Soforthilfe

Streit um Corona-Hilfen: L-Bank fordert Milliarden zurück

Die Landeskreditbank verlangt von den Empfängern der Soforthilfe Corona fast die Hälfte der ausgezahlten Mittel zurück, was zu einer Vielzahl von Klagen führt. Betroffen sind auch Betriebe aus der Region Rhein-Neckar

Von 
Matthias Schiermeyer
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Firmen aus vielen Branchen kämpfen um bereits erhaltene Fördergelder des Landes. © Philipp von Ditfurth/dpa

Stuttgart. Die Konfrontation um die Corona-Förderprogramme wird nun in erster Linie vor Gericht ausgetragen. Die Landeskreditbank fordert allein bei der Soforthilfe Corona fast die Hälfte der gewährten Hilfsgelder zurück, wogegen sich Betroffene wehren. Zudem fehlen noch Zigtausende Anträge zur Bearbeitung. Der juristische Streit könnte Jahre dauern: Es gibt zwar erste Urteile, doch ist eine Fortsetzung mindestens in der nächsten Instanz wahrscheinlich. Somit wird auch eine große Zahl von Verfahren ruhend gestellt. Ein Überblick.

Um welche Gesamtsummen geht es?

Insgesamt wurden in Baden-Württemberg im Rahmen der im Frühjahr 2020 gewährten Soforthilfe Corona Mittel in Höhe von 2,27 Milliarden Euro bewilligt. Bis Ende Juni sind laut L-Bank rund 665 Millionen Euro wieder zurückgeflossen. Hinzu kommen offene Forderungen in Höhe von rund 363 Millionen Euro. In gut 3800 Fällen hat die Landesbank aufgrund einer Bagatellgrenze von 250 Euro von einer Rückforderung abgesehen. Für rund 880 Forderungen wurde eine Stundung mit oder ohne Ratenzahlung gewährt.

Wie ist der Stand der Gerichtsverfahren um die Corona-Förderprogramme?

Allein zum Rückmeldeverfahren zur Soforthilfe Corona sind laut der L-Bank vor den vier Verwaltungsgerichten in Baden-Württemberg bis Ende Juni knapp 1200 Klagen gegen die L-Bank erhoben worden.

Von den Gerichten heißt es, vielfach würden sich gleich gelagerte Fragen stellen, die exemplarisch für ausgewählte Fälle geklärt werden. Die Ruhestellung erfolge, um dann nach rechtskräftigen Entscheidungen in gleicher Weise zu entscheiden. Bei anderen Verfahren, die die Rückforderung anderer Beihilfeleistungen beträfen, „hat sich die L-Bank nicht mit dem Ruhen einverstanden erklärt“, sagt ein Gerichtssprecher – „die müssen Stück für Stück entschieden werden“.

Gibt es schon Präzedenzfälle vor Gericht?

Mittlerweile gibt es eine erste klare Rechtsprechung: Das Freiburger Verwaltungsgericht hat am 10. Juli in sechs von sieben Verfahren über die Frage entschieden, ob die Rückforderungen von Corona-Soforthilfen durch die L-Bank zulässig sind – allesamt zugunsten der Kläger.

Zum einen sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass der Zweck der Hilfen nicht hinreichend bestimmt sei, sagt die Rechtsanwältin Christina Oberdorfer von der Stuttgarter Kanzlei von Buttlar Zweites Kernargument gegen eine Rückzahlung ist der Vertrauensschutz: Den Antragstellern sei von Vertretern der Bundesregierung damals Anderes versprochen worden: Zuschüsse, die nicht zurückzuzahlen seien, statt Kredite. „Solche Aussagen haben auch juristische Auswirkungen“, sagt die Juristin.

Wie viele Musterverfahren gibt es?

Das Freiburger Gericht hat in den entschiedenen Verfahren die Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zugelassen – Oberdorfer hofft dort wegen der Brisanz auf einen Termin noch dieses Jahr. Das Gericht in Stuttgart plant für September ein gebündeltes Verfahren, in dem es vornehmlich um Hotellerie und Gaststätten geht – also eine von den Schließungsanordnungen betroffene Branche. „Eine einheitliche Linie in der Rechtsprechung entwickelt sich gerade erst“, sagt ein Gerichtssprecher. Sie werde aber differenziert ausfallen.

Wie weit sind die Schlussabrechnungen?

Die Schlussabrechnungen betreffen die Corona-Hilfsprogramme des Bundes (Überbrückungshilfe, November- und Dezemberhilfe). Laut der L-Bank wurden für die insgesamt 255 815 Anträge, für die eine Schlussabrechnung fällig ist, bisher 167 101 dieser Abrechnungen eingereicht. Hiervon wurden 51 464 Schlussabrechnungen abschließend bearbeitet.

Ergebnis: In 17 582 Fällen (rund 34 Prozent) profitieren Unternehmen von Nachzahlungen, in 11 986 Fällen wird Geld zurückgefordert – und bei 21 896 Schlussabrechnungen erfolgt weder Nachzahlung noch Rückforderung.

Laut der L-Bank liegen bisher knapp 1850 Widersprüche bezüglich der Schlussabrechnung vor. Klagen seien noch nicht registriert worden. Schlussabrechnungen können aber bis Ende September eingereicht werden – und dann sind noch Widersprüche möglich.

Wie schätzt die IHK Rhein-Neckar die Lage für die Unternehmen ein?

„Die Substanz vieler Unternehmen, insbesondere in Handel, Gastronomie und Dienstleistungen, ist aufgezehrt“, erklärt IHK-Präsident Manfred Schnabel. Viele dieser Unternehmen müssten nun bis Ende des Jahres Corona-Hilfen an die L-Bank zurückzahlen. Dabei hätten sie auf die Hilfszusagen des Landes vertraut. „Es ist zu befürchten, dass dies zu einem großen Vertrauensverlust sowie zu einer Reihe von Betriebsaufgaben führen könnte“, so Schnabel. Um das zu verhindern, müsse die öffentliche Hand behutsam vorgehen. „Das heißt: Rückzahlungen erlassen oder zumindest stunden, wenn die Zukunft des Betriebs gefährdet ist. Darüber hinaus ist zu fragen, ob es nicht gerechtfertigt wäre, allen von Schließungsmaßnahmen betroffenen Unternehmen die Rückzahlungen zu ersparen. Denn die Praxis zeigt, dass die Regeln unter Zeitdruck entstanden sind, diese im Zeitablauf ständig verändert wurden und die Unterschiedlichkeit der betroffenen Geschäftsmodelle nicht adäquat berücksichtigt wurde. Es gilt: Kein von Corona-Maßnahmen betroffenes Unternehmen darf zurückgelassen werden, denn das kostet Vertrauten und schafft zusätzlichen Verdruss.“ (mit cs)

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