Mannheim. Deutschland muss das Potenzial junger Menschen stärker nutzen, um im weltweiten Wettbewerb um Innovationen nicht abgehängt zu werden, mahnt Hauke Schwiezer, Mitgründer und Geschäftsführer der digitalen Bildungsplattform Startup Teens. Unternehmerisches Denken und Handeln sollte seiner Ansicht nach schon in Grundschulen gefördert werden.
Herr Schwiezer, Sie haben eine Vision entwickelt, wie Deutschland zum innovativsten Land der Welt werden kann. Wie groß ist der Nachholbedarf?
Hauke Schwiezer: Riesig. Es gibt eine Untersuchung, den Global Entrepreneurship Monitor. Er zeigt: In Ländern, in denen Unternehmertum schon in der Schulzeit vermittelt wird, gibt es später signifikant mehr Gründungen. Sie sind auch nachhaltig erfolgreicher. In diesem Monitor liegt Deutschland auf einem unglaublich schwachen 36. Platz. Es gibt zwar inzwischen gute Initiativen, die Unternehmertum bei Studierenden fördern. Aber das ist zu spät. Die Persönlichkeitsstruktur bildet sich nicht erst mit 20 aus.
Gründer und Autor
Hauke Schwiezer (43) ist Mitgründer und Geschäftsführer der digitalen Bildungsplattform Startup Teens.
Ihr Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler bei der Umsetzung eigener Geschäftsideen und Projekte zu unterstützen und damit das Gründungsgeschehen in Deutschland zu beleben.
Der gebürtige Heidelberger studierte BWL an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim.
Seinen Berufsstart hatte Schwiezer als Marketingleiter bei „Anpfiff ins Leben“, der Jugendinitiative von SAP-Mitgründer Dietmar Hopp.
Schwiezer ist Mitherausgeber und Mitautor des Buchs „Zukunftsrepublik: 80 Vorausdenker*innen springen in das Jahr 2030“, das kürzlich im Campus-Verlag erschienen ist. tat (Bild: Frauke Schumann/Startup Teens)
Ihrer Ansicht nach fängt die Misere schon im Kindergarten an. Was läuft da schief?
Schwiezer: Wir neigen in Deutschland sehr dazu, Schwächen zu stärken. Keine einzige wissenschaftliche Studie belegt, dass Mädchen in Naturwissenschaften weniger talentiert sind als Jungs. Trotzdem suggerieren wir ihnen spätestens mit fünf, sechs Jahren, dass das so ist. Dadurch gehen die Interessen auseinander – und diese Schere holen wir nie wieder ein. Damit haben wir aber schon 50 Prozent der Heranwachsenden für Themen verloren, die absolut zukunftsrelevant sind.
Was muss sich ändern?
Schwiezer: In anderen Ländern werden naturwissenschaftliche und mathematische Talente schon im Kindergartenalter gefördert – unabhängig vom Geschlecht. Die Kinder werden außerdem an digitale Themen herangeführt. In Deutschland gibt es zwar einige Leuchtturmprojekte – wie den wunderbaren Kindergarten von Dietmar Hopp in Zuzenhausen. Aber bundesweit sind wir im internationalen Vergleich absolut nicht auf einem modernen, pädagogischen Stand.
Sie plädieren für 24-Stunden-Kindergärten. Das klingt für manche Eltern vermutlich eher gruselig.
Schwiezer: Das heißt natürlich nicht, dass die Kinder dort 24 Stunden sein sollen. Aber die Flexibilität des Arbeitens wird stark zunehmen, Eltern brauchen dann entsprechende Betreuungsangebote. Wenn jemand um vier Uhr morgens anfängt, soll er die Möglichkeit haben, sein Kind schon am Vorabend abzugeben. Die Kinder sollen optimal betreut werden, und das ist zu Hause nicht immer der Fall, wenn beide Eltern berufstätig sind.
Unternehmertum sollte schon in der Grundschule gefördert werden, sagen Sie. Wie sieht das aus?
Schwiezer: Das kann man in den USA sehen. Dort gibt es in Schulen den Lemonade’s Day. Kinder zwischen acht und zwölf Jahren lernen an einem Tag, wie sie Limonade herstellen. Sie überlegen: Was muss ich einkaufen? Wie sehen Produktion und Vermarktung aus? Wie läuft das Abrechnen? So kommen sie spielerisch in Kontakt damit, wie man ein Produkt auf den Markt bringt. Es ist nicht verwunderlich, dass in den USA ein Viertel der Einhörner – also Firmen, die später mehr als eine Milliarde wert sind – von Menschen zwischen 19 und 24 Jahren gegründet werden.
Ziehen wir so nicht eine Generation Mini-Kapitalisten heran, die nur Wettbewerb und Gewinne im Kopf hat?
Schwiezer: Das hängt davon ab, in welchem Wertekorridor man junge Menschen erzieht. Ich glaube, dauerhaft werden sich nur Produkte mit nachhaltiger Wertschöpfungskette durchsetzen. Das schließt einen entsprechenden Umgang mit Kunden und Mitarbeitenden ein. Es geht mir nicht darum, dass jeder Unternehmer werden muss. Aber auch wer Lehrer oder Politikerin werden will, sollte befähigt sein, die eigenen Ideen umzusetzen.
Mit Ihrer Initiative Startup Teens unterstützen Sie Schülerinnen und Schüler unter anderem bei Gründungen. Was ist das Konzept?
Schwiezer: Wir bringen 14- bis 19-Jährigen bei, ihre Ideen umzusetzen – unter anderem durch Mentoring, Ideencamps oder Lehrvideos. Es gibt drei Zielgruppen: potenzielle Gründer, Unternehmensnachfolger und Intrapreneure – also innovativ handelnde Beschäftigte. Ganz wichtig ist, dass alle Jugendlichen mitmachen können, völlig unabhängig von der sozialen Herkunft.
Aus Ihrer Sicht sollte in jeder Firma mindestens ein Vorstandsmitglied jünger als 25 sein. Warum?
Schwiezer: Wir müssen das Potenzial der Generation Z nutzen. Sie ist die erste, die durch ihre Kompetenzen als „Digital Natives“ einen Vorsprung gegenüber älteren Generationen hat. Sie sieht Märkte, Produkte und Dienstleistungen oft früher – kann sie in der Regel aber nicht allein umsetzen. Deshalb sind gemischte Teams enorm wichtig.
Unterschätzen wir das Potenzial von jungen Menschen?
Schwiezer: Leider ja. Einer Umfrage nach können sich 64 Prozent der Generation Z vorstellen, eine eigene Firma zu gründen – aber nur sieben Prozent tun es. Begründung: Sie fühlen sich durch die Schule nicht befähigt, eigene Ideen umzusetzen, und wählen deshalb den sicheren Weg. Stellen Sie sich vor: Immer mehr junge Menschen in Deutschland wollen Beamte werden! In einem Land, das kaum Rohstoffe hat außer sein geistiges Kapital, ist das schwierig. Wir brauchen mehr junge Innovatoren. Im Moment leben wir von der Substanz.
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