Mannheim. Die Bierbranche hat schon einmal bessere Zeiten gesehen. Erst vor ein paar Tagen hat die Privatbrauerei Eichbaum einen Insolvenzantrag gestellt. Marketing-Experte Florian Stahl von der Universität Mannheim erklärt, warum gerade jetzt eine starke Marke wichtig ist.
Herr Stahl, wie schmeckt Ihnen Eichbaum?
Florian Stahl: Ich trinke gerne regionale Biere – und Eichbaum gehört natürlich dazu. Geschmacklich ist es solide, klassisch, bodenständig.
Hat Sie der Insolvenzantrag überrascht?
Stahl: Eichbaum steht stellvertretend für viele regionale Brauereien in Deutschland. Hoher Preisdruck, rückläufiger Bierkonsum, verpasste Markenmodernisierung und wenig Diversifikation haben das Geschäftsmodell anfällig gemacht. Der Insolvenzantrag ist daher weniger ein Einzelfall, sondern Symptom eines strukturellen Branchenwandels.
Von allem, was Sie gerade gesagt haben, dürfte das größte Problem regionaler Brauereien der rückläufige Bierkonsum sein.
Stahl: Der Pro-Kopf-Verbrauch von Bier sinkt in Deutschland seit über einem Jahrzehnt kontinuierlich. Die klassischen Pils-Brauereien trifft dies besonders hart. Gerade jüngere Zielgruppen trinken weniger Bier, achten stärker auf die Gesundheit und greifen eher zu alkoholfreien Getränken oder Mischgetränken. Traditionelle Brauereien haben sich damit oft schwergetan.
Zur Person
- Florian Stahl, 50, ist seit Herbst 2013 Professor für Marketing an der Universität Mannheim. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit gilt der Frage, wie Unternehmen die tiefgreifenden Veränderungen durch digitale Technologien und Künstliche Intelligenz strategisch nutzen können.
- Stahl studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Zürich (Abschluss 2001) und promovierte 2005 in Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen . Seine wissenschaftliche Karriere führte ihn zudem an die Columbia Business School nach New York .
Genauso wie andere Betriebe kämpft Eichbaum mit einer Unterauslastung der Produktion. Warum ist das so gefährlich?
Stahl: Eine Unterauslastung der Produktion ist für Brauereien kritisch, weil Fixkosten hoch sind. Sinkt die Auslastung, können die Kosten schnell aus dem Ruder laufen. Im Übrigen hat auch der Wegfall des Russland-Exports Eichbaum überproportional getroffen. Russland war über Jahre ein starkes Absatzgebiet. Die Sanktionen haben diesen Kanal fast vollständig abgeschnitten.
Eichbaum ist in der Region Mannheim zwar bekannt, aber ohne klar profiliertes Markenbild.
Inwieweit hilft regionalen Brauereien eine starke Marke?
Stahl: Ein profitables Markengeschäft ist heute wichtiger denn je – gerade im Biermarkt. Sie müssen sehen: Große nationale Marken und Handelsmarken dominieren den Markt und können günstiger produzieren. Eine starke Marke entscheidet darüber, ob Kundinnen und Kunden bereit sind, einen höheren Preis zu zahlen und ob ein Bier im Handel oder in der Gastronomie eine relevante Rolle spielt.
Es ist klingt schon an – Eichbaum ist das nicht optimal gelungen, oder?
Stahl: Eichbaum ist in der Region Mannheim zwar bekannt, aber ohne klar profiliertes Markenbild. Im Vergleich: Rothaus aus dem Schwarzwald (Tannenzäpfle) hat ein kultiges, emotional starkes Image entwickelt – mit hoher Preisstabilität. Welde, ein großer Eichbaum-Konkurrent aus der Region Rhein-Neckar, positioniert sich modern, jung und experimentierfreudig – und spricht gezielt neue Zielgruppen an.
Was genau kritisieren Sie an Eichbaum?
Stahl: Eichbaum ist lange eher traditionell, breit und wenig differenziert aufgetreten. Die Marke hat es bislang nicht geschafft, eine starke emotionale Bindung oder ein klares Lifestyle-Profil aufzubauen. Damit fehlte die Grundlage, um in einem schrumpfenden Markt Preisstärke zu halten.
Sie vermissen die emotionale Bindung? Waldhof-Fans haben sich jüngst während eines Spiels mit Eichbaum solidarisiert. Auch auf Social Media haben viele Menschen Eichbaum Glück bei der anstehenden Sanierung gewünscht.
Stahl: Diese Reaktionen zeigen, welches Potenzial eigentlich da wäre. In solchen Momenten blitzt auf, dass sich Menschen mit „ihrer“ regionalen Brauerei verbunden fühlen möchten. Aber Sympathie in der Krise ersetzt nicht jahrelang versäumte Markenarbeit. Eine starke Community entsteht nicht spontan, sondern durch konsequente Identität, Haltung und Storytelling. Eichbaum hat jetzt die Chance, aus dieser Solidarität eine echte Markenbewegung zu formen – wenn sie glaubwürdig genutzt wird.
Eine Brauerei kann heute kaum noch wachsen, wenn sie nur klassisches Pils und Weizen anbietet.
Was Lifestyle angeht, will sich das Management unter anderem an Ready-to-Drink-Produkten versuchen. Was halten Sie davon?
Stahl: Die angekündigte stärkere Fokussierung auf Ready-to-Drink-Produkte – also etwa Hard Lemon, Cocktail-Dosen oder Biermischgetränke – ist strategisch sinnvoll, kommt aber spät und erfordert Investitionen in Marke und Vermarktung.
Sind neue Produkte grundsätzlich überlebenswichtig?
Stahl: Auf jeden Fall. Eine Brauerei kann heute kaum noch wachsen, wenn sie nur klassisches Pils und Weizen anbietet. Neben Ready-to-Drink sind noch zwei andere Produktsorten wichtig: zum einen alkoholfreie Biere und Biermixgetränke. Sie wachsen seit Jahren am stärksten und treffen den Zeitgeist von „Genuss ohne Alkohol“. Zum anderen Getränke jenseits des Bieres. „Braumeister-Limo“, malzhaltige Getränke oder Erfrischungsgetränke sind zusätzliche Ertragsquellen, mit denen Brauereien Produktionskapazitäten besser auslasten.
Malzhaltige Getränke sind ein gutes Stichwort … ausgerechnet Karamalz hat Eichbaum nun verkauft.
Stahl: Der Verkauf von Karamalz – einer sehr bekannten und margenträchtigen Marke – war ein Versuch, Liquidität zu schaffen. Dass selbst dieser Schritt nicht gereicht hat, zeigt die Tiefe der strukturellen Probleme.
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Denken Sie, dass sich Eichbaum wieder zukunftsfest aufstellen kann?
Stahl: Ja – aber nur, wenn es gelingt, die Sanierung nicht als reinen Sparprozess zu verstehen, sondern als strategischen Neustart. Dazu gehören drei Dinge: Erstens eine klare Positionierung, die mehr ist als „traditionelles Bier aus Mannheim“. Zweitens ein mutiger Innovationskurs mit Produkten, die neue Zielgruppen ansprechen. Und drittens eine starke, emotionale Markenführung, die regional verwurzelt ist, aber modern erzählt wird. Wenn Eichbaum diese Transformation ernsthaft angeht, hat die Marke durchaus eine Zukunft.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Eichbaum-Insolvenz: Verhalten des Managements ist unverantwortlich