Festspiele Ludwigshafen

Bob Wilson verzaubert den Pfalzbau Ludwigshafen mit "Dorian"

Musik, Show und Schauspieler Christian Friedel führen in das Leben Oscar Wildes - und das seines "Dorian". Zwei Abende tobte das Publikum beim Gastspiel des Düsseldorfer Schauspielhaueses im ausverkauften Pfalzbau begeistert

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Ralf-Carl Langhals
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Besuch aus Düsseldorf und Dresden im Pfalzbau: Christian Friedel als „Dorian“ im Atelier seines magischen Malers Bob Wilson. © Lucie Jansch

Ludwigshafen. Was ein Abend. Der schwarze Kater Stanislaus geht um. Im Pfalzbau schleicht er während des Gastspiels des Düsseldorfer Schauspielhauses über die opulent ausgestattete Bühne. Musikalisch zumindest. Denn was Menschen niedrigerer Geburtsjahrgänge noch als lustigen Schlager von Siw Malmquist oder den Kessler Zwillingen kennen, heißt im Original und der Fassung von Woods of Birnam „Alley Cat“, also streunender Straßenkater, und ist musikalisches wie psychologisches Leitmotiv eines 90-minütigen Abends, den man in guter Erinnerung behalten wird.

Dass „Alley Cat“ im Englischen auch als „Bordsteinschwalbe“ zu verstehen ist, schadet der Interpretation nicht. Schließlich geht es um den irischen Literaten und Dandy Oscar Wilde und auch um seinen einzigen Roman „Das Bildnis des Dorian Grey“, der im viktorianischen England als höchst anrüchig galt - und auch Gegenstand des Unzuchtprozesses gegen ihn war.

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Ralf-Carl Langhals
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Robert Wilson, der große Bühnenmagier, der es seit Jahrzehnten wie kaum ein anderer versteht, sämtliche Kunstgenres in einer Hand zu verschmelzen, um daraus Großes zu machen, verquickt beide Geschichten, die des überästhetisierten homosexuellen Dichters und die des jungen Schönen Roman-Antihelden, der nicht altern will und dies seinem Gemälde überlässt.

Folglich lässt Wilson, der auch für Konzept, Regie, Bühne und Licht verantwortlich zeichnet, in seiner Düsseldorfer Arbeit die Handlung in einem Atelier einsetzen, das - bei ihm muss man „natürlich“ sagen - in Schwarz und Weiß gestaltet ist.

Darin treibt ein Zauberwesen sein eitles, launiges, narzisstisches und amüsant größenwahnsinniges Wesen, das im bürgerlichen Leben Christian Friedel heißt und als Schauspieler von seinen Rollen in „Das weiße Band“ oder „Babylon Berlin“ bekannt ist. Zur Seite hat er lediglich einen Schatten (Jeremia Franken) und eine Radiostimme (Darryl Pinckney), den großen Rest erzählt, erspielt, ersingt und ertänzelt er selbst. Und wie.

Ein Schauspieler, der alles kann

Friedel träumt und zetert, moduliert nicht nur seine Stimme von heißerem Flüstern bis ins höchste Falsett, sondern auch seinen Körper. Die stilprägende Wilson-Zeitlupe, vermag er mit Pathos, punktgenauem Showtanz zu brechen. Dichterworte und Aperçus übersetzt er in großen 80er Jahre-Pop. Im Ergebnis ist das in etwa so faszinierend, als ob Freddie Mercury, Klaus Nomi, Alphaville, Communards und Pet Shop Boys zu einer einzigen akustischen Skulptur reinen ästhetizistischen Wohlklangs werden. Das dient der Sache, dem Stoff und der Figur. Der Mann kann singen, steppen und sprechen, dass man keine der 90 pausenlosen Minuten im zweimal ausverkauften Pfalzbau langweilig nennen kann. Und das liegt auch am Tempi-Kenner Bob Wilson: Dessen Gespür für Timing, Übergänge und Modulation findet in Christian Friedel einen gelehrigen Meisterschüler.

Der Dichter selbst und Dorian lieben Lobeshymnen, Soupers, Champagner und den guten Geschmack. Wogegen er bei Geschmack- und Stillosigkeit töten könnte … Da gibt es eben auch die dunkle Seite des an der Oberfläche so schönen Menschen: den räudigen Straßenkater unter Seide und Damast …

Oscar Wildes Prosahauptwerk sucht Moral in Sinnlichkeit und Hedonismus. So manisch selbstgefällig wie die überfeinerten Thesen um Luxus und Eleganz auch sind, dass sie die Dekadenz der englischen Oberschicht gehörig auf den Nerv fühlt, darf man dabei nicht vergessen. Dass Wilde zu deren herausragendem exemplarischem Vertreter wurde, macht seine Betrachtungen nicht weniger klug, sondern im Hinblick auf die Anklagen, Prozesse und Gefängnisaufenthalte wie auf das eigene Ende nur noch tragischer.

Wilson und Friedel folgen Oscar Wildes ästhetischen Verfahren in moderner wie unterhaltsamer Form. Wie im Roman fließen auch in die Handlung des Theaterabends zusätzliche Kunstbemerkungen ein. Die Kunst um der Kunst willen wird zwar propagiert, lässt sich aber gleichsam als Kritik am Ästhetizismus lesen.

Dazwischen folgen harte Schläge, grausige Taten und Geschehnisse, die das Leben eben so bereit hält - auf der Bühne erfolgen sie fast schmerzhaft laut in akustischer Form.

Selten hat man den schillernden Reigen von Kunst, Zweck und Moral so unterhaltsam gesehen. Allenfalls bei René Pollesch, der mit Fabian Hinrichs nächste Woche im Pfalzbau zu Gast sein wird. Man nennt es gute Festivaldramaturgie.

Poesie in Reinstform

Dieser atemberaubende Düsseldorfer Ritt durch die Kunst ist auch einer durch deren schönsten Gewerke. Elegante Steifigkeit liefern bis zur letzten Paillette die Kostüme von Jacques Reynaud, die mystisch flimmernden Videos von Tomasz Jeziorski schaffen träumerische Weite und poetische Stille. Überhaupt das Licht! Sagen wir es mit dem nach der perfekten Schönheit suchenden Dichter: „Das Licht ist ziemlich vollkommen. Ist das nicht fabelhaft?“

Ist es. Sonnen scheinen hinter Nebelwänden, golden im Morgentau, weißsilbern glitzern Lüster und Champagnergläser. All das ist Poesie. Ist Literatur, Kunst, Philosophie und Humor. Früher nannte man das am Theater gute Unterhaltung. Schön war’s.

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Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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