Pressekonferenz von Günter Schabowski

Meldung der Nacht: „DDR öffnet Grenzen“

Von 
Gerhard Kneier
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Von Spannung konnte keine Rede sein: Trocken trug Günter Schabowski am 9. November 1989 Reiseregelungen für DDR-Bürger vor. Der Journalist Frieder Reimold war einer der wenigen, der die Brisanz erkannte und über die amerikanische Nachrichtenagentur AP die Grenzöffnung vermeldete.

Die Einladung zur Pressekonferenz von SED-Politbüromitglied Günter Schabowski am 9. November in der Ostberliner Mohrenstraße enthielt keinerlei Hinweis auf Besonderheiten – schon gar nicht auf die bevorstehende Öffnung der DDR-Grenze. „Wie üblich gab es einen Aushang im Pressezentrum mit der Ankündigung des Termins an dem Tag um 18 Uhr“, erinnert sich Frieder Reimold, damals Berliner Büroleiter beim deutschen Dienst der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Anlass war die Sitzung des SED-Zentralkomitees an diesem Tag. Einzig die Tatsache, dass der erst drei Tage zuvor zum Sekretär für das Informationswesen des Zentralkomitees (ZK) der SED ernannte Schabowski selbst die Pressekonferenz halten sollte, war für Reimold und seine Kollegen Anlass, ihr erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen.

So war der als Österreicher für AP in Ostberlin angemeldete Korrespondent Ingomar Schwelz mit zwei Kollegen im Pressezentrum vor Ort, Reimold und ein weiterer Redakteur verfolgten die Pressekonferenz vom Westberliner Büro am Kurfürstendamm aus. Schließlich wurde sie ja live über das zweite Programm des DDR-Fernsehens übertragen – auch das eine Neuerung in der Zeit des schnellen Wandels nach dem Sturz Erich Honeckers vom 18. Oktober. Bei dieser Übertragung waren die Redakteure noch auf einen schnell heißlaufenden Röhrenfernseher angewiesen, schildert der heute 75 Jahre alte Reimold 30 Jahre später die Arbeitsbedingungen. Dennoch war dies der deutlich schnellere Weg, Nachrichten zu verbreiten, denn vom Westberliner Büro aus gab es eine Standleitung in die Zentrale der Nachrichtenagentur in Frankfurt.

Suppe aus Langeweile

Auch nach Beginn der Pressekonferenz deutete lange nichts auf die noch folgende sensationelle Nachricht von Mauerfall und Grenzöffnung hin. „Es ging mal wieder um die Produktion und Ähnliches“, berichtet der AP-Journalist. Es sei so langweilig gewesen, dass der vor Ort anwesende Korrespondent Schwelz zwischendurch einmal in die Kantine ging, um sich eine Soljanka zu holen, die damals in der DDR weit verbreitete Suppe mit Kraut und saurer Sahne. Erst nach fast einer Stunde wurde es dann doch noch brisant.

Reimold berichtet, dass der Korrespondent der italienischen Nachrichtenagentur ANSA, Riccardo Ehrmann, erst dann zu der Pressekonferenz kam und sich noch halb auf die Bühne des Pressezentrums setzte. Als Schabowski zum Abschluss fragte, ob es noch Fragen gebe, hoben viele der anwesenden Journalisten die Hand. „Schabowski nahm ausgerechnet den gerade erst gekommenen Kollegen Ehrmann dran“, erzählt Reimold. In unbeholfenem Deutsch habe der Italiener nach dem Reisegesetz gefragt. Das SED-Politbüromitglied reagierte erstaunt und sagte, nach seiner Kenntnis seien dessen Bestimmungen doch schon veröffentlicht worden, was aber nicht stimmte. Schabowski kramte in seinen mitgebrachten Papieren und fing an, den Beschluss des ZK vorzulesen, den ihm DDR-Staatschef und SED-Generalsekretär Egon Krenz kurz vor der Pressekonferenz zugesteckt hatte. Für die Journalisten hörte es sich verwirrend an. Mal war von Ausreisen, mal von Privatreisen die Rede, wie Reimold sagt. Ausreiseanträge lagen damals manchmal Jahre unbearbeitet bei den DDR-Behörden.

Und dass die Menschen deshalb oft den Weg über die bundesdeutschen Botschaften in den anderen Ostblockländern wählten, um ihre Ausreise zu erzwingen, stieß bei den „Bruderstaaten“ im damaligen Ostblock nicht gerade auf Begeisterung. Dass die DDR dabei einlenken sollte, war für die völlig überraschten Journalisten aus aller Welt nachvollziehbar. Reimold registrierte aber auch die Formulierung Privatreisen ohne Anlass aufmerksam.

Doch zunächst gab es da noch die Frage des „Bild“-Reporters Peter Brinkmann „Wann tritt das in Kraft?“. Es folgte Günter Schabowskis mittlerweile legendäre Aussage: „Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort, unverzüglich.“

Der SED-Funktionär hatte allerdings das Papier nicht umgedreht und somit die auf der Rückseite festgehaltene Sperrfrist 10. November, 04.00 Uhr übersehen. Erst am nächsten Morgen hätte das Gesetz veröffentlicht werden dürfen. So aber verbreiteten die Nachrichtenagenturen schnell die Meldung von der Ausreiseregelung.

AP-Mann Reimold war jedoch der Einzige, der nicht nur an Ausreise, sondern wegen der Privatreisen auch an Wiedereinreise dachte und somit bis dahin exklusiv schrieb: „DDR öffnet Grenzen.“ Die Eilmeldung ging allerdings erst um 19.05 Uhr und damit wenige Minuten später nach den vorsichtigeren Versionen der Konkurrenz auf den Draht. Der Grund: In der Frankfurter Zentrale hatte der zuständige Redakteur vom Dienst Bedenken, ob das denn stimmen könne. Er konsultierte den Chefredakteur, der die Meldung nach Rücksprache mit Reimold schließlich freigab.

Kurz darauf folgte auch der amerikanische AP-Weltdienst mit der zugespitzten Formulierung, dass die DDR die Mauer öffne – die westliche Welt war damit informiert. Noch im Lauf der Nacht strömten bekanntlich immer mehr DDR-Bürger nach Westberlin, weil dies die ebenfalls völlig überraschten Grenzbeamten schließlich auch ohne formelle Weisung von oben zuließen. „Wir haben bis um 03.00 Uhr nachts gearbeitet“, weiß Reimold, der nach einem Zwischenspiel als Balkan-Korrespondent in Wien später noch einmal als diplomatischer Korrespondent nach Berlin zurückkehrte und 2009 in den Ruhestand ging.

Berühmtes Versehen

  • Es waren nur wenige Worte – eher unfreiwillig leiteten sie das Ende der deutschen Teilung ein: „Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, ... unverzüglich“, stotterte Günter Schabowski, Mitglied des SED-Politbüros, am Abend des 9. November 1989 vor der internationalen Presse in Ost-Berlin – und schrieb unbeabsichtigt Geschichte.
  • Zum neuen, gelockerten DDR-Reisegesetz befragt, teilte er beiläufig mit, dass private Besuche im Ausland künftig ohne Voraussetzungen möglich seien. Seine Genossen wussten es nicht, die Pressemitteilung war eigentlich erst für den nächsten Tag vorgesehen.
  • Unbeabsichtigt hatte Schabowski die Öffnung der DDR-Grenzen verkündet.
  • Die Nachricht überraschte auch Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in Warschau. Der Bundestag beendete seine Sitzung, die Abgeordneten stimmten die Nationalhymne an. dpa

 

Korrespondent

Thema : 30 Jahre Mauerfall

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