Rhein-Neckar. Noch nie mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher so viel Geld für Heizung, Strom und Sprit bezahlen: Binnen eines Jahres sind die Energiekosten in Deutschland nach Angaben des Heidelberger Vergleichsportals Verivox um mehr als ein Drittel gestiegen. Auch in der Rhein-Neckar-Region haben zahlreiche Kunden bereits Post von ihrem Versorger bekommen, in der dieser Preiserhöhungen ankündigt. Wie hoch sie ausfallen, was die Gründe dafür sind, und was man dagegen tun kann im Überblick.
Um wie viel teurer wird Gas im nächsten Jahr?
Die Preise der Grundversorgungstarife steigen im Durchschnitt um mehr als ein Fünftel, teilt Lundquist Neubauer von Verivox mit. „Nahezu jeder Grundversorger hat seine Preise angepasst“, sagt er. Konkret heißt das, dass deutschlandweit von rund 720 Anbietern 612 mehr Geld verlangen. Und zwar im Schnitt 21,2 Prozent, hat Verivox errechnet. Für einen Musterhaushalt mit vier Personen und einem Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden bedeutet das durchschnittlich Mehrkosten von mehr als 300 Euro pro Jahr. „Das ist schon außergewöhnlich“, so Neubauer. „Das ist ein Wert, den wir noch nie hatten.“
Warum steigen die Preise so stark?
„Die Erhöhungen haben fast nur eine Ursache: die extrem gestiegenen Gaspreise im Großhandel“, sagt Neubauer. In manchen Segmenten habe sich der Preis versiebenfacht. Grund dafür wiederum sei vor allen Dingen die Coronakrise beziehungsweise der nach den drastischen Einbußen erfolgte wirtschaftliche Aufschwung, der in wichtigen Ländern schneller als gedacht eingetreten sei: „Dadurch ist die Nachfrage extrem gestiegen, das Angebot ist aber sehr knapp.“ Die Folge: steigende Preise. „Und die geben die Versorger an die Verbraucher weiter.“
Warum ist der Anstieg von Versorger zu Versorger unterschiedlich?
Das hängt mit den unterschiedlichen Beschaffungsstrategien der Unternehmen zusammen, die sich teilweise Jahre im Voraus Gaskapazitäten sichern: „Wer langfristig plant, kann kurzfristige Schwankungen besser abfedern“, sagt Neubauer. Versorger, die überwiegend auf kurzfristige Verträge setzen, könnten dagegen echte wirtschaftliche Probleme bekommen. Ein Anbieter habe seinen Tarif sogar um 142 Prozent erhöht, erzählt Neubauer. „Das ist sehr unüblich.“ Andere, wie beispielsweise die Stadtwerke Viernheim, haben ihre Preise gleich zweimal hintereinander erhöht. Manche sogar drei Mal.
Wie ist die Preisentwicklung bei den Stromtarifen?
Etwas entspannter – allerdings auf einem sehr hohen Niveau. Von den rund 800 Anbietern in Deutschland haben Verivox zufolge 293 Preiserhöhungen angekündigt – im Durchschnitt um 7,8 Prozent. Umgerechnet auf einen Vier-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 4000 Kilowattstunden heißt das: zusätzliche Kosten von mehr als 100 Euro pro Jahr. 33 Unternehmen wollen ihre Preise dagegen senken – im Schnitt um 2,4 Prozent. „Unterm Strich steigen die Kosten also auch da weiter an“, sagt Neubauer. Und das, obwohl die Bundesrepublik schon heute „Strompreis-Weltmeister“ ist, wie er es nennt: Im internationalen Vergleich seien die Preise nirgendwo höher.
Warum wird es auch hier teilweise teurer?
Hohe Kosten für CO2-Zertifikate, ein witterungsmäßig schlechtes Jahr für die erneuerbaren Energien und deren schleppender Ausbau haben unter anderem die Großhandelspreise für Strom stark ansteigen lassen, erklärt Neubauer. Zwar sinkt die sogenannte EEG-Umlage – mit der die Verbraucherinnen und Verbraucher über ihre Stromrechnung den Ausbau der erneuerbaren Energien finanzieren – im kommenden Jahr etwas. Andererseits steigen Neubauer zufolge die Netzentgelte, die etwa ein Viertel des Preises ausmachen, um rund zwei Prozent.
Wie können die Verbraucherinnen und Verbraucher reagieren?
Das ist aktuell sehr schwierig, sagt Matthias Bauer, Energieexperte bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Während früher häufig geraten wurde, den Versorger zu wechseln, sagt er nun: „Zurzeit haben Sie bei einem Anbieterwechsel kaum noch eine Ersparnis.“ Außerdem sei es sehr schwierig, eine attraktive Alternative zu den in der Regel relativ hohen Grundversorgungstarifen zu finden. „Die Vergleichsportale bilden nur wenige Tarife ab – und das teilweise auch noch fehlerhaft“, sagt Bauer. „Darum dienen sie höchstens als erste Orientierung.“ Besser sei es, sich bei ortsnahen Anbietern selbst nach günstigen Tarifen zu erkundigen. Und er rät dazu, sich nicht zu lange zu binden: „Maximal zwölf Monate Erstvertragslaufzeit“, empfiehlt er: „So kann man die Aufruhrlage aussitzen.“ Und sich dann neu orientieren.
Und wie wird es in Zukunft weitergehen?
Beim Gas ist Verivox-Sprecher Neubauer vorsichtig optimistisch, dass sich nach dem Ende der Heizperiode im Frühjahr die Preise etwas entspannen könnten. Zu viel erhoffen sollten sich die Kunden allerdings nicht: „Die Preise von vor zwei Jahren werden wir eher nicht erreichen“, sagt er. „Mittel- bis langfristig ist weiter mit einem höheren Niveau zu rechnen.“
Und auch beim Strom dämpft er die Erwartungen: Zwar hat die neue Ampel-Koalition angekündigt, dass sie die EEG-Umlage ab 2023 komplett streichen und so die Stromkosten senken will. „Das wird aber nicht zu einer nachhaltigen Entlastung führen“, sagt Neubauer. Denn andererseits rechnet er – da im Zuge der Energiewende die Leitungen ausgebaut werden müssten – mit steigenden Netzentgelten. Gleichzeitig werde sich auch die Stromnachfrage, etwa wegen der aufkommenden Elektromobilität, künftig erhöhen – während Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Darum blickt Neubauer eher skeptisch in die Zukunft: „Perspektivisch geht es eher weiter nach oben.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Ankündigungen reichen zur Bekämpfung der Energiepreise nicht