Mannheim. In dieser Woche haben viele Unternehmer und Selbstständige in der Region nach Mannheim geschaut. Vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) in Mannheim hat das Land – konkret die Landeskreditbank – eine empfindliche Niederlage im Dauerstreit um die Corona-Soforthilfe hinnehmen müssen. In fünf von sechs Musterverfahren hat der VGH zugunsten der Hilfeempfänger entschieden. Die Mannheimer Urteile betreffen Tausende Soloselbstständige, kleine Unternehmen und Angehörige freier Berufe.
Wie sind die Mannheimer Urteile in der Wirtschaft der Region angekommen?
„Die Urteile sind aus Sicht der Unternehmen sehr erfreulich“, sagt dazu Manfred Schnabel, Präsident der Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar. „Sie korrigieren die rechtswidrige Verwaltungspraxis der L-Bank und stärken den Vertrauensschutz“, so Schnabel. Die Rückforderungen hätten oft auf missverständlichen Bewilligungsbescheiden basiert. „Genau das haben die Richter nun bestätigt.“ Die IHK habe bereits frühzeitig auf die rechtlichen Unsicherheiten und die damit verbundene Belastung der Betriebe hingewiesen. Die Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald reagiert einen Tag nach den Urteilen etwas zurückhaltender. Eine Sprecherin erklärt: „Stand heute müssen wir erst einmal festhalten, dass wir es mit einem Musterverfahren, aber dennoch auch mit Einzelfällen zu tun haben, die nicht zwingend auf alle übertragbar sein müssen.“
Was genau hat der VGH entschieden?
In vier Fällen wurden die Widerrufs- und Erstattungsbescheide der L-Bank für rechtswidrig erklärt und die Berufungen der Bank gegen die erstinstanzlichen Urteile – unter anderem in Stuttgart – zurückgewiesen. Ferner setzte sich ein Winzer erfolgreich gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg zur Wehr. In lediglich einem Fall hat die Rückforderung der L-Bank Bestand – da ging ein Fahrschulbetreiber vergeblich gegen eine Karlsruher Entscheidung in Berufung.
Welche Folgen hat das Urteil für die Beteiligten der Musterverfahren?
Zu den Gewinnern gehört Holger Schier, Mit-Geschäftsführer des Heidenheimer City-Friseurs, der für das Musterverfahren ausgewählt worden war. Er muss die verlangten 10.424 Euro (von zunächst bewilligten 15.000 Euro) nicht zurückzahlen. Das Urteil sei „einfach nur verdient“, sagt Schier. „Ich habe mich schon im Vorfeld gefragt, warum die L-Bank in Berufung gegangen ist, weil die Urteilsbegründungen der ersten Instanzen eigentlich sehr klar waren.“ Jetzt zeigt er sich „mindestens verärgert“ – insbesondere über die Wirtschaftsministerin, „die das zu verantworten hat“. Denn der Steuerzahler müsse für die Kosten der „unsäglichen Verfahren“ aufkommen.
Wem helfen die Urteile noch außer den Verfahrensbeteiligten?
Das Urteil hilft laut IHK-Präsident Schnabel vor allem Betrieben, die vor dem 8. April 2020 Corona-Soforthilfe beantragt haben und noch laufende Verfahren oder Widersprüche offen haben. „Die Urteile bieten eine solide Rechtsgrundlage, um Rückforderungen abzuwehren“, so Schnabel. „Wir fordern nun, dass ruhende Verfahren zügig eingestellt werden. Die L-Bank muss den betroffenen Unternehmer klar und schnell kommunizieren, was zu erwarten ist.“
Und was ist mit den Betrieben, die bereits gezahlt haben?
Die IHK werde sich dafür einsetzen, dass eine unternehmensfreundliche Lösung für bereits gezahlte Rückforderungen gefunden werde. Hier sei jetzt politische Führung gefordert. Die VGH-Urteile zeigten, dass ein Teil der Rückforderungen rechtswidrig ist. Viele Unternehmen hätten aus Angst vor Konsequenzen oder aufgrund fehlender Ressourcen für eine juristische Auseinandersetzung bereits gezahlt. Die Handwerkskammer will erst einmal die Urteilsbegründung abwarten und dann schauen, was die Landesregierung dazu sagt. „Das Rechtsgefühl sagt aber: Wenn die Rückzahlung in so vielen Fällen unrecht war, kann sie nicht in allen anderen richtig gewesen sein“, so die Sprecherin. „Das Land steht in der Pflicht, die richtigen Schlüsse zu ziehen und Gleichbehandlung walten zu lassen, wo dies angezeigt ist.“
Was ist der Hintergrund des ganzen Streits?
Im Zentrum der Verfahren standen zwei Verordnungen des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg: eine Richtlinie vom 22. März 2020 für ein reines Landeshilfsprogramm – sowie eine Verwaltungsvorschrift vom 8. April 2020, nachdem Bund und Land ein gemeinsames Programm für Überbrückungshilfen initiiert hatten. Entscheidend dabei: Die Ausführungen waren unterschiedlich formuliert. Vier der Klagen – des Friseurs, eines Lauchheimer Hotel-Restaurantbetreibers, eines IT-Dienstleisters sowie eines Herstellers und Vertriebs von Pflegeprodukten – basierten auf Anträgen vor dem 8. April.
Die L-Bank ist der Auffassung, dass die Bewilligungsbescheide deutlich auf einen „Liquiditätsengpass“ – im Nachgang über einen Zeitraum von drei Monaten betrachtet – abgezielt haben. Allein Umsatzeinbußen hätten zur zweckgemäßen Verwendung nicht ausgereicht. Das Gericht befand: In den Bescheiden mit Bezug auf die Richtlinie vom 22. März sei nicht ausreichend erkennbar gewesen, dass später eine Gesamtberechnung von Einnahmen und Ausgaben in diesem Zeitraum vorzunehmen sei. In den erneuerten Fassungen der Bescheide mit Bezug auf die Verwaltungsvorschrift vom 8. April sei der Verwendungszweck dagegen ausreichend klar bestimmt gewesen, so das Gericht.
Wie viele Klagen laufen noch, und wie geht es damit weiter?
Bei den Verwaltungsgerichten sind derzeit noch rund 1.400 Klagen und bei der L-Bank rund 5.500 Widerspruchsverfahren zu der geforderten Erstattung von Corona-Soforthilfen anhängig – sie wurden im Hinblick auf die Musterverfahren ruhend gestellt. Wie es da weitergeht, ist aber unklar.
Kann die L-Bank noch gegen die aktuellen VGH-Urteile vorgehen?
Eine Revision gegen die sechs Urteile hat der VGH nicht zugelassen – dagegen kann sich die L-Bank noch mit einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wenden. Ob es dazu kommt, ist jedoch unklar. Eine Einschätzung zu Konsequenzen der Entscheidungen könne „derzeit nicht abgegeben werden“, sagte ein L-Bank-Sprecher auf Anfrage. „Zunächst müssen wir die schriftlichen Entscheidungsgründe abwarten.“ Diese werden den Beteiligten erst von Mitte November an zugestellt.
Welche Folgen hatte die Rückzahlungspraxis des Landes für die Betriebe in der Region?
„Wir wissen, dass die Rückforderungen einen Teil unserer Mitgliedsunternehmen enorm belasten“, sagt IHK-Präsident Schnabel. In einer Reihe von Fällen seien diese sogar existenzbedrohend, vor allem bei kleinen Betrieben und Einzelunternehmern. Seit dem Ende der Corona-Pandemie sei die Zahl der Insolvenzen stark gestiegen. Das zeige die angespannte wirtschaftliche Situation vieler Betriebe. Schnabel sieht Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut in der Pflicht: „Sie hatte der Wirtschaft zugesagt, dass wegen der Rückzahlung kein Unternehmen in die Insolvenz rutschen darf.“
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