Mannheim. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung wurden die 8400 Betriebe der DDR in die staatseigene Treuhand überführt und anschließend privatisiert. Bis heute sorgt dieser Vorgang für Kritik. Der Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler Hans Peter Grüner nennt Vor- und Nachteile und erklärt, welche Alternativen es gegeben hätte.
Herr Grüner, auch 30 Jahre nach dem Mauerfall wird noch heftig über die Arbeit der Treuhand diskutiert. Wie bewerten Sie diese?
Hans Peter Grüner: Eine Bewertung ist schwierig. Die Ergebnisse der Treuhand sind sicherlich deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen und Vorstellungen zurückgeblieben. Eigentlich sollte das volkseigene Kapital als Vermögenswert durch die Einführung der Marktwirtschaft der Bevölkerung zugutekommen. Dieser Wert wurde ursprünglich einmal auf 600 Milliarden D-Mark geschätzt. Tatsächlich verursachte dieser Prozess am Ende aber 230 Milliarden Mark Schulden. Vorher waren etwa vier Millionen Menschen in den Unternehmen beschäftigt, nach kurzer Zeit nur noch 1,25 Millionen. Nun stellt sich die Frage, ist das die Schuld der Treuhand oder gab es überzogene Erwartungen? Sicher ist: Firmen, die zum Beispiel wegen ökologischer Altlasten negative Werte hatten, kann man nicht mit einem positiven Erlös verkaufen.
Was lief denn gut und was lief schlecht?
Grüner: Es war eine kluge Entscheidung, sich von den staatseigenen Firmen ohne lange Übergangsphase zu trennen. Andererseits ist es dabei nicht zu den erhofften Erlösen gekommen. Dass vielleicht einige wirtschaftliche Fehler gemacht wurden, ist wahrscheinlich normal, es ist aber auch zu Betrugsfällen gekommen. Ein wesentliches Problem für die Treuhand war aber der Umrechnungskurs von eins zu eins von Ostmark in D-Mark. Durch diese Umstellung erhöhten sich Lohnniveau und Sozialleistungen, das brachte viele Firmen in Schwierigkeiten. Ein anderer Umrechnungskurs hätte andererseits für ein enormes Gefälle der Löhne zwischen Ost und West geführt. Dadurch wäre die Migration gen Westen noch vergrößert worden.
Das Vorgehen der Treuhand hat viele Lebensläufe nachhaltig verändert, immer wieder kocht Kritik daran hoch. Gab es Alternativen?
Grüner: Die Massenprivatisierung war eine immense Aufgabe – und die kam nicht mit langer Ansage, man hatte also auch keine Pläne in der Schublade liegen, wie eine Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft überführt werden kann. Heute würde man eine solche Aufgabe wohl vermehrt über neue Auktionsformate lösen. Damals ging es vor allem darum, diese Unternehmen schnell zu privatisieren. Die Alternative wäre gewesen, die volkseigenen Betriebe der DDR zunächst zu volkseigenen Betrieben der BRD zu machen. Ab dem Moment wäre aber der Druck groß gewesen, die Unternehmen auf Kosten der Steuerzahler zu erhalten. Ich bin überzeugt davon, dass der Staat meistens nicht der bessere Unternehmer ist, sondern der schlechtere.
Die Privatisierung war also zwingend?
Grüner: Wenn man in die Marktwirtschaft will: ja. In diesem Kontext wundere ich mich übrigens über aktuelle Forderungen nach einem schuldenfinanzierten deutschen Staatsfonds, der über Aktieninvestitionen Gewinne für die Rentenfinanzierung abwerfen soll. 30 Jahre nach dem Mauerfall diskutiert man also wieder darüber, Staatseigentum aufzubauen. Ich bin der Meinung, es war damals richtig, die Firmen zu privatisieren – und es ist heute richtig, das Kapital privat zu halten.
Waren die vielen geschlossenen Unternehmen wirklich so schlecht aufgestellt?
Grüner: Nun, wo etwas privatisiert wird, liegt die Entscheidung, was mit dem Unternehmen passiert, beim Käufer. In der Marktwirtschaft vertraut man grundsätzlich auf diesen Prozess und die Kenntnis der Entscheider. Natürlich laufen manche unternehmerische Entscheidungen falsch. Aber man sollte bedenken, dass in der DDR von Planungsbüros Phantasiepreise für die Produkte festgelegt wurden. Diese dann dem Markt auszusetzen musste vielerorts für große Verwerfungen sorgen. Dazu kommt allerdings der Vorwurf, einige westdeutsche Firmen hätten durch den Erwerb ihre ostdeutsche Konkurrenz aus dem Weg geräumt. Ärger darüber finde ich verständlich.
Was wäre eine Alternative hierzu gewesen?
Grüner: Es gibt da keine perfekte Antwort. Man hätte zum Beispiel die Unternehmen, die produktiv und rentabel waren, an die Belegschaft übergeben können. Das hätte aber zu großer Ungleichheit innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung geführt: Diejenigen, die in einer guten Firma arbeiteten, hätten dann Glück gehabt und die anderen nicht. Die Frage ist: Was hätte die Bevölkerung besser gefunden? Vorhaben dieser Größenordnung lassen sich nicht so gestalten, dass hinterher wirklich alle zufrieden sind.
Tatsache ist, dass aktuell nur 36 der 500 größten deutschen Unternehmen aus dem Osten kommen, darunter auch kein DAX-Konzern. Wie hat sich die Wirtschaft im Osten seit dem Mauerfall entwickelt?
Grüner: Die Lage ist sicherlich gemischt. Das Wachstum der Wirtschaftsleistung pro Kopf beispielsweise ist großartig. Auch in Sachen Bildung stehen einige ostdeutsche Länder übrigens sehr gut da. Welche Infrastruktur in dieser Zeit aufgebaut wurde, ist beachtlich – dass das nicht selbstverständlich ist, sieht man ja an der Bahntrasse Stuttgart/München oder am Berliner Flughafen. Es gibt aber auch negative Seiten: Nach wie vor gibt es Lohnunterschiede zwischen west- und ostdeutschen Beschäftigten. Dass die großen Unternehmen im Osten fehlen, liegt aber auch an der relativ kurzen Zeit seit der Wende. 30 Jahre sind nicht so lange für ein Unternehmen, um so groß zu werden.
Das Interview mit Hans Peter Grüner wurde telefonisch geführt und autorisiert.
Hans Peter Grüner
- Hans Peter Grüner (53) ist seit 1999 Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim.
- Seine Forschung befasst sich mit Fragen der Europapolitik, der Geld-, Verteilungs- und Fiskalpolitik, wirtschaftspolitischen Reformen und dem Design wirtschaftlicher und politischer Institutionen.
- Grüner beriet unter anderem die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission und BMW.
- Außerdem erstellte er Expertisen zu Fragen der Europäischen Integration für das Auswärtige Amt und den Bundestag. mics
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