Literaturfestival

Katja Riemann bei Lesen-Hören in Mannheim: „Ich mache, was man mir sagt“

Diskussion vor vollem Haus: Zum Finale des Mannheimer Literaturfestivals Lesen.Hören spricht Kuratorin Insa Wilke mit der Schauspielerin Katja Riemann über deren Besuch in einem Flüchtlingslager

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Kluge Unterhaltung: Katja Riemann (links) und Insa Wilke. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Es steht ja, wann immer ein(e) Promi ein Buch schreibt, die Frage im Raum: Warum tut sie das? Will sie ihre Celebrity monetarisieren? Will ein Verlag, der ja immer mitverdient, dass sie es tut? Muss sie, weil dieses Werk einfach aus ihr raus muss? Oder macht sie es, weil sie eine Botschaft für die Welt hat, die sie in ihrem eigentlichen Metier nicht (so gut) verbreiten kann? Bei Schauspielerin Katja Riemann scheint das Müssen von außen gekommen zu sein: „Ich bin Schauspielerin. Ich mache, was man mir sagt“, bemerkt sie gleich zu Beginn dieses Festivalfinales von Lesen.Hören, das ihr, wie Moderatorin Insa Wilke bemerkt, quasi auch den Auftrag zum Schreiben erteilt habe.

Die Alte Feuerwache: knallvoll. Die Stimmung: gut bis ausgelassen. Sogar Lacher gibt es. Aber ganz stimmt die Sache mit dem Müssen natürlich nicht, denn Riemann hat eine Botschaft: Habt Mitgefühl. Seid Menschen. Seid Menschen, die sich für andere Menschen und Flüchtende interessieren, die helfen, offen sind und bereit, für andere und die Demokratie einzustehen.

Sie könnte den Laden allein rocken

Ihr Thema ist schließlich auch die „Zeit der Zäune - Orte der Flucht“, wie ihr aktuelles Buch heißt. Es geht darin um Riemanns Reisen in „Landschaften, Lager und Lebenssituationen“. Man kann in dem Werk, aus dem sie insgesamt drei Passagen liest, überaus humorvolle Pointen finden, die in ihrer Lustigkeit fast befremdlich wirken. Brauchen wir diese Auflockerung, um nicht in jene Falle zu tappen, die Kolumnistin Samira El Ouassil als „Mitgefühlsmüdigkeit“ beschrieben hat? Abstumpfung?

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Da sitzen sie also zwischen den vertikal prangenden Schriftzügen des Festivals. Rechts die eine, und Insa Wilke, Lesen.Hören-Kuratorin und mitten aus dem Literaturbetrieb, passt farblich bestens zur gelben Schrift (oder umgekehrt) von Hören. Und links sie: Katja Riemann. Auch bei ihr harmoniert der Hosenanzug perfekt mit den blauen Lettern von Lesen. Ein wunderschönes Setting zweier gepflegter Damen aus der gebildeten Gesellschaft. Nur das Thema ist unschön. Leider. Der Farbe-an-sich-Kontrast (sogar das Mikro passt) wird da ein wenig zur inhaltlichen Dissonanz.

Egal. Hier geht es ja schließlich um ein wirklich wichtiges Thema, das uns die kommenden Jahrzehnte allein durch Kriege und den von uns täglich vorangetriebenen Klimawandel noch sehr viel beschäftigen wird. Wilke stellt kluge Fragen an Riemann (und sieht sie dabei an). Und Riemann spricht ihre klugen Antworten - ganz Rampensau, die sie ist - direkt ins Publikum, weil sie natürlich weiß, dass die Leute (1.) ihretwegen da sind und außerdem (2.) sie den Laden hier auch locker allein rocken könnte.

Im Kern, sagt Riemann, habe sie, egal, wo sie hinkam, fasziniert, dass die Leute bei aller Not und Hoffnungslosigkeit einen enormen Willen zur Gestaltung hätten. Sie würden Zelte, Häuser, Schulen und auch Backöfen in die Erde bauen, einfach weil sie sich, obwohl nur ein Interim, in einem Leben einrichten müssten. Sie erzählt, wie Afghanen in einem Lager eine Lehrerschaft kreiert haben und heute 2400 Menschen unterrichten. Zwischendrin gibt es ein bisschen IKEA-, Google- und Politikerinnen-Bashing. Die Sätze sitzen, die Geschichten ebenso, in der Alten Feuerwache wird das Wohlsein einer Gruppe greifbar, die durch Selbstbestätigung ein Wir-Gefühl generiert.

Worte seien komplexer, langlebiger als (etwa TV)-Bilder, meint Riemann. Klar. Daher wäre wünschenswert, wenn vor allem jene Menschen Riemanns Buch lesen würden, die nicht ohnehin ähnlich dächten. Aber wie kommt man an die ran? Ist das vielleicht die eigentliche Mammutaufgabe, vor der wir alle stehen?

Zunächst aber dürfen wir uns über ein gelungenes Festivalfinale freuen.

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Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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