Interview

Sparen wir wirklich genug Gas?

Die Berliner Energie-Expertin Claudia Kemfert hat eine klare Meinung zum Verhalten der Verbraucher und erklärt, welche Rolle dabei die Bundesregierung spielt

Von 
Walter Serif
Lesedauer: 
Über den Dächern von Berlin: die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert, die beim DIW Berlin die Fachfrau für die Themen Energie, Klima und Umwelt ist. © Oliver Betke

Berlin. Frau Kemfert, fangen wir gleich mit der Gretchenfrage an: Glauben Sie, dass wir in Deutschland gut durch den Winter kommen – oder müssen wir alle frieren?

Claudia Kemfert: Momentan bin ich da eher optimistisch. Wir beziehen aus mehreren Ländern genügend Gas und können damit den Ausfall der Lieferungen aus Russland kompensieren. Gegenwärtig sind die Gasspeicher fast voll . . .

… und auch der Gaspreis ist im Vergleich zum Sommer inzwischen enorm gefallen …

Kemfert: . . . dennoch bin ich noch nicht zufrieden. Denn wir sparen noch immer zu wenig Gas. Dabei kann es nur ein Motto geben: Wir müssen sparen, sparen, sparen. Niemand weiß, wie kalt der Winter wird. Wir müssen alles tun, damit die Sparbereitschaft deutlich zunimmt.

Wie viel Energie müssen wir denn einsparen? 20 oder 30 Prozent?

Kemfert: Mindestens 20 Prozent, dieses Ziel hat sich ja die Europäische Union auf Basis der Prognosen gesetzt. Sonst droht eine Gasmangellage, die wir alle unbedingt verhindern wollen. Deutschland sollte das Ziel umsetzen und auch erfüllen.

Ich habe aber den Eindruck, dass es die Bundesregierung beim Thema Energiesparen bei Appellen belässt und damit den Eindruck erweckt, dass alles gut gehen wird.

Kemfert: Es ist sogar schlimmer. Die Bundesregierung setzt mit missverständlichen Begriffen auch noch das falsche Signal.

Das müssen Sie jetzt erklären.

Kemfert: Ich meine die Gaspreisbremse. Der Begriff suggeriert, dass der Staat 80 Prozent der Gasrechnung bezahlt. Viele denken deshalb, dann kann ich weiter Energie verschwenden, weil ich ja nur 20 Prozent selber tragen muss.

Newsletter "MM Business" - kostenlos anmelden!

Aber das stimmt doch nicht. In Wirklichkeit ersetzt der Staat nur 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Wer mehr heizt als 2021, muss dann auch mehr bezahlen.

Kemfert: Moment. Hier zeigt sich schon die verwirrende Kommunikation: Der Staat ersetzt nicht den Vorjahresverbrauch, sondern würde garantieren, dass für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs derselbe Preis wie letztes Jahr gezahlt werden muss; die restlichen 20 Prozent werden so teuer, wie die Gaspreise auf dem Weltmarkt dann eben sind. Also doppelt so hoch oder höher als letztes Jahr. Menschen mit mittlerem oder hohem Einkommen können sich solche Mehrkosten leisten, und werden wohl nicht ausreichend sparen. Aber Menschen mit niedrigem Einkommen werden stark darunter leiden.

Wie meinen Sie das?

Kemfert: Ein Drittel der unteren Einkommensschichten hat so wenig Geld und kann oft im Winter ohnehin nur begrenzt heizen. Wo sollen die denn noch Energie sparen? Ihnen machen die ungedeckelten 20 Prozent Rest Angst: Welche Nachzahlungen kommen am Ende auf sie zu? Deswegen wäre hier eine direkte finanzielle Unterstützung viel besser. Anders ist das beim mittleren und oberen Drittel der Gesellschaft sowie in der Wirtschaft.

Inwiefern?

Kemfert: Menschen mit höheren Einkommen haben größere Wohnungen, verbrauchen deutlich mehr Energie, nicht weil sie müssen, sondern weil sie es sich leisten können. Hier gibt es vielfach enorme Einsparmöglichkeiten. Statt also den Energiepreis der Reicheren zu deckeln und die Verschwendung der letzten Jahre fortzuschreiben, sollte man lieber eine Prämie fürs Sparen zahlen. Den Menschen würde somit deutlich vermittelt: Energiesparen ist das Allerwichtigste! Und unterm Strich wäre beides zusammen – Energiegeld für die Ärmeren, Sparprämien für die Reicheren – für den Staatshaushalt deutlich billiger als dieser opulente Gaspreisdeckel. Wir müssen die Kosten reduzieren, nicht die Preise!

Die Politik hat sich schon bei der gescheiterten Gasumlage nicht mit Ruhm bekleckert. Auch bei der Gaspreisbremse hat es vor der Einigung viel Streit gegeben.

Kemfert: Ja, das beunruhigt mich auch. Es könnte alles so einfach gehen. Der Staat könnte mit Pauschalen und Prämien die Verbraucher und die Wirtschaft entlasten und für ihre Sparbemühungen belohnen. Wir haben beim Energiegeld gesehen, wie unkompliziert das ging. Es ist mir ein Rätsel, wieso die Politik es so kompliziert macht. Die Versorger schlagen schon die Hände über die Köpfe. Die Einigung darauf . . .

… dass der Staat die Abschlagzahlung im Dezember übernimmt und der Verbraucher dann einen Monat nichts zahlen muss …

Kemfert: . . . ist für die Versorger mit erheblichem Aufwand verbunden. Es wäre so viel einfacher, wenn der Staat wie beim Energiegeld eine Pauschale auszahlt. Das hätte dann auch noch den Vorteil, dass dieses besteuert würde.

Die Gutverdiener würden dann nicht so sehr profitieren wie das untere Drittel.

Kemfert: So ist es. Man kann mit einer Pro-Kopf-Zahlung schon etwas erreichen. Eine Alternative wäre, dass nur das untere Drittel Geld bekommt oder zusätzlich eine Leistung erhält. Im Vergleich dazu sind die bisherigen Pläne für die Umsetzung der Gaspreisbremse sehr umständlich und auch sozial ungerecht. Wer viel verdient, kann weiter viel Gas verbrauchen und bekommt dafür sogar noch Geld vom Staat.

Die Unternehmen haben sich mit Ihrer Forderung durchgesetzt; Sie profitieren jetzt schon ab Januar von der staatlichen Hilfe. Wie sehen Sie das?

Kemfert: Das kann ich nachvollziehen. Unternehmen sollten aber nur dann entlastet werden, wenn sie nachweisen können, dass sie bereits Energie einsparen. Das wäre dann eine zielgerechte Belohnung. Dies wäre besser als die unendlich teure Subventionierung von fossilen Preisen. Wenn wir aus der Krise herauskommen wollen, müssen sich auch die Unternehmen mehr anstrengen.

Wie bewerten Sie denn die Entscheidung der Ampel zu den drei Atomkraftwerken, die bis März 2023 weiterlaufen sollen?

Kemfert: Selbst die Energiekonzerne haben ja nicht gerade begeistert auf diese Entwicklung reagiert. Ich persönlich halte das Weiterlaufen der AKW für den falschen Weg. Die politischen und ökonomischen Kosten stehen nach meiner Ansicht in keinem Verhältnis zum Ertrag.

Weil die Atomkraftwerke nur sechs Prozent des Stroms in Deutschland produzieren?

Kemfert: Auch. Die Kosten summieren sich, politisch wie ökonomisch. Sicherheitstechnische Überprüfungen müssen nachgeholt werden, sie wurden nur deshalb ausgesetzt, weil sie in Kürze vom Netz sollen. Wir sehen in Frankreich, wie viele AKW dort wegen Mängeln ständig vom Netz gehen. Zudem läuft auch der Streckbetrieb nicht von allein. Man braucht viel Personal dafür. Wissen Sie, was mich in diesem Zusammenhang besonders wundert?

Erzählen Sie es mir.

Kemfert: Wenn man ernsthaft diese Energiekrise meistern will, frage ich mich, warum sich die Bundesregierung nicht mit einem ähnlich hohen Einsatz für den Ausbau der Windenergie einsetzt. Gegenwärtig sind Anlagen mit einer Leistung von zehn Gigawatt im Genehmigungsverfahren, also die doppelte Menge, die die Atomkraft liefern kann. Warum beschleunigt man diese Verfahren nicht? Beim Bau der LNG-Terminals für Flüssiggas ging das auch im Rekordtempo. In Wahrheit hält uns diese Debatte über die Atomenergie nur auf. Und gerade bei denjenigen, die behaupten, dass sie da völlig ideologiefrei vorgehen . . .

… Sie meinen jetzt die FDP …

Kemfert: … müssten doch genau solche Lösungen auch im Blick haben, wenn es rein rational zuginge.

Mehr zum Thema

Energiespar-Serie

Mit diesen Maßnahmen wird ein Einfamilienhaus energieeffizient

Veröffentlicht
Mehr erfahren
Energiespar-Serie

Wie und wo die Stadt Mannheim ihre Energieverbräuche senkt - und wo das bereits gescheitert ist

Veröffentlicht
Von
Martin Geiger
Mehr erfahren
Bund-Länder-Verhandlung

Preisbremse soll früher greifen

Veröffentlicht
Von
Jan Dörner
Mehr erfahren

Neben der Gaspreisbremse soll es ja auch eine Strompreisbremse geben. Halten Sie das für sinnvoll?

Kemfert: Ich bin immer vorsichtig, wenn es um Eingriffe in Marktpreise geht. Das gilt für Gas und Strom gleichermaßen. Preise sind ja auch immer ein Ausdruck von Knappheit. Beim Strom gibt es aber Sonderfaktoren, weshalb hohe Mitnahmeeffekte zu verzeichnen sind. Die EU will deshalb nicht den Preis deckeln, sondern die Übergewinne abschöpfen. Das halte ich für den vernünftigeren Weg. Der Strompreis richtet sich nach dem Preis, zu dem die teuren Gaskraftwerke liefern können.

Das ist das ominöse Merit-Order- Prinzip, wie es so schön auf Neudeutsch heißt.

Kemfert: Dieses Prinzip muss auf jeden Fall reformiert werden. Derzeit bestimmen teure Gaskraftwerke den Preis, Anlagen ohne Grenzkosten senken den Strompreis an der Börse. In Zukunft brauchen wir Marktpreise, die versorgungssicheren Strom aus erneuerbaren Energien genauso entlohnen wie Speicher oder Nachfrageanpassungen. Das ist kompliziert, muss europäisch geregelt werden und sollte auf keinen Fall zwischen Tür und Angel mal eben schnell gemacht werden.

Letzte Frage: Wie ernst nehmen Sie die Warnungen vor einem Blackout im Stromnetz?

Kemfert: Ich warne vor Panikmache, sondern werbe für besonnene Rationalität. Die Stromnetzbetreiber haben sich mit den Risiken ausführlich beschäftigt und Entwarnung gegeben. Ich sehe es genauso. Selbst in extremen Situationen gibt es ausreichend Strom. Auch ein Atomausstieg bis Ende des Jahres wäre umsetzbar. Wir haben eher ein Stromverteilungsproblem; im Süden Deutschlands gibt es eine Ökostromlücke, die es schnell zu schließen gilt. Vor allem Bayern hat zu wenig Windenergie installiert. Im allerschlimmsten Fall kann es dort dazu kommen, dass Strom für wenige Stunden abgeschaltet werden muss. Das halte ich aber für extrem unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu Frankreich übrigens, das wegen Atomkraft jede Menge Blackouts ertragen muss.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen