Interview

Mannheimer Experte: Strompreise schwanken weiter stark

Warum die fossilen Kraftwerke in Deutschland auf Dauer im Wettbewerb mit den erneuerbaren Energien unattraktiv sind, erklärt der Mannheimer Ökonom Gunther Glenk

Von 
Walter Serif
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Wenn erneuerbare Energien wie Sonnen- und Windkraft für die Stromversorgung ausreichen, ist der Strompreis am Großhandelsmarkt deutlich niedriger. © Patrick Pleul/dpa

Mannheim. Herr Glenk, die Verbraucher müssen für Gas gegenwärtig hohe Summen zahlen, obwohl die Preise wieder auf den Stand vor dem Ukraine-Krieg gesunken sind. Können Sie verstehen, dass sich da viele Menschen veräppelt fühlen?

Gunther Glenk: Preise für Endverbraucher spiegeln in der Regel nicht unmittelbar die Schwankungen der Preise am Großhandelsmarkt wider. Im vergangenen Jahr sind die Preise am Großhandelsmarkt so stark gestiegen, dass Energieversorger die Preise für Endverbraucher erhöhten. Nun sind die Preise am Großhandelsmarkt wieder gefallen und erste Energieversorger haben bereits angekündigt, die Preise für Endverbraucher zu senken.

Diese Senkungen fallen jedoch geringer aus als die Steigerungen im letzten Jahr.

Glenk: Das dürfte daran liegen, dass Energieversorger mittelfristig von Gaspreisen ausgehen, die über den Preisen von vor dem Beginn des Krieges liegen. Darüber hinaus dürften einige Unternehmen einen größeren Puffer für Preisschwankungen einkalkulieren.

Preise für Strom sind zuletzt ebenfalls stark gestiegen, dabei liegt der Anteil von Gas an der Stromproduktion unter zehn Prozent. Woran liegt das?

Glenk: Gaskraftwerke kommen in der Regel in Spitzenzeiten zum Einsatz wie beispielsweise in den Morgen- und Abendstunden, wenn die Nachfrage besonders hoch ist, oder an bewölkten und windstillen Tagen, wenn erneuerbare Energien wenig Strom erzeugen. Die hohen Gaspreise führten dazu, dass die Stromproduktion aus Gas um ein Vielfaches teurer wurde als noch vor Kriegsbeginn. Das schlug sich auch auf die Strompreise für Endverbraucher nieder.

Gunther Glenk

  • Der Ökonom Gunther Glenk wurde am 17. April 1991 in Worms geboren.
  • Glenk studierte in München, Cambridge (USA), Peking und Stanford Wirtschaftswissenschaften. Er promovierte an der Technischen Universität München. Seit 2019 ist er Juniorprofessor am Institute for Sustainable Energy der Uni Mannheim.
  • Zu den Spezialgebieten des Wissenschaftlers gehören Kosten- und Profitabilitätsanalysen, die Ökonomie der Entkarbonisierung und schließlich das Nachhaltigkeitsmanagement.

Kritiker machen für die extremen Preissteigerungen beim Strom im vergangenen Jahr vor allem das sogenannte Merit-Order-Prinzip verantwortlich. Könnten Sie mal erklären, was das überhaupt ist?

Glenk: Das Merit-Order-Prinzip dient dazu, Angebot und Nachfrage auf dem Großhandelsmarkt für Strom zusammen zu bringen. Das geschieht in Deutschland üblicherweise alle 15 Minuten. Dabei werden die Angebote von Stromproduzenten nach aufsteigenden Preisen und angebotener Produktionsmenge sortiert. Die Höhe der Stromnachfrage zu einem bestimmten Zeitpunkt identifiziert dann das letzte Kraftwerk, das benötigt wird, um die Nachfrage gerade zu decken, und damit den Strompreis, der in diesem Zeitintervall allen Stromproduzenten gezahlt wird.

Das heißt Anbieter von Wind- und Solarenergie bekommen denselben Preis wie Betreiber von Gaskraftwerken, obwohl die Erzeugungskosten deutlich niedriger liegen?

Glenk: Ja, jedoch immer nur dann, wenn Gaskraftwerke benötigt werden und sie damit preisbestimmend sind. Wenn erneuerbare Energien für die Stromversorgung ausreichen, ist der Preis deutlich niedriger. Der einheitliche Preis liegt daran, dass Strom ein homogenes Gut ist. Elektronen unterscheiden sich nicht dahingehend, ob sie aus Solaranlagen oder Gaskraftwerken kommen.

Führt das nicht zu starken Preisschwankungen?

Glenk: Im letzten Jahr hat die Volatilität der Strompreise auf dem Großhandelsmarkt enorm zugenommen. Wenn immer teure Gaskraftwerke zugeschaltet werden mussten, schossen die Preise in die Höhe. Wenn dagegen die Sonne schien und es windig war, konnte viel Strom aus erneuerbaren Energien gedeckt werden und die Preise kollabierten.

Dennoch konnten Betreiber von Wind- und Solaranlagen hohe Gewinne erzielen, die als „Übergewinne“ bezeichnet wurden. Wie sehen Sie das?

Glenk: Es wird schwierig sein, festzulegen, ab wann ein Gewinn einen Übergewinn darstellt. Solche attraktive Marktbedingungen setzen außerdem starke Anreize für Unternehmen, erneuerbare Energien zügig auszubauen. Ein schneller Zuwachs an erneuerbaren Energien dürfte die Übergewinne rasch sinken lassen, da Gaskraftwerke seltener benötigt werden.

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Wie würde sich der Ausbau von erneuerbaren Energien auf die Strompreise auswirken?

Glenk: Wenn die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien zunimmt, werden teurere Kraftwerke immer seltener gebraucht, um die Nachfrage für Strom zu bedienen. Zu Zeiten günstiger Wetterbedingungen dürften die Strompreise also niedrig sein. In den anderen Zeiten werden fossile Kraftwerke oder zukünftig vermehrt auch Energiespeicher die Preise bestimmen. Die Preise werden also voraussichtlich weiterhin deutlich schwanken.

Kann sich der Strompreis in Deutschland in Richtung Null entwickeln?

Glenk: Die Häufigkeit günstiger Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wird zunehmen. Je schneller Wind- und Solaranlagen ausgebaut werden, desto zügiger wird dieser Effekt bemerkbar. Es wird jedoch immer Zeiten geben, in denen kaum Wind weht und die Sonne nicht scheint. Dann werden andere Quellen zur Stromversorgung in Deutschland benötigt wie beispielsweise Energiespeicher oder Stromimporte aus dem Ausland.

Lohnt sich dann noch der Betrieb fossiler Kraftwerke?

Glenk: Das kommt drauf an. Die fallende Auslastung fossiler Kraftwerke wird die Durchschnittskosten dieser Kraftwerke steigen lassen. Gleichzeitig können diese Kraftwerke ihren Strom möglicherweise zu höheren Preisen als früher verkaufen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie untersuchte ich mit Koautoren diese Entwicklungen für Gaskraftwerke in Kalifornien, wo die gegenläufigen Effekte seit einigen Jahren beobachtbar sind. Unsere Analysen zeigen, dass die Profitmarge der Gaskraftwerke über die Jahre 2012-2019 konstant geblieben ist, weil sich die beiden Effekte genau ausgeglichen haben.

Dennoch ist doch kein Ausbau von fossilen Kraftwerken zu erwarten?

Glenk: Die aktuellen Marktbedingungen machen einen solchen Ausbau in Deutschland äußerst unattraktiv. Ein zügiger Ausbau von Wind- und Solarenergie bietet dagegen nun die Chance, nachhaltige und wirtschaftlich sinnvolle Abhilfe in der aktuellen Energiekrise zu schaffen. Gleichzeitig würden auch die Treibhausgasemissionen der Stromproduktion sinken.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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