbewerb Erzähl mir was dieser Redaktion deutlich gewonnen. Mit ihrer Kurzgeschichte „Die letzte Heckenrose“ über die alte Dame Rosemarie, die für ein jüngeres Paar in froher Erwartung eines Kindes auf ihren Platz im lebenswerteren oder überhaupt lebensmöglichen Norden verzichtet, erhielt sie 39 Prozent aller bei der Internetabstimmung abgegebenen Stimmen. Es hatten sich vom 16. bis 25. August Hunderte Leserinnen und Leser bei dem Voting beteiligt. Thema war in diesem Jahr „Hitzebeständig - Leben in Zeiten des Klimawandels“.

Rothengast, in Lauda geboren, ist kein Neuling. „Nachdem ich vor zwei Jahren zum Thema ,Krieg und Frieden’ mit „Tiefflieger“ den dritten Platz erreichen konnte, war mein Ehrgeiz dieses natürlich groß“, sagte die in Kützbrunn (Main-Tauber-Kreis) Lebende auf Anfrage. Als sie dann die „diesjährige interessante Ausschreibung“ gelesen hatte, sei die Idee zum Klimawandel nach wenigen Minuten da gewesen. Der Klimawandel gehe alle etwas an. Sie mache sich große Sorgen um ihre Enkeltöchter und die Welt, in der sie eines Tages leben müssen. Der Schreibwettbewerb sei neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit „immer wie ein Sahnebonbon zwischendurch“, sagt sie und verkündet stolz: „Im Mai kam mein erster Roman „Jolanda und Kirsten“ (Verlag Brandes) heraus.

Die Preise

  • 1. bis 3 Platz: Regina Rothengast (39 % der Stimmen), Annika Reinhardt (16 %) und Tobias Etsch (14 %) verbringen ein verlängertes Wochenende mit einer kleinen Schreibwerkstatt, Abendessen und Verlegerrunde beim Frühstück im elsässischen Wissembourg, wo der Mannheimer Verleger Ulrich Wellhöfer das Kulturhaus Pfistermühle betreibt.
  • 4. bis 6. Platz: Büchergutscheine der Buchhandlung Schmitt & Hahn im Gesamtwert von 600 Euro erhalten Jan Sahner (13 %, 300 Euro), Michelle Gaus (5 %, 200 Euro) und Christian Andorfer (4 %, 100 Euro).

Auf Platz zwei landet Annika Reinhardt mit „Klick. Schon weg“. Reinhardt betreibt in dem Werk ein Gedankenspiel: Was, wenn du eines Tages aufwachst und es ist zu spät? Was würdest du dir wünschen, anders gemacht zu haben? Und was, wenn du die Chance dafür bekämst? 16 Prozent der Stimmen fielen auf ihre Geschichte. Reinhardt freut sich „unglaublich“, schreibt sie der Redaktion, und: „Dass ich trotz der anderen kreativen Texte so viele Leser*innen von meiner Geschichte überzeugen konnte, bedeutet mir sehr viel!“ Da der Klimawandel ein nicht mehr zu leugnendes Thema unserer Zeit sei, finde sie es wichtig, es weiter in die Öffentlichkeit und in das Bewusstsein der Menschen zu tragen. Ihr Ziel, so die Heidelberger Psychologie-Studentin, sei gewesen, „Menschen einen Spiegel vorzuhalten und die kleinen Aspekte des alltäglichen Lebens zu zeigen, die gebündelt große Wirkungen zeigen können.“ Sie wollte aber einen Hoffnungsschimmer wahren: „dass jetzt noch Zeit ist, etwas zu ändern.“

Für Tobias Etsch ist es so: „Der dritte Platz ist Wahnsinn!“

Mit „Zitroneneis“ gelingt dem gebürtigen Heidelberger Tobias Etsch der dritte Platz. Seine Story über zwei Wissenschaftler in einem Bunker, die auf einen „letzten Kipppunkt“ zum Klimawandel warten, erhielt 14 Prozent aller Stimmen. Die Forscher versuchen, Entscheidungen der Vergangenheit zu verstehen - und die Hoffnung für die Zukunft nicht zu verlieren. „Ich bin sprachlos“, sagt Etsch zu seiner Platzierung. Schon unter den letzten Zwölf gewesen zu sein, habe sich für ihn wie ein Sieg angefühlt: „Der dritte Platz ist Wahnsinn!“ Gerade bei so einem politischen Thema, das durchaus kontrovers diskutiert werde, freue es ihn, dass sich so viele für die einzelnen Geschichten begeistern konnten: „Ich denke, viele frustriert die mediale Berichterstattung dazu.“ Die Literatur biete einen emotionaleren und möglicherweise persönlicheren Zugang zum Thema. Etsch hofft: „Vielleicht haben die Kurzgeschichten den einen oder anderen ja zum Nachdenken angeregt.“

Auf den Plätzen vier bis sechs rangieren Jan Sahner mit seiner Geschichte „Der Ausflug“ (dreizehn Prozent), Michelle Gaus mit „Ein beschriebenes Blatt“ (5 Prozent) sowie Christian Andorfers „Im Sommer nichts Neues“ (4 Prozent).

Überraschend: Sahner hatte nie die Absicht, etwas zu schreiben, geschweige denn für einen Wettbewerb, „obwohl ich ihn über die Jahre immer verfolgt habe“, sagt er. Er hat wenig Schreiberfahrung. Letztlich entscheidend war, dass die etwas einfache und am Thema vorbeigehende Geschichte eines Freundes ihn zu einem Gegenentwurf „zwang“. Die Familie hatte ihn zum Einreichen gedrängt: „Es hat mir, Spaß gemacht. In den Wettbewerb hineinkatapultiert bin ich mit dem vierten Platz erstaunlich weich gelandet. Das hat mich sehr gefreut und meine Familie ein bisschen stolz gemacht.

Auch Gaus freut sich sehr über Platz fünf. Für sie war es „eine tolle Möglichkeit, sich mit einem wichtigen Thema auseinanderzusetzen“, sagt sie. Klimawandel betreffe uns alle, wo wir uns auch befinden, oder wer wir seien. Trotzdem sei uns das volle Ausmaß nicht immer bewusst. Durch das Erzählen von Geschichten werde das Thema noch ein ganzes Stück emotional greifbarer.

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Andorfer, der noch nie eine Geschichte geschrieben hat, freut sich besonders, „dass meine Geschichte doch einigen Lesern gefallen hat, auch wenn sie aufgrund des Themas sehr düster war“, sagt er. Er finde die Idee des Wettschreibens zu aktuellen Themen gut, weil die Geschichten interessante Ansichten und Perspektiven wiedergeben, und: „Wenn mir das nächste Thema liegt, bin ich wahrscheinlich wieder dabei.“

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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