Man kann das heute gar nicht mehr fassen: „Nach Neujahr wieder Winterspeisung“ lautet die Schlagzeile im Dezember 1946. Gleich daneben steht, dass „MM“-Mitarbeiter an die „Ärmsten der Notleidenden unserer Stadt Weihnachtsgrüße“ überbringen, um „im Dunkel der Notzeit den Glauben an die menschliche Solidarität zu stärken“. Das sei „ein Sonderauftrag zur praktischen sozialen Politik unseres Blattes“ – und diesem Auftrag fühlt sich der „Mannheimer Morgen“ seit 75 Jahren verpflichtet. Die Aktion „Wir wollen helfen“ ist dafür zu einem Markenzeichen geworden.
Zunächst stellen die Herausgeber Eitel Friedrich Freiherr von Schilling und Karl Ackermann Geld dafür zur Verfügung. Gleich nach der Zeitungsgründung und auch in den Jahren danach ist das so. 1949 berichtet der „Mannheimer Morgen“ etwa in eigener Sache von einer „Weihnachtsaktion für die Alten in den Bunkern und Kellern“, die man beschenkt habe.
Ein herzkrankes Kind
Aber als die Trümmer des Krieges aus dem Stadtbild verschwinden, da wächst auch die Bereitschaft der Bürger, einander finanziell zu helfen. Spontan geben 1958 nach einem „MM“-Bericht viele Mannheimer Geld für ein Kind mit angeborenem Herzfehler, dessen Leben allein durch eine Operation in den USA gerettet werden kann. Das nötige Geld kommt zusammen, und Günther Ebert, so heißt der Bub, überlebt!
Da zeigt sich: Die Bürger sind bereit, Not bei ihren Nachbarn zu lindern – wenn eine anerkannte Adresse für die korrekte Verwendung aller Gelder einsteht. „Das Ergebnis war so großartig, dass wir daran dachten, ein durch unsere Leser organisiertes unbürokratisches Hilfswerk fortzusetzen“, schreibt Karl Ackermann in seinen Erinnerungen: „Wir hegten die Vorstellung, dass die zersplitterte Stadtgesellschaft sich in gegenseitiger Anteilnahme wieder annähern sollte“.
Nach dem Bub folgen weitere Einzelfälle. Mit der Zeit erwächst daraus eine sich über das ganze Jahr erstreckende Aktion. 1964 wird sie als „Hilfsverein Mannheimer Morgen – Aktion Wir wollen helfen“ ins Vereinsregister eingetragen und stellt heute eine der ältesten Sozialwerke einer deutschen Tageszeitung und auch eine der größten dar, weil sie über Weihnachten hinaus alle zwölf Monate hilfreich tätig ist.
Dabei steht das „Wir“ zunächst für den „Mannheimer Morgen“. Lange ist der Herausgeber Rainer von Schilling Vorsitzender des Hilfsvereins, derzeit steht Florian Kranefuß, Vorsitzender der Geschäftsführung der Haas Mediengruppe, an der Spitze. Der juristisch von der Zeitung unabhängige Verein ist Träger der Aktion und als gemeinnützig anerkannt. Die Persönlichkeit an der Spitze macht deutlich, dass dahinter die ganze Zeitung steht. Sämtliche Personal- und Verwaltungskosten werden vom Verlag getragen, wodurch jeder Cent an Spenden Hilfsbedürftigen zu Gute kommt.
Aber das „Wir“ steht auch für die Mannheimer. Denn um helfen zu können, da bedarf es vieler Helfer. Doch die Mannheimer tragen diese Aktion mit. Sie spenden seit Jahrzehnten große und kleine Beträge – allein im vergangenen Jahr etwa eine halbe Million Euro! Das reicht von dem Basar mit Bastelarbeiten, dessen Erlös der Aktion zu Gute kommt, bis zur ansehnlichen Firmenspende oder dem Verzicht auf Geschenke bei Geburtstagen. Dazu kommen die jährlichen Konzerte der Musikhochschule und von Absolventum sowie das immense Engagement der Karnevalsgesellschaft Feuerio beim Blumepeterfest. Begonnen hat das 1966, als der „Mannheimer Morgen“ zu seinem 20-jährigen Bestehen den Mannheimern einen Brunnen und die bronzene Blumepeter-Plastik stiftet. Der Feuerio kommt dann auf die Idee eines Blumepeterfests, das von den Karnevalisten ehrenamtlich ausgerichtet wird, nur auf Spenden basiert und das seither dem „MM“-Hilfsverein einen wichtigen Teil der Jahreseinnahmen beschert.
Ohne diese Spenden gäbe es „Wir wollen helfen“ nicht. Deswegen ist klar: Nicht allein der „Mannheimer Morgen“ als Initiator, die Menschen dieser Stadt wollen wirklich helfen. „Es zeigte sich jedenfalls, dass wir hier in eine Lücke des sozialen Zusammenlebens gestoßen waren, die dringend der Schließung bedurfte“, blickte Karl Ackermann mal zufrieden auf die „Wir wollen helfen“-Gründung zurück.
Alles wird geprüft
Alle Spender tun dies in der Gewissheit, dass „Wir wollen helfen“ nur letzter Rettungsanker sein will und kann, wenn alle anderen Chancen auf Zahlungen von Behörden und Versicherungen wirklich ausgeschöpft sind. Jede Bitte eines Hilfesuchenden wird genau daraufhin geprüft, ob die Notlage begründet ist. Dazu erwartet die Aktion eine Aufstellung über die Einnahmen, aber auch Ausgaben, sprich was für Miete, Heizung, Telefon, Versicherungen, Ratenzahlungen abgebucht wird. Das ist zu belegen – mit Kopien von Sozialhilfe- oder Rentenbescheid, Bewilligungen von Wohngeld. Alles wird geprüft. Oft versucht die „MM“-Aktion auch, einen anderen Ausweg zu weisen. Sie will helfen, damit sich die Menschen wieder selbst helfen können – was sehr oft funktioniert und Mut macht.
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