Mannheim. Der Kohleausstieg soll „idealerweise“ schon bis 2030 geschehen - so steht es im Koalitionsvertrag der Ampel. Voraussetzung dafür wäre ein gewaltiger Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis 2030 soll nach dem Willen der Koalitionäre 80 Prozent des Stroms grün sein - gegenwärtig liegt der Anteil der Erneuerbaren nur bei 42 Prozent. Deutschland müsste also den Anteil des grünen Stroms am Verbrauch praktisch verdoppeln.
„Lasttiere der Stromwende“
Funktionieren kann das nur, wenn bei der Windenergie die Wende gelingt, denn deren Ausbau ist bundesweit ins Stocken geraten. Das ist fatal, denn „die Windräder sind die Lasttiere der Stromwende“, weiß Baden-Württembergs Grünen-Umweltstaatssekretär Andre Baumann. Die Grünen im Land und im Bund haben der zeitraubenden Bürokratie bei den Genehmigungsverfahren den Kampf angesagt. Gegenwärtig dauert es rund sieben Jahre, bis ein Windrad steht. Aber auch die Artenschützer setzen der Politik zu - worüber sich Südwest-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schon geärgert hat: „Es kann nicht sein, dass der Rote Milan über die Energiewende entscheidet“. Damit spielte er auf die vielen Klagen der Artenschützer gegen den Bau neuer Windenergieanlagen an.
Was passiert aber, wenn ein Windrad erst steht? Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat darauf eine überraschende Antwort gefunden. „Während Meinungsumfragen durchweg eine breite Unterstützung für erneuerbare Energien feststellen, stoßen konkrete Projekte oft auf heftigen Widerstand im örtlichen Umfeld, vor allem im Zusammenhang mit Windkraftanlagen“, sagt Sven Heim, Mitautor der Studie. Die Untersuchung zeigt nicht nur, dass die Zustimmung von Bürgern deutlich nachlässt, wenn ein Windrad in direkter Nachbarschaft gebaut wird. Offensichtlich geht dann auch die Bereitschaft der Verbraucher zurück, auf grünen Strom umzustellen. So sinkt die Anzahl der Suchanfragen nach Ökostromtarifen auf Preisvergleichswebseiten um rund 35 Prozent, wenn im Postleitzahlgebiet eine Windkraftanlage installiert wird, wie die Autoren herausgefunden haben. Dabei nimmt der Effekt mit der Entfernung der Anlage zur betroffenen Gemeinde ab.
Doch damit nicht genug. Die Wissenschaftler untersuchten nämlich auch das Abschneiden der Grünen bei Wahlen. Die Ökopartei nimmt ja beim Ausbau des grünen Stroms eine Vorreiterrolle ein. So sinkt laut Studie die Anzahl ihrer Zweitstimmen bei Bundestagswahlen mit jeder neuen Windkraftanlage, die in einer Gemeinde gebaut wird, um etwa 17 Prozent. Der Effekt schwächt sich ab, je weiter die neu errichtete Anlage von der betroffenen Gemeinde entfernt ist. Auch bei Europawahlen schneiden die Grünen schlechter ab: Hier ist der Effekt mit rund 23 Prozent sogar etwas größer.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit, die Gesellschaft für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien zu gewinnen, denn sonst wird Deutschland die Klimaziele nicht erreichen“, fasst ZEW-Experte Robert Germeshausen zusammen. Die Forscher schlagen deshalb zum Beispiel ausreichende Mindestabstände zwischen Windparks und den Wohngebieten vor, weil dann die Akzeptanz der Windanlagen wieder wächst. Der große Nachteil: Damit würde die verfügbare Fläche für die Windenergieanlagen im dicht besiedelten Deutschland natürlich schrumpfen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Alle müssen bei der Energiewende mitmachen