Mannheim. Es knirscht, es knarzt, und es wirkt, als würde der Stahl ächzen. „Da herrschen ja auch Kräfte, die sind immens“, sagt Christian Fink, bleibt aber ganz gelassen. Dabei fährt, langsam, Zentimeter für Zentimeter, gerade ein 77 Tonnen schweres Teil auf den Auflieger seines Sattelschleppers. Denn die riesige Drehbohrmaschine, die seit fast fünf Monaten die Silhouette der Baustelle am Nationaltheater geprägt hat, wird wieder abtransportiert. „Eine Etappe ist damit zu Ende“, sagt dazu Marco Spies. Projektleiter der Generalsanierung vom Spielhaus.
Für Christian Fink, der seit 21 Jahre Schwertransporte fährt, ist das „nur Tagesgeschäft“ - aber für Zuschauer sieht es gigantisch aus. Dabei ist das 130 Tonnen schwere und rund 35 Meter hohe Spezialbaugerät für den Transport schon abgespeckt, sprich um einige Teile erleichtert worden, damit es überhaupt transportiert werden kann.
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Nun passt es gerade mal so unter den Traversen mit den dicken Baustromleitungen hindurch, die über der Baustellenzufahrt in der Hebelstraße hängen. Langsam arbeitet sich das Ungetüm auf seinen Ketten voran. Vier Bauarbeiter legen schwere Kunststoffplatten auf den Asphalt, um die Straßendecke zu schonen, heben sie hinter dem Kettenfahrzeug wieder auf, legen sie erneut vor seine Ketten - Stück für Stück. Um Bäume, Straßenschilder und Häuser nicht zu beschädigen, muss der Ausleger mit dem Bohrgerät kurze Zeit schräg gestellt werden. Mit zwei Hebeln steuert der Fahrer das Bohrgerät, mit kurzen Bewegungen ändert er die Richtung des tonnenschweren Gefährts, dann klettert es über eine kleine Rampe aus Kunststoffkeilen und Holz auf den Auslieger.
650 PS stark
26 Meter misst der. Christian Fink muss das Bohrgerät auf ihm noch mit schweren Eisenketten verzurren - und dann warten und warten. Auf die Straße darf die 650 PS starke Zugmaschine der Schwertransportspedition Giebel aus dem hessischen Eiterfeld erst nach einer TÜV-Überprüfung der Ladung und ab 22 Uhr, wenn weniger Verkehr auf den Autobahnen ist. „Gegen halb sechs oder sechs“ am Morgen, so rechnet der Fahrer, ist er dann in Emmering im oberbayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck, wo die Baufirma Implenia einen großen Standort hat und solches Spezialgerät lagert.
Komplett könnte der riesige Bohrer gar nicht transportiert werden. „Man muss den in Einzelteilen wegfahren, sonst käme er nicht über die maroden Brücken“, so Matthias Neuhaus, der Bauleiter von Implenia, die für die Tiefbauarbeiten am Nationaltheater verantwortlich ist.
„Im Rahmen der Möglichkeiten, wie das halt bei einem Bestandsgebäude so ist“ komme er voran, sagt Neuhaus. Immer wieder muss er derzeit die Tiefbauarbeiten unterbrechen, wenn der Verdacht auf Kampfmittelfunde auftaucht. Dazu müsse der Baugrund schichtweise abgesucht werden, denn im Zweiten Weltkrieg ist das Gelände - wie Luftbilder zeigen - stark bombardiert worden. Bislang tauchten aber nur Reste von Brandbomben und die Stahlhülle einer Sprengbombe auf. Doch jedem angezeigten Metallfund muss nachgegangen werden.
Zumindest gebohrt wird nun aber nicht mehr. „Eine Etappe“, sagt Marco Spies. Das Spezialgerät war für den, so nennt er den Fachbegriff, „Baugrubenverbau“ notwendig. Auf beziehungsweise unter dem Goetheplatz entstehen ja derzeit unterirdisch ein neuer Probesaal für das Orchester, einer für den Chor sowie Einspiel- und Einsingzimmer und Werkstätten. Dazu musste sich der Bohrer teilweise bis 9,50 Meter tief vorarbeiten durch Sand, Kies und Ton und Platz schaffen für Stahlträger, die dann - mit Ankern im Boden befestigt und mit Holz verstärkt - die Baugruben bilden.
Gerade Richtung Friedrichsring, wo unterirdische Werkstätten entstehen, ist der Aushub schon recht weit fortgeschritten - hier geht es auch nicht ganz so tief in den Untergrund wie an der Ecke Richtung Berliner Straße, wo die Proberäume liegen. „Insgesamt wird sich der Aushub auch noch bis Frühjahr hinziehen“, erklärt Spies: „Wir graben noch eine ganze Zeit, aber wir fahren das Material auch immer wieder ab“, sagt er mit Blick auf die sich vor dem Theater auftürmenden Berge von Erde und Steinen.
Darunter befindet sich auch nicht nur Aushub des alten Materials, mit dem man den Bauplatz - auf dem sich früher Tennisplätze auf dem gleichen Höhenniveau wie heute noch der Untere Luisenpark befanden - einst auffüllte. Teilweise sind auch ausgespülte Reste des Hochdruckdüseninjektionsverfahrens dabei, bei dem unter hohem Druck eine Betonemulsion in den Untergrund gedrückt wird. Das Verfahren wird beim Bau vom künftigen Orchesterprobensaal eingesetzt, der an der Seite des Nationaltheaters zum Unteren Luisenpark, wo früher Glasbausteine die Fassade im Erdgeschoss bildeten, unterirdisch entsteht. „Was da ausgespült wird, lassen wir abtrocknen, das wird dann auch abgefahren“, erklärt Spies.
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