Christoph Hambloch kennt sich mit dem Kartoffelmarkt wie kein anderer aus – er ist Marktanalyst und erklärt den Landwirten, wie sich die Preise entwickeln.
Herr Hambloch, in der Pfalz werden die ersten Frühkartoffeln geerntet. Die Inflation ist hoch, Lebensmittel werden teurer, die neuen Kartoffeln auch?
Christoph Hambloch: Klar sind Frühkartoffeln im Juni immer teurer als Lagerkartoffeln im März. Aber das hat wenig mit der Inflation zu tun. Bei den Kartoffeln bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Die Verbraucher haben beispielsweise im Juni 2019 und 2020 im Schnitt mehr für Kartoffeln bezahlt als derzeit – und gegenüber dem Vorjahr ist der Abstand nicht sehr groß. Was leicht durchschlägt, sind etwas höhere Transport- und Verpackungskosten. Folie kostet zum Beispiel mehr als vor einem Jahr. Aber ab jetzt werden Frühkartoffeln mit der Ernte in Deutschland langsam aber sicher etwas günstiger.
Experte für die Knolle
- Christoph Hambloch beobachtet seit über 25 Jahren als Analyst den Kartoffelmarkt.
- Der Rheinländer ist Agrarwissenschaftler mit mehreren Funktion in der Branche.
- Hauptberuflich ist er für die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft mbH (AMI) in Bonn tätig.
Und wie sieht es mit der Haupternte aus?
Hambloch: Das entscheidet sich erst im September. Dann wissen wir, wie die Ernte ausfällt. Der Preis hängt davon ab, wie gut die Knollen jetzt noch wachsen. Da können ein heftiges Unwetter oder eine zweiwöchige Dürre ganz schnell alles auf den Kopf stellen. Das Naturprodukt steht ja völlig ungeschützt draußen auf dem Feld und muss erst mal eingebracht werden.
Wie setzt sich der Kartoffelpreis zusammen?
Hambloch: Das eine ist der Preis für den Rohstoff Kartoffel, wie er beim Packbetrieb angeliefert wird. Der hängt von den Erntemengen im In- und Ausland ab. Dann kommen die weiteren Kosten für Verpackung, Transport und die Handelsspannen dazu. Der Kartoffelversender, der Abpacker und der Lebensmitteleinzelhandel wollen alle etwas an der Kartoffel verdienen. So werden aus 52 bis 54 Cent je Kilogramm Kartoffeln ab Feld bis zu 1,50 Euro im Geschäft.
Landwirte beklagen oft, dass die Marktmacht der Handelskonzerne zu groß ist und die Preise gedrückt werden.
Hambloch: Der Handel will natürlich günstig einkaufen, um den Verbrauchern niedrige Preise anzubieten. Da es nur fünf oder sechs große Konzerne gibt, haben diese eine gewisse Marktmacht. Wenn einer der Großen entscheidet, nur noch regionale Kartoffeln anzubieten, dann hätte Niedersachsen als größtes deutsches Versandgebiet plötzlich keinen ausreichend großen Markt mehr. Die Kartoffelpreise schwanken stark und liegen immer mal wieder unter den Produktionskosten. Es kann aber auch passieren, dass deutlich mehr verdient wird, etwa weil es kaum Importware oder eine zu kleine Ernte gibt. Das weiß der Landwirt aber nicht, wenn er das Pflanzgut im Frühjahr in die Erde steckt.
Was macht ein Marktanalyst für Kartoffeln genau?
Hambloch: Ich beobachte den Kartoffelmarkt in Europa– und berichte der gesamten Branche über das, was ich so sehe. Ich werte amtliche und private Statistiken aus, vergleiche die Entwicklungen bei Angebot, Kosten und Verbrauchsverhalten. Ein Teil der Arbeit ist auch netzwerken, Gespräche mit Landwirten. Aus all den Informationen mache ich mir ein Bild der Lage und gebe Preisprognosen. Die können sich ständig wie an der Börse für Stahl oder Kohle ändern.
Werden Kartoffeln an der Börse gehandelt, wird mit ihnen spekuliert wie mit Öl oder Kaffee?
Hambloch: Nein, denn Kartoffeln lassen sich nicht so lange lagern. Aber es gibt eine Warenterminbörse in Leipzig, da werden Kartoffeln als Frittenrohstoff gehandelt. Das sind standardisierte Produkte, Größe, Stärkegehalt und Sorten sind genau definiert. Die Kartoffeln dafür kommen aus dem „Frittengürtel“: Norddeutschland, Belgien, Niederlande und Nordfrankreich.
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Da könnte ich also auch mitspekulieren?
Hambloch: Da kann man auch als Zahnarzt oder Journalistin Kartoffelkontrakte kaufen und wieder verkaufen. Das ist allerdings die Ausnahme. In der Regel sind es Landwirte, die ihre Kartoffeln an einem bestimmten Termin zu einem bestimmten Preis verkaufen wollen, und Frittenproduzenten, die ihre Rohstoffkosten steuern wollen. Es geht vor allem um Preissicherheit.
Welche Rolle spielt der Ukraine-Krieg? Weizen oder Mais könnten knapp werden, weil die Ukraine als wichtiges Anbau-gebiet ausfällt. Betrifft das auch Kartoffeln?
Hambloch: Nein. Wegen der Sorge vor Quarantäne-Krankheiten dürfen keine Kartoffeln in die EU eingeführt werden. Ausnahmen sind wenige Länder wie Israel, Ägypten oder Marokko. Es gibt also keine Importe aus der Ukraine oder Russland.
Hängt die gute, alte Kartoffel auch von Konsumtrends ab?
Hambloch: Über die Jahre wurden leider immer weniger Kartoffeln verkauft. Jedes Jahr ging der Konsum um zwei bis drei Prozent zurück. Die Verbraucher wollen heutzutage, dass es schnell geht – Nudeln muss man halt nicht schälen. 2020 gab es eine Kehrtwende, weil die Leute in der Pandemie mehr zu Hause gekocht haben. In den letzten beiden Jahren gab es Zuwächse von bis zu 20 Prozent gegenüber 2019. Neu ist in diesem Jahr, dass der Preis eine so große Rolle spielt. Die Premium-Speisefrühkartoffeln aus Israel wollte zum Beispiel keiner haben. Die Verbraucher sind sehr preissensibel geworden.
Was ist denn die Lieblings- kartoffel der Deutschen?
Hambloch: Das kann man so nicht sagen, weil es im Einzelhandel wenig Auswahl gibt. Da muss die Kundschaft meist kaufen, was angeboten wird. Zu den meistverkauften Sorten dürften Belana, Annabelle und Gala zählen. Beim Hofverkauf zeigen sich große regionale Unterschiede. In Sachsen oder Thüringen wird eher eine mehligkochende Kartoffel gekauft. In Niedersachsen beharren die Verbraucher auf festkochende.
Sie beschäftigen sich den ganzen Tag mit Kartoffeln, kommen die bei Ihnen noch auf den Tisch?
Hambloch: Natürlich! Bei uns im Rheinland isst man gerne Salzkartoffeln mit Soße. Pellkartoffeln mit Dip finde ich vor allem im Sommer klasse. Für mich als Ausdauersportler sind Kartoffeln ein Superfood. Man kann auch eine Kartoffelparty statt einer Pastaparty vor einem Marathon machen. Außerdem habe ich über die Kartoffel meine Frau kennengelernt, bei einem Spezialseminar. Sie stammt aus einem Kartoffel-Großhandel. Da kann ich mich nicht von der Kartoffel abwenden …
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