Mannheim. Herr Adlassnigg, Mannheim wird der 16. Standort von Wolt in Deutschland. Warum ist die Region für Wolt interessant, hier tummeln sich ja schon einige Anbieter?
Fabio Adlassnigg: Mannheim ist nach Stuttgart die zweite Stadt in Baden-Württemberg. Wenn wir uns Deutschland anschauen, sehen wir immer noch ein sehr großes Monopol des Unternehmens mit den orangenen Rucksäcken (Die Kuriere von Marktführer Lieferando habenorangefarbene Rucksäcke, Anmerkung der Redaktion). Monopole sind nicht gut, nicht für die Restaurants, nicht für die Kuriere, nicht für die Kunden. Wir sehen in Mannheim mit seinen rund 300 000 Einwohnern einfach sehr großes Potenzial.
Warum sollte ich meine Pizza ausgerechnet bei Wolt bestellen?
Adlassnigg: Wir wollen nicht alle Italiener, aber die besten auf unserer Plattform haben. Die Anbieter durchlaufen alle einen Qualitätscheck. Deshalb haben wir meist eher weniger Restaurants als die etablierten Anbieter. Der größte Unterschied ist aber, dass alle Lieferungen von uns übernommen werden. Wir haben eine eigene Flotte an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort. Übrigens: In Deutschland werden 95 Prozent der Bestellungen per Fahrrad erledigt.
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Wie werden die Partner-Restaurants ausgewählt? Machen Sie vor Ort Probeessen?
Adlassnigg: Wir schauen uns zuerst die üblichen Rankings und Bewertungsplattformen im Internet an. Das gibt uns schon mal einen Überblick. Aber auch Testessen gehören dazu.
Sind schon weitere Standorte in der Region geplant?
Adlassnigg: Leider noch nicht. Wir wachsen wesentlich langsamer als andere Anbieter, dafür aber nachhaltiger. Wir sind eher zurückhaltend, auch was große Ankündigungen betrifft. Das ist vielleicht dem finnischen Wesen geschuldet. Die Finnen gelten ja eher als schüchtern und bescheiden.
Sie konkurrieren in Deutschland mit Lieferando, Gorillas oder Uber Eats. Andere Anbieter wie Foodpanda haben wieder aufgegeben. Was ist so schwierig hier?
Adlassnigg: Wir sind sehr früh in Märkte gegangen, die für viele Risikokapitalgeber als vermeintlich unsexy gelten. Kasachstan, Georgien oder Aserbaidschan zum Beispiel. Dort haben wir gelernt, unter schwierigen Bedingungen einen Lieferdienst aufzubauen und sehr schnell zu einem der führenden Anbieter im Markt zu werden. Das gilt auch für unseren Heimatmarkt Finnland. Ein starker Wohlfahrtsstaat, eine geringe Vermögensungleichheit, zugleich hohe Arbeitskosten. Die meiste Zeit ist es kalt, dunkel. Dazu keine wirklich gelernte Lieferkultur. Insofern gab es damals vielleicht kein schlechter geeignetes Land, um Wolt zu gründen. Dem Unternehmen blieb deshalb nur, besonders gut und hocheffizient zu arbeiten. Ein großes Problem in Deutschland ist, eine eigene Kurierflotte aufzubauen, also Mitarbeiter zu finden. Und in umkämpften Ländern wie Deutschland oder Japan müssen wir uns natürlich größere Marketingschlachten liefern. Aber wir haben auch nicht alles mitgemacht.
Wie meinen Sie das?
Adlassnigg: Es gab eine Phase im deutschen Markt, in der es nur noch darum ging, so schnell wie möglich zu liefern. Lieferungen unter zehn Minuten oder sogar sieben Minuten wurden da versprochen. Das hat nicht funktioniert – einer dieser Anbieter ist wieder aus dem Markt, andere nennen keine festen Zeiten mehr. Was ist so schlimm daran, 30, 35 Minuten auf das Essen zu warten? Nichts! Wir haben dieses Rennen nicht mitgemacht und Recht behalten. Dass es inzwischen wieder weniger Anbieter gibt, macht es uns aber leichter, Kuriere anzuwerben.
Es gibt Kritik, dass die Kuriere in der Branche schlecht bezahlt werden. Was zahlt Wolt?
Adlassnigg: Wir beschäftigen fast nur ausschließlich festangestellte Mitarbeiter. Die Kollegen bekommen 11 Euro Basislohn, egal ob eine Bestellung da ist oder nicht. Pro ausgetragener Bestellung gibt es einen Bonus, zusätzlich gibt es ein Kilometer-Entgelt und eine Entschädigung für die Nutzung des eigenen Mobiltelefons. In der Summe kommt ein Kurier bei uns auf 16 bis 18 Euro die Stunde. In der Regel sind wir die, die am besten bezahlen am Markt. Wir versuchen, mehr zu bieten als andere Anbieter, stellen zum Beispiel die komplette Ausrüstung.
Sie liefern nicht nur Essen aus, sondern zum Beispiel auch Kosmetika und lokale Biere. Was bringt das?
Adlassnigg: Wir starten immer mit dem Restaurantbusiness und weiten das zusätzliche Angebot nach und nach aus. Das sind vor allem Lebensmittel, da kooperieren wir mit lokalen Einzelhändlern. Die Deutschen essen gerne von 12 bis 14 Uhr sowie von 18 bis 20 Uhr. Zwischen diesen beiden Stoßzeiten würden unsere 4000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur herumstehen. Die Bestellung von Blumen, Backwaren oder Alkohol verteilt sich dagegen über den Tag. Dadurch lasten wir die Flotte über den ganzen Tag aus. In etablierten Märkten wie Warschau oder Helsinki kann man vom neusten Sneaker über Sexspielzeuge bis zum Hundefutter so ziemlich alles über die Wolt-App bestellen und bekommt es von uns innerhalb von 30 Minuten geliefert, direkt aus dem lokalen Einzelhandel.
Die Pandemie hat den Lieferdiensten einen Schub gebracht. Aber angesichts von hoher Inflation und explodierenden Energiekosten – werden die Kunden noch Geld haben, um Essen zu bestellen?
Adlassnigg: Natürlich haben wir von der Corona-Krise stark profitiert. Die Bestellungen haben sich auf einem hohen Niveau eingependelt, auch wenn etwa in den Sommermonaten weniger bestellt wird. Am Ende sticht Bequemlichkeit alles. Momentan sehen wir sogar den umgekehrten Effekt, dass sich die Leute eher belohnen wollen. Es wird öfter die teurere Pizza und mehr Alkohol bestellt. Und wir haben ja noch Lebensmittel-Bestellungen als zweites Standbein, das krisenfester ist. Aber, da will ich nichts beschönigen, es werden harte Monate auf die Lieferdienste und uns alle zukommen.
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