Mannheim/Bensheim/München. Herr Wecker, wie geht es Ihnen? Was macht die im Frühjahr bei einem Sturz verletzte Wirbelsäule?
Konstantin Wecker: Mit der Wirbelsäule geht es mir viel besser. Ich kann mich schon wieder einigermaßen bewegen. Ich merke jetzt erst, wie viele Physiotherapeutinnen ich immer in meinem Konzert habe (lacht). Die sprechen mich immer auf meinen Gang an. Also, es ist noch nicht ganz geheilt. Vielleicht heilt so etwas in meinem Alter nie mehr ganz richtig. Aber ich kann wenigstens gehen, ein paar Kilometer am Tag und ganz schön geschwind.
Nun ist 77 ja heute kein Alter mehr, speziell nicht für Sänger. Ich habe kürzlich einen großartigen Tom Jones live in Schwetzingen erlebt, der hat in meiner Konzerthistorie Leonard Cohen als ältesten Sänger abgelöst.
Wecker: Tom Jones? Wie alt ist er denn?
84 Jahre.
Wecker: Ah ja. Ich habe einmal den Charles Aznavour gesehen, da war er 90. Da hat er sich auch wie ein alter Mann bewegt, klar. Aber seine Stimme war sensationell. Sensationell! Also, wie er das gemacht hat, mit 90 noch so zu singen da muss ich sagen, das ist ein großer Ansporn für mich.
Am 22. Mai 2025 spielen Sie erstmal mit 77 in Bensheim im Duo das Programm „Lieder meines Lebens“. Inwiefern unterscheidet sich dieser Abend von Ihrem aktuellen Live-Album „Soundtrack meines Lebens“?
Wecker: Sehr, das ist ein völlig anderes Konzert. Ich bin zuletzt schon mit „Lieder meines Lebens“ kammermusikalisch sehr viel unterwegs gewesen. Das Programm wird nächstes Jahr aber wieder anders aussehen, das hat sehr viel mit Poesie zu tun, sehr viel mit meinen Gedichten. Und ich habe das mal nachgerechnet: Ich habe über 600 Lieder in den letzten 50 Jahren geschrieben. Da könnte ich noch einige Jahre Programme machen damit (lacht). Es wird ein sehr klammermusikalisches Programm. Ich werde auch Gedichte lesen und viel erzählen. Im jetzigen Programm erzähle ich natürlich auch über die Dummheiten meines Lebens und darüber, wie meine Poesie einfach immer klüger war als ich.
Interessante Selbsterkenntnis …
Wecker: Ich habe so vieles mit meinen Gedichten schon im Voraus gewusst. Zum Teil habe ich als junger Mann Gedichte geschrieben, die ich erst Jahrzehnte später überhaupt verstanden habe. Aber ich habe geahnt, dass sie gut sind und dass sie wichtig sind. Die Poesie kommt ja nicht aus dem Hirnkastl, aus der Ratio oder dem Ego, sondern die kommt woanders her. Das ist eigentlich ein spiritueller Vorgang. Es fällt mir jetzt im Alter immer mehr auf, wie sehr die Poesie doch angebunden ist an das, was man die Buddha-Natur nennt, die in jedem Menschen wohnt.
Das bedeutet?
Wecker: Das Licht, das man in sich trägt. Nur wie kann man rankommen? Für mich war und bleibt der Herrmann Hesse immer ein unglaublich tolles Beispiel. Der ein schwer depressiver Mann war, aber in seinen Werken in seinen Gedichten, in seiner Prosa hat er so viel gewusst. Und er konnte es im Leben erst im Alter einigermaßen umsetzen.
Da ist die nächste Frage profan: Kann man dieses Soundtrack-Album noch irgendwo live hören?
Wecker: Ja! Wir gehen jetzt auf Tour damit, im Herbst. Aber nur in zehn Städten. Die nächsten Auftritte in der Rhein-Neckar-Region sind in Stuttgart am 3. Dezember, am 10. Dezember in Frankfurt und schon am 2. Dezember in Freiburg. Das „Soundtrack“-Programm entsprang dem Wunsch von mir, mich einmal auch als Film-Komponist mit meinen wichtigsten Filmmusiken auf der Bühne zu präsentieren. Und Liedern, die mit meinen Filmmusiken verbunden sind. Mir fiel eigentlich erst vor ein paar Jahren auf, wie unglaublich viele Filme ich gemacht habe. Also Filmmusik. Ich war da wohl sehr fleißig. Dann habe ich zum Glück einen wunderbaren Archivar. Der hat mir Sachen wieder rausgesucht, die ich schon längst vergessen hatte. An „Kir Royal“ und Helmut Dietl erinnert sich ja fast jeder. Oder an die antifaschistische Arbeit mit Michael Verhoeven „Die weiße Rose“. Aber sehr viele Filme sind auch bei mir in Vergessenheit geraten.
Es ist ja sehr achtbar, dass Sie Ihre filmische Jugendsünde „Beim Jodeln juckt die Lederhose“ nicht verschweigen.
Wecker (lacht laut): Ja, das war eine sehr lustige Zeit, aber ich habe die nie als künstlerisch wahrgenommen. Das war einfach ein Geldverdienst.
Also „Soundtrack meines Lebens“, „Lieder meines Lebens“ - warum auf einmal so viel Retrospektive?
Wecker: Das ist natürlich dem Alter geschuldet, keine Frage. Mir wird natürlich klar, dass man sich dem Alter stellen muss. Auch, wenn es in der Gesellschaft immer seltener wird. Im Umgang mit der Vergänglichkeit gefällt mir der Buddhismus sehr gut. Die Buddhisten sagen ja, dass man sich auch als junger Mensch schon immer klar sein muss, dass alles vergänglich ist - und dass man jeden Augenblick wirklich bewusst erleben sollte. Und natürlich ist einem das mit 77 dann irgendwann bewusster als mit 30.
Gab es eigentlich Anfragen, Ihre eigene Biografie auf die Leinwand zu bringen? Filmreif genug ist sie ja.
Wecker: Da gab es Anfragen. Aber da bin ich insofern vorsichtig … ich habe ja auch sehr viel Skandalöses in meinem Leben gemacht. Da bestünde natürlich die Gefahr, dass sich irgendeine Produktionsfirma ganz bewusst nur die Skandale raussucht. Aber mein Leben beinhaltet doch sehr viel mehr als nur meine Dummheiten.

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Welcher Filmproduzent, welche Regisseurin müsste kommen, damit Sie Ja sagen?
Wecker: Margarete von Trotha zum Beispiel. Die wäre die richtige Partnerin. Oder der leider verstorbene Michael Verhoeven.
Auf dem Soundtrack-Album plädieren Sie im Zusammenhang mit Marianne Rosenbaums vielfach ausgezeichneten Film „Peppermint Frieden“ nochmal für Frieden Also ist Ihr Pazifismus auch nach dem 7. Oktober und mehr zwei Jahren Ukraine-Krieg unerschütterlich?
Wecker: Der ist unerschütterlich und ich engagiere mich auch sehr für alle Menschen weltweit, die gewaltlosen Widerstand probieren. Das ist immer noch nicht anerkannt natürlich. Ich bin einfach so geprägt durch mein Elternhaus. Mein Vater hat ja in der Nazi-Zeit den Kriegsdienst verweigert und wie durch ein Wunder überleben können. Schon aus spirituellen Gründen ist für mich immer klar gewesen, dass man Gewalt nicht mit Gewalt beantworten darf.
Wie würden Sie denn umgehen mit wenig verhandlungsbereiten Kriegstreibern wie Putin?
Wecker: Mit zivilem, gewaltfreiem Widerstand. Und den gab es ja auch zum Beispiel in Dänemark bei der Rettung von 7220 dänischen Juden und 686 ihrer nichtjüdischen Ehepartner, die im Oktober 1943 durch die aktive Solidarität vieler Menschen auf dem Seeweg in das neutrale Schweden vor dem Zugriff der SS gerettet werden konnten. Und Beispiele gibt es nicht nur beim Widerstand gegen Nazis, sondern überall. Ich habe in meinem pazifistischen Credo mal geschrieben: Ich kann und darf natürlich nicht meine ganz persönliche Einstellung den anderen überstülpen als Ideologie. Aber ich habe mich für mich persönlich entschieden, gewaltfrei zu sein und zu bleiben.
Zur Person, zum Album und zur Tour
- Liedermacher Konstantin Wecker wurde am 1. Juni 1947 in München geboren. Der Pianist, Sänger, Komponist, Musikkabarettist und radikale Pazifist ist auch als Schauspieler, Musical-Schreiber oder Autor aktiv. Der Sohn des Malers und Kunstprofessors Alexander Wecker-Bergheim begann seine Karriere in der Kleinkunst 1968.
- 1973 erschien Weckers Debütalbum „Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker“. Mit der vierten Platte „Genug ist nicht genug“ gelang ihm 1977 der große Durchbruch. Seitdem zählt er neben FRanz Josef Degenhardt sowie den befreundeten Hannes Wader und Reinhard Mey zu den größten Liedermachern im Land.
- Zuletzt ist das Live-Album „Soundtrack meines Lebens“ erschienen.
- Mit diesem Programm ist Wecker im Spätherbst auf Tour – u.a, am Dienstag, 3. Dezember, 20 Uhr, in der Liederhalle Stuttgart und am 10. Dezember in der Alten Oper Frankfurt (56,95 bis 92,60 plus Geb. unter eventim.de).
- Im Duo mit Pianist Joe Barnikel gastiert er am Donnerstag, 22. Mai, im Bensheimer Parktheater. Karten ab 59,30 Euro unter reservix.de.
Da sind wir in der Tagespolitik. Die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen haben ja niemanden überraschen können. Auch die komplizierte Lage, in der der Parlamentarismus da jetzt ist, war vorhersehbar. Die CDU hat sich zwar als Sieger gefeiert, steht jetzt aber vor einer Zerreißprobe. Wie sehen Sie Sahra Wagenknecht und Ihre Partei? Sie sind ja durchaus Sympathisant der Linken, aber zu Wagenknecht waren Sie bisher trotz deren Friedens-Rhetorik bisher eher auf Distanz?
Wecker: Dieses Liebäugeln mit AfD-Wählern irritiert mich wahnsinnig Und ihr Umgang mit Geflüchteten gefällt mir überhaupt nicht. Auch was zurzeit passiert mit diesem präfaschistoiden Wahnsinn, wie mit Geflüchteten umgegangen wird, wie mit Gewalt umgegangen wird. Indem sie immer wieder nur auf Ausländer und nicht-rassisch reine Deutsche bezogen wird. Das macht mich krank.
Was kann man tun?
Wecker: Lesen. Und gute Bücher empfehlen. Es gibt ein unglaublich spannendes Buch des US-Philosophen und Trump-Gegner Jason Stanley. Es heißt: „Wie Faschismus funktioniert“. Das Spannende daran ist, dass er nicht nur die USA, Europa und Deutschland erwähnt, sondern auch weltweit den Vormarsch von Faschisten beobachtet. Die Gefahr eines weltweiten Faschismus ist wirklich ganz groß geworden. Und ich verweise in meinen Gesprächen der Reihe „Schulen ohne Rassismus“ immer wieder auf Wilhelm Reich, der in den 30er Jahren über die Massenpsychologie des Faschismus geschrieben hat. Er musste natürlich exilieren und hat damals schon geschrieben: Faschismus basiert vor allem auf Mythen. Und was sind Mythen heute? Fake News!
… wie bei Putins Faschisten in der Ukraine oder Trumps „abgetriebenen” Säuglingen und Katzen essenden Einwanderern.
Wecker: Ja, klar! Und das ist die ganz große und unglaubliche Gefahr. Oder wenn du dir so einen brandgefährlichen Mann wie den Elon Musk anschaust, der genau damit auch operiert. Meine Antwort ist: Ich bringe in all meinen Konzerten mein Lied „Schäm dich, Europa!“ und davor sage ich mein Gedicht „Mit dem Herzen denken“ auf. Wir müssen wieder lernen, mit dem Herzen zu denken. Also mit dem, was tief in uns allen wohnt: Mitgefühl und Liebe.
Was sagt denn Ihr Herz konkret, wenn Sie sich das Bündnis Sahra Wagenknecht in einer Landesregierung vorstellen?
Wecker: Mein Herz ist das eines bekennenden alten Anarchos. Und ich bin nach wie vor ein großer Freund der Räterepubliken und ein Gegner der Macht und aller Machtbesessenheit. Mein Herz sagt mir: Es muss sich alles ändern. Wirklich alles. Und das ist die Chance. Wir dürfen aber nie vergessen: Ich spreche hier ganz bewusst nicht als Politiker, sondern als Künstler. Und die Chance der Kunst besteht darin, Menschen zu ermutigen. Das ist mir immer schon gelungen, glaube ich. Ich merke das an Reaktionen von Menschen, die mir jetzt schreiben oder sagen, dass meine Lieder und Gedichte sie seit 40 Jahren begleiten. Es braucht etwas Mut, um den Menschen Mut zu machen und nicht Ideologien hinterherzulaufen, sondern zu sich selbst zu stehen.

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Haben Sie ein Bespiel?
Wecker: Ich bekam vor ein paar Jahren eine wunderschöne Mail von einer mir unbekannten Frau. Sie schrieb: „Lieber Herr Wecker, ich wurde und werde immer ausgelacht, mittlerweile auch schon von meiner Familie, weil ich mich so intensiv für Geflüchtete engagiere. Ich war jetzt in Ihrem Konzert Und ich verspreche Ihnen, ich engagiere mich weiter.“ Das ist so schön!
Das ist natürlich großartig. Aber verzweifeln Sie nicht manchmal an der Wirksamkeit Ihres Lebenswerks, wenn jetzt auf deutschen Straßen, an Universitäten und auch in linken Kreisen brüllender Antisemitismus und sonstige Propaganda zu hören ist?
Wecker: Wir dürfen nie vergessen, dass der Holocaust und der Zweite Weltkrieg für die heutige Jugend so weit weg sind wie für uns damals der Dreißigjährige Krieg. Leider, leider. Und es ist so wichtig, immer wieder daran zu erinnern. Und wir müssen uns aktiv gegen jede Form des Antisemitismus, Rassismus und Sexismus wehren ob von deutschen Nazis oder islamistischen Faschisten gerade auch nach den antisemitischen Massakern des 7. Oktober 2023. Ich frage mich, ob den Leuten eigentlich nicht bewusst ist, was wäre, wenn sie dann ein wirklich reines, nur deutsches Land hätten. Mal abgesehen davon, was das denn sein sollte. Was käme denn dann auf sie zu? Das ist so unfassbar. Man weiß doch vor allem aus der Geschichte, was Faschismus an der Macht bedeutet. Und vor allem die Kriege jetzt erinnern mich so sehr an den Ersten Weltkrieg. Es wäre sehr gut, wieder Stefan Zweig zu lesen. „Die Welt von gestern“ zum Beispiel, das ist ein so atemberaubend wichtiges und großartiges Buch. Und der Zweig schreibt natürlich auch einfach atemberaubend schön. Es gab ja damals schon, vor 1914, die Menschen, die gewarnt haben. Die vor den Kriegen gewarnt haben. Vor den Grausamkeiten. Und vor all dem, was dann auf uns zukam.
Fühlen Sie sich einer vergleichbaren Situation? Sie warnen auch schon sehr lange und die rechten Tendenzen waren ja nie weg. Man hätte lange nur nicht so unverschämt offen Nazi-Vokabular verwenden können, wie es Björn Höcke tut.
Wecker: In der 1968er-Zeit hätte die AfD keine Chance gehabt. Definitiv nicht.
1968 zog die NPD mit fast zehn Prozent in den Stuttgarter Landtag, es war nicht der erste Wahlerfolg …
Wecker: Ja, aber die war so was von verachtet.
Also fühlen Sie sich nicht wie eine Kassandra, der man nicht genug zugehört hat? Sie zweifeln nicht an der Wirksamkeit Ihres Lebenswerks?
Wecker: Eigentlich nicht, nein. Weil ich weiß, wie meine Arbeit wirkt. Ein Beispiel: Ich habe sehr viel mit Lehrerinnen und Lehrern zu tun. Und ich habe ihnen auch viel zu verdanken, weil vor einigen Jahrzehnten waren es ganz viele … hauptsächlich sogar Lehrerinnen, die mein Publikum geschaffen haben, dadurch, dass sie ihren Schülern meine Gedichte und Lieder vorgespielt haben. Und wenn es in jeder Klasse auch nur eine oder einen gab, der aus diesem Unterricht etwas mitgenommen hat fürs Leben … das bedeutet etwas. Das sage ich heute auch jungen Lehrerinnen und Lehrern. Ich selbst hatte auch ein paar solche Lehrer zwischen lauter alten Nazis. Die haben mich sehr geprägt. Dann hat man als Pädagoge schon etwas geschafft. Es geht nicht um die Masse. Es geht darum, ob man einzelnen Menschen beistehen und auf dem Weg helfen kann. Würde ich die Welt verändern wollen, dann wäre ich Politiker geworden. Ich möchte den Menschen etwas mitgeben, was ihnen auf ihrem Lebensweg Mut machen kann. Es gibt ganz viele Leute, Altenpfleger, Pflegekräfte von Menschen mit Behinderungen, die bekommen Mut und Kraft auch durch meine Lieder, um weiter ihre schlecht bezahlte Arbeit zu machen. Das wird einfach in dieser scheißkapitalistischen Welt, jetzt muss ich es mal so sagen, einfach ausgeklammert. Es ist natürlich auch der Kapitalismus, der uns derzeit so kaputt macht. Der Kapitalismus ist, das siehst du am Beispiel der USA ganz deutlich, der ist nicht auf den Seiten der Demokratie.
Aber wenn wir jetzt in Thüringen und Sachsen nicht die Anarchie ausrufen können oder eine Räterepublik - was würden Sie sich wünschen für diese beiden Bundesländer?
Wecker: Ich würde mir wünschen, dass wir mit sehr vielen Gruppen von Menschen versuchen, die Dinge zu ändern. Zum Beispiel bin ich eine bekennende Oma gegen rechts. Und ich war schon bei den Gründungen der Omas dabei in Wien damals. Und ich finde es so schön: Sie kommen immer wieder zu meinen Konzerten. Das ist einfach nur eines von vielen Beispielen, dass es natürlich auch sehr viele engagierte, mitfühlende, liebevolle und aufrechte Menschen gibt. Ich habe dieses große Glück, einigen dieser Menschen bei meinen Konzerten auch begegnen zu dürfen. Ich liebe mein Publikum.
Sie sind ja Zeitzeuge der 1968er Zeit und der linken Szene der 1970er. Da gab es ja auch eine starke Verbindung zu Palästina. Haben Sie das auch als antisemitisch wahrgenommen?
Wecker: Ich habe das eigentlich damals nicht als Antisemitismus erlebt. So wie ich es heute erlebe. Es war ein Widerstand gegen rechte Tendenzen, die schon damals im israelischen Staat und rechten Parteien existiert haben – übrigens kam der Widerstand auch von einheimischen Intellektuellen in Israel. Aber natürlich waren wir nicht gegen die Menschen in Israel. Oder gegen das Judentum. Ich war und bin auch mit einigen der wirklich großartigen linken israelischen Denker vernetzt und befreundet. Aber selbstverständlich gab es auch damals schon in einigen linken Sekten antisemitische Tendenzen. Auch mit diesen sollten wir uns kritisch auseinandersetzen.
Sie telefonieren mit mir aus Ihrem Haus in der Toskana. Dann wissen Sie ja, wie es unter einer rechtspopulistischen Regierung zugeht… bemerken Sie davon etwas im Alltag?
Wecker: Ja, ich lebe hier unter der faschistischen Regierungschefin Giorgia Meloni. Bisher spürt man es nicht. Vor allem hier in der Toskana nicht. Die Toskana war ja immer eine KPI-Gegend. Also eine Hochburg der Kommunistischen Partei. Das ist sie jetzt nicht mehr. Aber sie war immer sehr links. Bei mir in der Ecke spürt man nichts. Eher im Gegenteil: Es gibt jedes Jahr Erinnerungen an die faschistischen Gräuel der Deutschen und der Italiener. Daran beteilige ich mich auch immer wieder. Aber wahrscheinlich ist es in Sizilien ganz anders oder in Norditalien. Die Italiener haben ihren Faschismus nicht annähernd so gut aufgearbeitet wie wir in der 1968er-Zeit. Es gibt ja immer noch Mussolini-Gedenkorte und Manifestationen. Das muss man sich mal vorstellen.
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