Pandemie - Im Frühjahr 2020 haben Kleinunternehmen Corona-Soforthilfen beantragt. Das könnte sie jetzt in den Abgrund stoßen. Der Grund: Viele Betriebe müssen einen Teil – oder sogar alles – zurückzahlen

Corona-Soforthilfen - tickende Zeitbomben für kleine Betriebe

Von 
Christian Schall und Walter Serif
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Die „Novemberhilfe“ könnte einigen Antragstellern wieder gestrichen werden – Rückzahlungen drohen. © Schwerdt, dpa

Mannheim. Kleiner Rückblick: 23. März 2021. Es macht "Wumms". Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) präsentieren sich als die großen Retter, die die Unternehmen vor dem Untergang im Lockdown bewahren - mit der Bazooka und viel Geld. In einer gemeinsamen Pressemitteilung - noch immer abrufbar auf der Homepage des Wirtschaftsministeriums - versprechen die zwei Politiker, dass die Zuschüsse nicht zurückgezahlt werden müssten.
Damals galt das entschlossene Auftreten von Scholz - der ja jetzt Kanzler ist - und Altmaier - der seine Karriere beendet hat - als Beleg für die Fähigkeit der Politik, die Krise beherzt zu meistern. "Die Corona-Soforthilfen wurden wie versprochen schnell und unbürokratisch ausgezahlt, es ging damals sogar ohne einen Steuerberater beziehungsweise den prüfenden Dritten", sagt Johannes Hurst, Präsident der Steuerberaterkammer Nordbaden. Die Summe der Zuschüsse belief sich - je nach Beschäftigtenzahl - auf 9000, 15 000 und 30 000 Euro. Das Geld wurde den Unternehmen für einen Zeitraum von drei Monaten ausgezahlt.

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Dass die Soforthilfe - wie von Scholz und Altmaier angekündigt - "für umme" war, stimmt allerdings nicht. Inzwischen haben alle Empfänger in Baden-Württemberg Post bekommen. Sie müssen nachrechnen, ob sie die Hilfe rechtmäßig erhalten haben. Wer das nicht korrekt macht, begeht Subventionsbetrug. "Nach meiner Einschätzung müssen 70 bis 80 Prozent aller Betriebe den Betrag teilweise oder sogar komplett zurückzahlen", sagt Hurst. Baden-Württemberg berufe sich bei seinem Vorgehen auf den Bund und den Rechnungshof, die da klare Vorgaben gemacht hätten.
Über all das ärgert sich Barbara Waldkirch maßlos. 9000 Euro soll die Inhaberin einer Buchhandlung mit Verlag in Mannheim-Feudenheim zurückzahlen. "Das wäre eine Katastrophe, so viel Gewinn haben wir gar nicht gemacht." Im Oktober sei sie aufgefordert worden, Rechenschaft über die Soforthilfe abzulegen. "Und das ist ein richtig komplizierter Fragebogen", erklärt sie. "Es geht nicht darum, ob ich in dem betreffenden Monat einen finanziellen Engpass hatte, sondern ob ich noch so viel Geld auf dem Konto hatte, dass ich noch zahlungsfähig war."

70 bis 80 Prozent der Betriebe müssen teilweise oder komplett zurückzahlen.
Johannes Hurst Steuerberater

Es werde nicht berücksichtigt, ob sie etwas unternommen habe, um die Verschuldung gering zu halten, so Waldkirch. "Ich habe alles zusammengekratzt, um die ausstehenden Rechnungen zahlen zu können." Auch ihre Rücklagen habe sie angezapft. Durch die Schließung ihres Ladens konnte sie einen auf ein Minimum reduzierten Umsatz machen - über Webshop und Telefon konnten Kunden weiterhin bestellen und die Ware am Fenster abholen. Zahlungsforderungen liefen jedoch weiter: "Der Vermieter wollte die Miete, das Finanzamt die Umsatzsteuer." Schonfristen habe es nicht gegeben, sie habe bis zu zehn Stunden täglich gearbeitet, um alles abarbeiten zu können - bei weniger Umsatz und "wesentlich mehr Aufwand".

"Wir sind empört, erschrocken und verärgert, die kleinen Mittelständler macht man gerade kaputt", sagt Waldkirch. Was im Moment mit vielen inhabergeführten Geschäften passiere, sei ungerecht. "Man wird ausgepresst und kann sich nicht wehren." Gefallenlassen will sie sich die Forderung der Rückzahlung nicht: "Jetzt holen wir langsam mal die Bazooka raus", sagt sie in Anspielung an Kanzler Olaf Scholz. "Es kann nicht sein, dass wir die ganzen Lasten tragen." Bis 16. Januar hat sie nun Zeit, ihre Einkünfte aufzuschlüsseln. Dazu braucht sie wieder die Hilfe ihres Steuerberaters.

Betrüger hatten leichtes Spiel

Dass es bei der Auszahlung der Corona-Softhilfen nicht immer mit rechten Dingen zugegangen ist, wurde schon im Sommer 2020 in Berlin bekannt. Betrüger hatten leichtes Spiel. Inzwischen sind aber die Prüf- und Sicherheitsregeln verschärft worden, Geld gibt es jetzt nur noch vom Staat, wenn ein Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt die Angaben der Antragsteller überprüft hat.
Bei der ersten Corona-Soforthilfe wurden die Beträge ohne Prüfung ausgezahlt. "Nur: Wer jetzt Geld zurückzahlen muss, darf nicht mit den Betrügern in einen Topf geworfen werden", sagt Steuerberater Hurst. Das Problem fängt nach seinen Worten schon damit an, dass im Südwesten die L-Bank alle Empfänger der Soforthilfen direkt angeschrieben und dabei die Beweislast einfach umgekehrt hat. "Jeder muss anhand einer beigefügten Excel-Tabelle selbst ausrechnen, ob er etwas zurückzahlen muss. Das ist ein Riesenaufwand und kostet jetzt auch noch zusätzlich Geld, denn ohne Steuerberater ist die Bearbeitung fast nicht mehr möglich", sagt Hurst.

Hätte ich gewusst, dass das so abläuft, hätte ich das Geld nie beantragt.
Eine selbstständige Friseurin

Baden-Württemberg hat zwar nach dem Protest der Steuerberaterkammern die Abgabefrist bis zum 16. Januar verlängert, aber das ändert nichts am Hauptproblem: Das Land hat im Prinzip erst jetzt die Kriterien aufgestellt, anhand derer festgestellt wird, ob die Mittel 2020 rechtmäßig bewilligt wurden. Denn bei Antragstellung gab es keine klaren Regeln. Aus dem "Das Geld muss nicht zurückgezahlt werden" wird jetzt ein "Das kommt drauf an". Die Folgen sind fatal, denn nach Hursts Angaben konnte jeder Unternehmer 2020 für sich selbst entscheiden, wann er den Antrag stellt.
"Voraussetzung war ein Liquiditätsengpass. Das ist aber eine schwammige Formulierung. Manche haben sofort ihren Antrag gestellt und dürfen ihr Geld behalten, andere haben gewartet, bis die privaten Rücklagen aufgebraucht waren. Das rächt sich jetzt, weil dann der erste Monat, als es mit dem Lockdown am Schlimmsten war, plötzlich nicht mehr berücksichtigt wird und es aber kein Geld für den ganzen Zeitraum mehr gibt, weil der Lockdown dann wieder vorbei war", erklärt Hurst.
Das alles ärgert die Betriebe. "Hätte ich gewusst, dass das so abläuft, hätte ich das Geld nie beantragt", sagt eine Friseurin. Nachdem sie im März 2020 ihren Salon schließen musste, hatte sie den Antrag auf Soforthilfe gestellt. Die Auszahlung der 9000 Euro sei s schnell gegangen.
Doch jetzt muss sie nachweisen, dass sie damals einen Liquiditätsengpass hatte. Dieser liegt eigentlich relativ nahe: Wenn ein Friseursalon geschlossen ist, keine Kunden mehr kommen und damit auch keine Einnahmen, fehlt natürlich Geld. Dafür sollte die Soforthilfe einspringen, um die laufenden Kosten wie Ladenmiete oder Versicherungen zahlen zu können.

Mit Kredit über die Runden gekommen

Der Haken an der Sache: Das Finanzamt betrachtet das Gesamtjahr 2020 - und nach dieser Kalkulation habe für die Friseurin kein Engpass bestanden. Vereinfacht gesagt, werden also auch Einnahmen angerechnet, die zum Zeitpunkt des Lockdowns noch gar nicht in der Kasse waren und erst nach der Wiedereröffnung des Salons erzielt wurden. Was nicht berücksichtigt wird: Nach dem Lockdown kamen längst nicht mehr so viele Kundinnen und Kunden in den Laden wie vorher.

Mit Hilfe ihres Steuerberaters hat sie nun alles aufgeschlüsselt und an die L-Bank geschickt. Dass sie einen Teil der Hilfe wieder abgeben muss, davon ist die Selbstständige schon jetzt überzeugt. "Ich bin sicher, dass ich was zurückzahlen muss, wahrscheinlich knapp 6000 Euro." Wie viel genau, wird sie im März erfahren. Hinzu kommen die Kosten für den Steuerberater.
Eine andere Einzelhändlerin berichtet, dass sie viel privates Geld in ihr Geschäft eingebracht und einen Kredit aufgenommen hat, um über die Runden zu kommen. Obwohl sie 2020 im März 30 000 Euro Verlust gemacht hat, wird sie die 9000 Euro Soforthilfe komplett zurückzahlen müssen. "Der Verlust zählt in der Berechnung nicht, ich hatte angeblich keinen Liquiditätsengpass", kritisiert sie, "das ist nicht in Ordnung."

Ihren Onlineshop habe sie während des Lockdowns nur weiterbetrieben, um ihr Personal nach vielen Jahren Firmenzugehörigkeit nicht entlassen zu müssen. "Alle haben gestrampelt und mitgezogen - dafür wird man jetzt bestraft." Sie ärgert sich, dass nachträglich Bedingungen geändert wurden: "Es hieß immer nur Soforthilfe, von Liquiditätsengpass war nie die Rede."
Seltsamerweise sind nicht alle Bundesländer so streng. Rheinland-Pfalz zum Beispiel hat nach Hursts Angaben keine Schreiben an die Empfänger der Hilfe losgeschickt. Da werde einfach an die Ehrlichkeit der Unternehmer appelliert. Offensichtlich dürften sie das Geld behalten. Es gebe allerdings Stichproben. Auch Hessen lasse die Unternehmer mehr oder weniger in Ruhe.
Der Bund, der die Corona-Soforthilfen auf den Weg gebracht hat, gibt den Ball an die Länder weiter. "Die Rückzahlungen liegen vollständig in der Hand der Bundesländer", heißt es in einer Mitteilung des Wirtschaftsministeriums. Ressortchef Robert Habeck (Grüne) habe die Länder gebeten, den Betroffenen "angemessene Rückzahlungsfristen einzuräumen und möglichst auf Zinsen zu verzichten". Falls die Betriebe nicht fristgerecht zahlen können, sollten individuelle Lösungen gefunden werden. "So einfach ist das aber nicht. Wenn es analog zum Steuerrecht gehandhabt wird, hat die Stundung enge zeitliche Grenzen. Ich kenne Unternehmer, die können pro Monat nur 400 Euro abstottern, benötigen dann für 15 000 Euro gut drei Jahre: Ob das möglich ist, ist fraglich", sagt Hurst.

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