ZEW

Warum Deutschland das Gas nicht ausgegangen ist

Was Petrus mit der Gasversorgung zu tun hat, erklärt Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller bei seinem virtuellen Gespräch mit dem Mannheimer ZEW-Präsidenten Achim Wambach

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Die gusseiserne Straßenkappe einer Gasleitung. © Sven Hoppe

Bis zum 1. März 2022 war Klaus Müller in der Öffentlichkeit eine eher unbekannte Größe, obwohl er keine langweilige Vita aufzuweisen hat. Der Grünen-Politiker war von 2000 bis 2005 Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, danach lange Zeit der oberste Verbraucherschützer im Bundesverband VzbV. Aber auch nach Müllers Wechsel auf den Chefposten der Bundesnetzagentur hätte Achim Wambach seinen virtuellen Gast unter normalen Umständen vielleicht gar nicht zur „#ZEWlive“-Diskussion eingeladen. Die Bundesnetzagentur ist ja kein Zuschauermagnet, sondern war früher eher etwas für „Liebhaber“, wie der Präsident des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) launig zum Auftakt der Online-Veranstaltung anmerkt.

ZEW-Präsident Achim Wambach (r.) befragte den aus Berlin zugeschalteten Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller. © Walter Serif

Das hat sich durch Putins Angriffskrieg schlagartig geändert. Müller hatte deshalb so gut wie keine Einarbeitungszeit. Die Bundesnetzagentur ist in ihrer Außenwirkung in Zeiten der Energie-Krise in gewisser Weise vergleichbar mit dem Robert Koch-Institut (RKI). Zwar muss Müller nicht so viel aushalten, wie es RKI-Chef Lothar Wieler während der Pandemie passiert ist. Müller weiß aber auch, dass er vielen Menschen mit seinem Gas-Sparappellen auf die Nerven gegangen ist. Und er weiß auch, dass „mir viele wieder den Finger zeigen werden, wenn ich im nächsten Winter erneut zum Sparen aufrufen muss“.

Petrus hat mitgeholfen

Gleichwohl ist Müller anzusehen, dass der unglaublich hohe Stress durch den Ausfall der Gaslieferungen aus Russland jetzt einer gewissen Arbeitsroutine gewichen ist. Der Grund liegt auf der Hand: Die großen Katastrophen-Szenarien sind nicht eingetreten. Die Frage „Geht Deutschland das Gas aus?“ - so lautet das Motto der Online-Veranstaltung - lässt sich jetzt zumindest für diesen Winter mit einem klaren Nein beantworten. „Es wird keine Gasmangellage geben, das ist physikalisch gar nicht mehr möglich“, sagt Müller und liefert die Erklärung dafür nach: „Die Speicher sind aktuell zu 72 Prozent gefüllt, im Vorjahr waren es zu diesem Zeitpunkt nur 33 Prozent. Wir sind mit vollen Speichern in den Winter hineingegangen und werden mit akzeptablen Speicherständen in den Frühling gehen.“

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Waren die ständigen Warnungen vor der Gasmangellage also übertrieben? „Überhaupt nicht, die Experten sind sich da einig: Wir haben es Petrus oder dem Klimawandel zu verdanken, dass es bisher so gut gelaufen ist“, erklärt Müller. ZEW-Chef Wambach will aber wissen: „Wie sehen Ihre Prognosen für den nächsten Winter aus?“ Doch Müller will sich da nicht aufs Glatteis begeben: „Ich habe gelernt, wie vorsichtig man in diesem Amt mit Prognosen sein muss“, sagt er. Auch deshalb, weil es in diesem Jahr ja überhaupt kein Gas mehr aus Russland gibt.

Zu viel Flüssiggas

Sollte der nächste Winter allerdings ähnlich mild werden, würde es wahrscheinlich ziemlich gut aussehen, lassen sich Müllers Worte interpretieren. „Wir sind ja ständig im Austausch mit den Wetterdiensten.“ Sollte der nächste Winter aber „normal“ oder „besonders kalt“ werden, müsste Müller die Bürgerinnen und Bürger noch mehr mit seinen Spar-Appellen nerven.

Dass diese Appelle dann auch auf taube Ohren stoßen könnten, dessen ist sich Müller schon bewusst. „Da fragt die Ehepartnerin oder der Ehepartner dann vielleicht: ,Liebling, muss das Bad jetzt wieder so kalt bleiben?‘ Das hat auch viel mit Psychologie zu tun, der zweite Winter kann da der schwierigere werden, weil der erste so erfolgreich war und viele glauben, dass die Appelle übertrieben waren“, spekuliert der Chef der Bundesnetzagentur.

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Das Gasspeichergesetz setzt allerdings gewisse Rahmenbedingungen, die erfüllt werden müssen. Ende Februar müssen die Gasspeicher zu mindestens 40 Prozent gefüllt sein. Diese Marke ist keine Herausforderung. Aber von Oktober bis Dezember müssen die Füllstände von 75 auf 95 Prozent steigen. Wambach ist beeindruckt, wie schnell der Bau der LNG-Terminals über die Bühne geht, fragt aber: „Gibt es beim Flüssiggas Überkapazitäten?“ Müller kann diese Diskussion „nicht nachvollziehen“ und erwidert: „Es muss auch in Extremsituationen Versorgungssicherheit geben.“ Lieber zuviel als zu wenig, ist also sein Motto.

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