Interview

Warum müssen kleine Krankenhäuser auf dem Land schließen, Herr Hettich?

SRH-Chef Christof Hettich kennt sich aus in der Gesundheitsbranche. Er sagt: Der Klinikverbund Mannheim-Heidelberg muss kommen.

Von 
Bettina Eschbacher
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Krankenhäuser müssen sich spezialisieren, sagt SRH-Chef und Branchenkenner Christof Hettich. © SRH

Das Wichtigste in Kürze

  • SRH-Chef und Branchenexperte Christof Hettich betont die Notwendigkeit von Spezialisierung der Krankenhäuser.
  • Kleine Kliniken leiden unter Ärztemangel und Regularien, oft müssen sie schließen oder fusionieren.
  • SRH betreibt private Kliniken und ist in Gesprächen für weitere Übernahmen von Häusern.

Heidelberg. Herr Hettich, Sie sind Vorstandschef der SRH, Senior Partner bei der Anwaltskanzlei Rittershaus, lehren an der Hochschule und Uni Heidelberg, Sie haben die Biotech-Holding dievini von Dietmar Hopp mitbegründet, sind Aufsichtsrat von Heidelberg Pharma – und laufen nebenbei auch mal einen Marathon. Wie machen Sie das, haben Sie einen Klon oder brauchen Sie keinen Schlaf?

Christof Hettich: Ich habe eine ganz gute Konstitution, ich brauche nicht so viel Schlaf. Das hilft mir. Außerdem macht mir die Arbeit Spaß – ich empfinde sie ganz selten als Belastung. Und ich versuche, ganz viel zu delegieren. Ich kann Struktur, das ist mein Ding. Ich gehe gerne ans Whiteboard und gebe die Ziele vor. Für die Umsetzung sind dann zuerst die Kollegen zuständig. So habe ich auch bei SRH angefangen und erst einmal die Strukturen mit Zwischenholdings gelegt.

Delegieren fällt vielen Vorgesetzten aber schwer…

Hettich : Absolut! Du darfst keinen Kontrollwahn haben. Dann geht das nicht. Und du musst auch bereit sein, in die Menschen zu investieren. Ich bin seit vielen Jahren im Management Board von Rittershaus und habe das Glück gehabt, dass ich sehr viele junge Kolleginnen und auch Kollegen – meistens waren es Frauen – von Anfang an aufbauen konnte. Ich habe mir viel Zeit dafür genommen, das hat sich ausgezahlt. Die sind alles Top-Juristen und absolut loyal. Das ist fantastisch.

„Du darfst keinen Kontrollwahn haben“, sagt Christof Hettich. Er ist seit zehn Jahren SRH-Vorstandsvorsitzender. © Tobias Koch/SRH

Ohne Vertrauen geht das auch nicht, oder?

Hettich: Ich habe ein ganz schreckliches Urvertrauen in die Menschen. Das zeichnet mich bestimmt aus. Und ich muss sagen, ich bin selten enttäuscht worden. Ich kann aber auch unerbittlich sein, wenn ich das Gefühl habe, dass es nicht läuft.

Jetzt sind Sie seit zehn Vorstandsvorsitzender der SRH – so lange an der Spitze eines Unternehmens zu bleiben, schaffen nicht viele.

Hettich: Dabei sollte ich das nur ein paar Wochen machen. Ich war Aufsichtsratschef und bin als Übergangslösung eingesprungen. Aber nur unter der Bedingung, dass ich eine gewisse Beinfreiheit habe und weiter meinen Job als Anwalt machen kann. Mir war klar, ich muss hier viele Dinge verändern – dafür habe ich eine gewisse Unabhängigkeit gebraucht. Am schwierigsten war, die Menschen zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Dazu müssen sie dir und der Organisation vertrauen. Du musst eine angstfreie Kultur schaffen, die auch kritisches Feedback möglich macht. Das war ein Prozess, der viel länger gedauert hat, als ich am Anfang dachte.

Und was muss eine Führungskraft lernen, außer zu delegieren?

Hettich : Sich selbst zu reflektieren. Wir haben ein Programm für junge Führungskräfte der SRH, bei dem nicht nur Wissen und Projektmanagement vermittelt wird. Ein ganz wichtiger Teil des Programms ist Selbstreflexion – die wird immer wichtiger, je höher man in der Hierarchie aufsteigt. Kommen gerade deine eigenen Eitelkeiten zum Zuge? Das sollte man sich zum Beispiel immer fragen.

In den vergangenen Jahren mussten Sie vor allem Krisen managen. Müssen Unternehmen in diesen volatilen Zeiten anders agieren?

Hettich : Die vergangenen dreieinhalb Jahre waren viel, viel schwerer als die Jahre davor zusammen. Du wurdest mit Problemen konfrontiert, für die es kein Drehbuch gab – und die immer etwas zu tun hatten mit der Verunsicherung von Menschen. Ob das Corona war, Ukraine oder die massiven Steigerungen von Lohn und Inflation. Wir arbeiten heute mit mehr Unsicherheiten, die Welt um uns herum ist rauer und schwieriger. Das Vertrauen in die Führung ist dadurch wichtiger geworden. Geholfen hat uns diesen Krisenzeiten, dass wir einen sehr aufwändigen Marken- und Werteprozess mit mehr als 100 Workshops schon hinter uns hatten.

Wenn Ihnen Freiheit so wichtig ist, kommt Ihnen sicher entgegen, dass SRH eine Stiftung ist? Sie haben nicht den Druck, große Gewinne zu erzielen oder an der Börse zu bestehen.

Hettich : Ja. Ich spreche immer von Stiftungs-Unternehmen, um beide Merkmale zu betonen. Aber in der Tat haben wir die Chance, langfristig zu planen und müssen nicht kurzfristig Investoren gefallen. Wir entscheiden zuerst, was wichtig für das Unternehmen ist. Wir müssen als Stiftung unsere Ressourcen auch sinnvoll und wirtschaftlich einsetzen. Aber wir müssen nicht den letzten Prozentpunkt an Ergebnis herausholen, sind nicht rein auf Performance getrimmt. Wir sind sogar verpflichtet, unsere Gewinne zu reinvestieren. All das macht uns resilienter, was in diesen Krisenzeiten immer wichtiger wird.

Trotzdem frage ich jetzt mal nach Zahlen – wie ist das Geschäftsjahr 2024 gelaufen?

Hettich: Die Zahlen sind noch nicht spruchreif, aber wir sind sehr stabil, haben ein gutes Ergebnis eingefahren. Im Bereich Gesundheit schreiben wir trotz schwierigen Jahren schwarze Zahlen. Und mit unserem zweiten Standbein, dem Bereich Bildung, wachsen wir weiter stark.

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Was sind denn die Hauptprobleme im Gesundheitsbereich?

Hettich : In Sigmaringen haben wir einen Höllenritt hinter uns. Dort haben wir aus drei Krankenhäusern eins gemacht – also zwei Kliniken im Landkreis geschlossen – und bekamen in der Öffentlichkeit viel Haue dafür. Trotzdem haben wir es leichter als kommunale Krankenhäuser, weil wir nicht von der Politik abhängig sind und schwierige Schritte konsequenter angehen können. Die beiden geschlossenen Häuser waren nicht mehr zu retten. Dabei ging es gar nicht nur um wirtschaftliche Gründe.

Sondern?

Hettich : Um medizinische Qualität: Kleine Häuser bekommen nicht mehr die Ärzte, die sie brauchen. Da wollen heute zu wenige hin, das ist so! Und da wollen dann auch die Patienten nicht mehr hin. Die googeln doch auch, wer welche Spezialisierung hat, wo ein bestimmter Eingriff oft operiert wird, und meiden im Zweifel ihr Heimatkrankenhaus. Dazu kommen die Regularien, die führen zum Beispiel zur Schließung kleiner Geburtshilfestationen.

Warum?

Hettich: Eine Geburtshilfestation muss Tag und Nacht in der Lage sein, innerhalb von 20 Minuten einen Kaiserschnitt durchzuführen. Dafür brauchen Sie einen Chirurgen, einen Anästhesisten, einen Kinderarzt vor Ort. Wenn Sie das nicht vorhalten können, laufen Sie in Haftungsrisiken.

Wenn das Kliniknetz nicht mehr so eng ist, ist doch die Versorgung im Notfall schwieriger.

Hettich: Das stimmt nicht! Wenn Sie einen Schlaganfall haben, ist das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, in die Klinik zu kommen, die zwar in der Nähe, aber nicht auf Ihre Versorgung spezialisiert ist. Was zählt: dass möglichst schnell ein Rettungswagen – das sind inzwischen Intensivstationen auf Rädern – oder ein Heli kommt, um Sie erstzuversorgen und dann in die richtige Klinik zu bringen. Das ist die moderne Medizin. Auch in unserer Region werden wir diese Diskussionen führen müssen. Es werden kleine Häuser schließen oder zusammengelegt werden müssen – oder sie müssen sich spezialisieren. Gleichzeitig wird es viel mehr ambulante Versorgung geben. Und auch das ist gut für die Patienten.

Das müssen Sie erklären.

Hettich: Früher mussten Krebs-Patienten für ihre Therapie oft mehrere Tage im Krankenhaus bleiben. Heute bleiben sie oft einige Stunden in der Tagesklinik, bekommen dann eine transportable Pumpe und können nach Hause gehen. Das ist eine große Erleichterung für die Betroffenen, in ihrem vertrauten Umfeld sein zu können. Krankenhaus ist ja nichts Schönes.

Rechtsanwalt, Manager und Gründer

  • Christof Hettich ist seit zehn Jahren Vorstandsvorsitzender des Heidelberger Bildungs- und Gesundheitskonzerns SRH.
  • Außerdem ist er Senior Partner bei der Kanzlei Rittershaus ( Mannheim, Frankfurt, München) mit den Schwerpunkten Strukturierung, Restrukturierung und Finanzierung von Unternehmen in Zukunftsbranchen.
  • Gemeinsam mit SAP-Mitgründer Dietmar Hopp und Friedrich von Bohlen hat er die größte deutsche Biotech-Beteiligungsgesellschaft , die dievini Hopp BioTech Holding & Co. KG, gegründet. Inzwischen ist er aus der Geschäftsführung ausgeschieden.
  • Hettich, geboren 1959 in Singen/Hohentwiel, hat Rechts- und Politikwissenschaften in Freiburg, Würzburg und Mannheim studiert und promoviert.
  • Er ist Aufsichtsratschef von Heidelberg Pharma und lehrt an mehreren Unis.
  • SRH ist eine gemeinnützige Stiftung mit mehr als 17.000 Mitarbeitenden . An rund 80 Standorten erwirtschaftete die SRH 2023 einen Umsatz von rund 1,4 Milliarden Euro.
  • Zu SRH gehören unter anderem 15 Klinikstandorte, inklusive Reha-Kliniken und Hospiz, sowie fünf Präsenz-Hochschulen, eine Fernhochschule und acht Zentren für die berufliche Rehabilitation.

Wollen Sie weitere Krankenhäuser übernehmen?

Hettich: Wir sind in Gesprächen. Es wird viel Bewegung geben, weil sich die kommunale Krankenhaus-Landschaft stark verändert. Die finanziellen Probleme dort werden weiter zunehmen. Wir können uns als die Guten der Privaten und damit als echte Alternative positionieren.

Wie beobachten Sie als SRH-Chef die Planungen für einen Verbund der Unikliniken Mannheim und Heidelberg? Haben Sie Angst vor einem so großen Konkurrenten?

Hettich: Ich halte die Zusammenlegung für absolut richtig, gerade im Sinne der Spezialisierung. Die müssen doch nicht im Abstand von 25 Kilometern das Gleiche machen. Auch für unsere Region als Wissenschaftsstandort bringt der Verbund enorme Vorteile. Die medizinische Forschung hier in Heidelberg genauso wie in Mannheim braucht zum Beispiel für ihre klinischen Studien eine hohe Zahl an Patienten, also auch die Patienten aus der gesamten Region. Sonst sucht sich die Forschung andere Partner, die Charité in Berlin etwa.

Das Bundeskartellamt hat den Verbund erst einmal untersagt und zuvor Krankenhäuser in der Region nach ihrer Einschätzung gefragt. Auch die SRH?

Hettich: Natürlich, aber wir hatten keine Einwände. Wir sind hier in Heidelberg zwar kein großer Player mit dem Kurpfalzkrankenhaus, aber dafür hochspezialisiert. Der Verbund muss unbedingt kommen. Meine Kritik am Verfahren ist aber, dass es keinen gibt, der diesen hochkomplexen Zusammenschluss mit den unterschiedlichen politischen und unternehmerischen Verantwortlichkeiten managt. Da braucht es jemanden, der Unternehmen restrukturieren kann.

Hat man Ihnen den Job angeboten?

Hettich: Ich suche keinen neuen Job.

Der SRH-Campus in Heidelberg-Wieblingen. © SRH

Dann reden wir über die Bildungssparte, das zweite Standbein der SRH. Wie läuft es da?

Hettich: Waren Sie schon mal in Neckargemünd, in unserem Berufsbildungswerk?

Nein.

Hettich: Da organisiere ich Ihnen gerne einen Termin. Ihnen wird das Blech wegfliegen. Dort wird zum Beispiel Menschen mit einer schweren Erkrankung geholfen, wieder in den Arbeitsalltag hineinzufinden oder Menschen mit Handicaps eine schulische Bildung ermöglicht. Was dort an Arbeit geleistet wird, das ist großartig.

Und die Hochschulen, da haben Sie ja ehrgeizige Pläne?

Hettich: Wir haben alle unsere fünf Präsenz-Hochschulen fusioniert zu einer GmbH. Die 18 Standorte bleiben alle erhalten, aber haben jetzt eine einheitliche Führung, ein Rektorat. Das Recruiting von neuen Studierenden wird auch einheitlich gesteuert, einschließlich des Recruitings aus anderen Ländern. Anders als wohl fast alle anderen Unis in Deutschland - ob öffentlich oder privat – wachsen wir noch trotz der demografischen Entwicklung.

Warum?

Hettich: Weil wir einen hohen Anteil an ausländischen Studierenden haben. Der liegt zum Beispiel in Berlin zwischen 65 und 80 Prozent. Warum soll Deutschland nur Maschinen, Autos und Waffen exportieren und nicht auch Bildung verkaufen? Das sind ambitionierte Kunden für uns, die nach Deutschland kommen und für ihr Studium bezahlen. Wir haben heute rund 20.000 Studierende, wollen aber auf 36.000 oder 38.000 hochgehen.

Planen Sie neue Standorte?

Hettich: Wir haben gerade einen Campus in Leipzig eröffnet. Und zum Wintersemester startet unser neuer Campus in München. Dann fehlt uns noch Frankfurt.

Sie haben bei SRH noch einen Vertrag bis 2028. Dann werden Sie 69 – ist Kürzertreten überhaupt ein Thema für Sie?

Hettich: Es hängt natürlich davon ab, wie die Gesundheit mitmacht. Aber Kürzertreten? Das habe ich nicht vor.

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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