Heidelberger Frühling

Altes Testament hat Zukunft

Fabian Müller interpretiert Bach

Von 
Hans-Günter Fischer
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Fabian Müller spielt das „Wohltempe-rierte Klavier“ von Bach. © Studio visuell

Dass zu seinen Lebzeiten enorme Fortschritte im Tasteninstrumentenbau gemacht wurden, hat Bach geradezu begeistert. Er war stets flexibel. Heute würde er über das Lagerdenken hinsichtlich der Wiedergabe seiner Stücke für „Klavier“ womöglich sehr erstaunt sein: „Darf“ man sie in unseren historisch immer besser informierten Zeiten nur auf einem Cembalo oder auch ohne größere Gewissensbisse auf einem modernen Flügel spielen? Selbstverständlich „darf“ man Letzteres.

Auch Fabian Müller sieht das so. Obwohl die großen Referenzen dieser Interpretationsrichtung – von Richter, Gulda und natürlich Gould – ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Vorsichtig geschätzt. Doch der noch junge Fabian Müller – er ist Jahrgang 1990 – führt das Erbe weiter, wie der Pianist aus Beethovens Geburtsstadt Bonn beim Heidelberger Frühling souverän unter Beweis stellt.

In einem Durchlauf

Müller hat sich für den Auftritt in der Neuen Universitäts-Aula den ersten Teil des „Wohltemperierten Klaviers“ erwählt, also den Zyklus, den wir Hörer nach den oft zitierten Worten Hans von Bülows als das „Alte Testament der abendländischen Klaviermusik“ verstehen und bewundern sollen. Müller spielt die Bach’sche Enzyklopädie der Tonarten in einem Durchlauf, was fast eindreiviertel Stunden dauert. Und bereits für sich genommen eine intellektuelle (und natürlich manuelle) Glanzleistung bedeutet.

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Müller setzt auf langen Atem, großen Zug und Sinn für vorwärtsdrängende Gesamtdramaturgie. Er besticht indessen auch durch seine Nachzeichnung der Typenvielfalt der Präludien. Dem berühmten einleitenden C-Dur-Stück mit seinem sanften Wellengang und weichen Lautengestus stellt er kontrastiv mit dem Präludium Nummer zwei (c-Moll) ein beid- und breithändiges „Mahlwerk“ mit Toccatenabschluss gegenüber.

Und so geht das, analytisch hinreichend präzise, immer weiter, auch wenn Müller nicht die röntgenstrahlenartige Durchdringung des Klaviersatzes erreicht, wie sie das Markenzeichen von Glenn Gould gewesen ist.

Der Zukunftsmusiker in Bach dringt dennoch immer wieder durch. Der Komponist, dessen Musik schon alle andere Musik in nuce in sich trug, die etwa „romantisch“ expressiv sein konnte (im es-Moll-Präludium), oder im h-Moll-Stück einen durchlaufenden „Walking Bass“ einführte, wie ihn „etwas“ später auch der Jazz verwendete. Die Schlussfuge stößt ohnehin die Tür zu einer neuen Welt auf. Fabian Müller öffnet sie entschlossen.

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