Zeitz. Hey, schön dass Sie den Weg hierher gefunden haben!“ Lässig begrüßt Oberbürgermeister Christian Thieme (CDU) die Besucher auf der Internetseite von Zeitz, einer Stadt im südlichen Sachsen-Anhalt. Etwa 28 000 Menschen leben hier, vor der Wende waren es deutlich mehr. Tausende sind damals in den Westen abgewandert. Und die meisten davon nicht wiedergekommen.
Wer durch die Straßen schlendert, sieht beeindruckende historische Gebäude. Das Schlossmuseum Moritzburg befindet sich im ehemaligen Residenzschloss der Herzöge von Sachsen-Zeitz. Die Geschichte des Doms St. Peter und Paul geht bis ins zehnte Jahrhundert zurück. In der Oberstadt steht das spätgotische Alte Rathaus von 1509.
Wer durch die Straßen schlendert, sieht auch heruntergekommene Häuser mit kaputten Scheiben. Stuckverzierte Fassaden bröckeln. Hinter den Fenstern einer Apotheke sammelt sich dicker Staub, das rote „A“-Schild ist verblasst.
Zeitz will sich zu einem angesagten Ort entwickeln
Viele Betriebe sind nach der Wende zusammengebrochen. Die Bevölkerung altert stark, die Geburtenzahlen sind, verglichen mit den 1990er Jahren, massiv zurückgegangen. Der Fachkräftemangel wird sich künftig eher noch verstärken.
Zeitz und sein weites Umland erleben gerade den Strukturwandel im mitteldeutschen Braunkohlerevier. Die Stadt macht Werbung für sich, wie und wo sie nur kann. Sie will sich zu einem angesagten Wohn- und Arbeitsort für mehr Junge und Kreative entwickeln. Das Eigenmarketing lautet: „Wohn- und Kulturstadt an der Weißen Elster“. Die Weiße Elster ist ein Nebenfluss der Saale.
Wichtig für Zeitz ist die Zuckerindustrie. Seit mehr als 160 Jahren wird dort Zucker hergestellt. Das prägt die gesamte Region. Die 1858 gegründete Fabrik hat die goldenen Jahre der Zuckerproduktion erlebt, ebenso wie zwei Weltkriege und die Planwirtschaft der DDR. Kurz nach der Einheit übernahm der Mannheimer Südzucker-Konzern den Standort und baute eine neue Fabrik.
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Nach der Wende 1989 sei eine schwierige Zeit gewesen, sagt Frank Sachse, Betriebsratsvorsitzender bei Südzucker in Zeitz. „Wir sind zu größten Teilen deindustrialisiert worden. Südzucker hat sich entschieden, mit dem Neubau einer Fabrik den Standort aufzuwerten und für eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage zu sorgen. Das ist geglückt.“
Der Zuckerfabrik folgten im Laufe der Jahre weitere Investitionen: die Ethanolanlage der Südzucker-Tochtergesellschaft CropEnergies und die Weizenstärkeanlage. Südzucker hat in den vergangenen 30 Jahren nach eigenen Angaben rund 800 Millionen Euro in den Standort gesteckt. Er gilt als starker Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum. Laut Studie des WifOR Institute in Darmstadt schafft jeder der rund 450 Arbeitsplätze in Zeitz fast elf Arbeitsplätze in anderen Wirtschaftsbereichen.
Nun packt die Südzucker-Tochter CropEnergies das nächste Projekt an: Der Spatenstich für eine neue Anlage im Chemie- und Industriepark Zeitz ist gesetzt. Die Investition beläuft sich auf 120 bis 130 Millionen Euro, 50 Arbeitsplätze sollen entstehen. Konkret geht es um eine Anlage, um erneuerbares Ethylacetat aus nachhaltigem Ethanol herzustellen. Nach Angaben des Unternehmens ist es die erste ihrer Art in Europa. Ethylacetat wird verwendet bei der Herstellung flexibler Verpackungen und Beschichtungen, Farben und Klebstoffen sowie in der Lebensmittel-, Getränke-, Kosmetik- und Pharmaindustrie.
Die Betreiber des Chemie- und Industrieparks setzen vor allem auf grüne und nachhaltige Chemie. Für CropEnergies-Chef Fritz Georg von Graevenitz ein Match. „Wir freuen uns darauf, mit unseren biobasierten Chemikalien in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Transformation einer Industrie zu leisten, die heute noch nahezu komplett auf fossilen Rohstoffen basiert“, sagt er stolz. Und Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) erklärt beim Spatenstich: „Die neue Ethylacetat-Anlage ist ein Beispiel dafür, wie wir Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Entwicklung miteinander verbinden können.“ Die Anlage soll bis Ende 2025 fertig sein.
50 neue Arbeitsplätze hören sich zunächst bestens an. Allerdings machen selbst der CropEnergies-Chef und der Wirtschaftsminister keinen Hehl daraus, dass es nicht einfach werden wird, hochqualifzierte Fachkräfte ins ländlich geprägte Zeitz zu locken. Zumal sie ein knappes Gut sind und noch andere Unternehmen in größeren Städten um sie buhlen. Von Graevenitz hofft jedoch, gerade bei jungen Menschen mit grünen Technologien zu punkten. Betriebswirte und Ingenieure sollen auch aus dem Ausland angeworben werden, betont Schulze. „Es nützt nichts, wenn wir hier viele gute Ideen haben – die 50 Arbeitskräfte müssen auch von irgendwo her kommen.“
Wandel von der Braunkohle hin zum grünen Wasserstoff
Neben CropEnergies wollen andere Unternehmen im Chemie- und Industriepark Zeitz investieren. Er soll wachsen – um die Größe von fast 200 Fußballfeldern. Was für den Wirtschaftsstandort an sich eine gute Nachricht ist, stört einige Anwohnerinnen und Anwohner. Sie machen mobil. Neue Gewerbeflächen ja, aber nicht in diesem Ausmaß. Die Bürgerinitiative fürchtet, dass der weitere Ausbau die Lebensqualität einschränkt – durch noch mehr Lastwagen-Verkehr und noch mehr Emissionen.
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Strukturwandel braucht Kompromisse. Und findige Konzepte. Für die Zukunft von Zeitz gibt es einen Masterplan mit „Leitplanken“ auf dem Weg zu einer grünen und digitalen Stadt mit neuen Industriearbeitsplätzen. Die geplante S-Bahn-Strecke Leipzig – Zeitz rückt näher. Und erst vor ein paar Tagen hat der Kreistag des Burgenlandkreises beschlossen, eine Gesellschaft zu gründen, die sich um den Aufbau der regionalen Wasserstoff-Infrastruktur kümmern soll. Der Sitz der Wasserstoff-Netz Burgenlandkreis GmbH in Zeitz symbolisiert für manchen Politiker schon den Wandel im Revier von der Braunkohle zum grünen Wasserstoff.
Zeitz und die gesamte Region sind auf dem Weg. „Im Osten passiert viel“, sagt Landeswirtschaftsminister Schulze.
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