Walldorf. Europas größter Softwarehersteller SAP will künftig verstärkt auf Künstliche Intelligenz (KI) setzen - und deshalb stark umstrukturieren. Weltweit betrifft das rund 8000 Stellen, wie der Konzern bereits im Januar angekündigt hatte. Nun sickert durch, wie stark Deutschland betroffen sein könnte.
Laut „Handelsblatt“ fallen hierzulande 2600 Stellen weg. Die Zeitung beruft sich auf eine Mail des Europäischen Betriebsrats. SAP beschäftigt in Deutschland rund 25.000 Menschen, den Großteil davon am Stammsitz Walldorf und in St. Leon-Rot.
4100 Stellen fallen bei SAP in Europa weg
Entsprechend stark dürften die Einschnitte hier zu spüren sein. Auch in anderen europäischen Ländern sind Kürzungen geplant, im gesamten Verantwortungsbereich des Europäischen Betriebsrats sollen 4100 Stellen gestrichen werden.
SAP hatte bereits 2023 und in den Jahren davor Hunderte Stellen weltweit abgebaut, um sich stärker auf Wachstumsbereiche zu konzentrieren. Dabei sind großzügige Abfindungsprogramme die Regel.
Viele Kolleginnen und Kollegen freuen sich, dass sie vorzeitig und mit guten Konditionen in den Vorruhestand gehen können
Das bestätigt auch Eberhard Schick, Betriebsratsvorsitzender der SAP SE: „Viele Kolleginnen und Kollegen freuen sich, dass sie vorzeitig und mit guten Konditionen in den Vorruhestand gehen können.“ Gleichzeitig gibt er dem Management Forderungen mit auf den Weg. „Für die Kolleginnen und Kollegen, die weiterarbeiten, ist es wichtig, dass es nicht zu erhöhter Belastung führt“, teilt Schick dieser Redaktion mit. „Um den Beschäftigten bei SAP Sicherheit zu geben, ist es wichtig, die Beschäftigungssicherung um zwei Jahre zu verlängern.“
Scharfe Kritik kommt vom Europäischen Betriebsrat. Er sieht in allem lediglich eine Maßnahme zur Kostensenkung - zumal hierzulande vor allem ältere SAPler das Unternehmen verlassen dürften, die in der Regel überdurchschnittlich hohe Gehälter bekommen. Das Management habe die geschäftliche Logik nicht ausreichend begründet und keine genauen Informationen über Ineffizienzen vorgelegt, zitiert das „Handelsblatt“ aus der E-Mail.
Kündigungen sind bei SAP in Deutschland ausgeschlossen
SAP will die meisten betroffenen Mitarbeiter in den kommenden Wochen informieren - Ziel sei, den Prozess weltweit bis zum Ende des ersten Quartals 2025 abzuschließen. Es sind vorrangig Freiwilligenprogramme und interne Umschulungsmaßnahmen geplant. Kündigungen sind in Deutschland praktisch ausgeschlossen, an anderen Standorten der Welt allerdings nicht. SAP schätzt die Kosten für die Restrukturierung auf zwei Milliarden Euro.
Trotz allem: Ende 2024 soll die Zahl der Beschäftigten aufgrund von „Reinvestitionen in strategische Wachstumsbereiche“ - also etwa der Neueinstellung von Spezialisten für KI - etwa dem aktuellen Niveau entsprechen, also rund 107.600.
Wir behandeln die betroffenen Mitarbeiter mit größter Sorgfalt und Einfühlungsvermögen, indem wir ihnen unter anderem interne Stellenalternativen oder Freiwilligenprogramme anbieten
Ob diese neuen Stellen in Deutschland entstehen, ist allerdings fraglich. Wahrscheinlicher sei außerhalb Europas, heißt es in Konzernkreisen - etwa am Standort Bangalore in Indien, wo derzeit ein neuer Campus entsteht. Zudem fragen sich einige in Walldorf, ob es SAP wirklich schafft, bis zum Ende des Jahres die Zahl der Beschäftigten stabil zu halten.
Ein Konzernsprecher nimmt zu den kursierenden Zahlen und der Kritik des Europäischen Betriebsrats keine Stellung. Er betont allerdings: „Wir behandeln die betroffenen Mitarbeiter mit größter Sorgfalt und Einfühlungsvermögen, indem wir ihnen unter anderem interne Stellenalternativen oder Freiwilligenprogramme anbieten. Dabei kooperieren wir eng mit den Sozialpartnern in den jeweiligen Regionen.“
SAP-Chef Christian Klein verteidigt Umstrukturierung
Vorstandsvorsitzender Christian Klein verteidigt den Umbau vehement. „Die Technologie-Industrie ändert sich unglaublich schnell. Es gibt viele Unternehmen, die heute nicht mehr relevant sind. Das wirkt sich auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Unternehmen aus“, hat er zuletzt in einem Interview mit dieser Redaktion gesagt. „Deshalb behalten wir die Zukunft von SAP und künftiges Wachstum im Fokus. Und deshalb investieren wir auch viel in die Aus- und Weiterbildung, um den Beschäftigten zu helfen, sich auf die neue Welt von Cloud-Software und Künstlicher Intelligenz vorzubereiten.“
Der Hype um Künstliche Intelligenz in der Softwarebranche hatte sich im vorvergangenen Jahr an der Veröffentlichung des Dialogsystems ChatGPT entzündet. Seither möchten alle Softwarekonzerne ein Stück vom erhofft großen Kuchen abhaben und stecken viel Geld in diese Technologie. Der eingeschlagene Kurs von SAP kommt an der Börse jedenfalls gut an: Der Aktienkurs hat in den vergangenen zwölf Monaten deutlich gewonnen. Mit einem Börsenwert von aktuell rund 218 Milliarden Euro ist SAP der wertvollste Konzern Deutschlands.
Die geplante Partnerzeit* bei SAP ist endgültig vom Tisch
Zuletzt sind einige Entscheidungen getroffen worden, die in der Belegschaft für Unruhe sorgten. So müssen die Mitarbeiter ab Mai wieder drei Tage die Woche ins Büro kommen. Zuvor hatte sich SAP noch damit gerühmt, Beschäftigten bei der Wahl des Arbeitsortes freie Hand zu lassen.
Auch die Partnerzeit*, die der frühere Deutschland-Personalchef Cawa Younosi angestoßen hatte, ist endgültig vom Tisch. Väter oder Partnerinnen von Müttern sollten nach der Geburt eines Kindes die Möglichkeit bekommen, sich sechs Wochen lang bezahlt freistellen zu lassen. Das Angebot nur auf Deutschland zu beziehen, sei allerdings zu kurz gedacht gewesen, heißt es mittlerweile vonseiten SAP. Global lasse es sich nicht umsetzen. „Ich persönlich bedaure das natürlich und glaube, dass SAP da eine große Chance vertan hat“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Schick.
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