Mannheim. Wie hat Südzucker während der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) agiert? Um diese Frage zu beantworten, hat der Historiker Manfred Grieger im Auftrag des Mannheimer Unternehmens recherchiert. In seinem nun erschienenen Buch „Die Süddeutsche Zucker-AG im Nationalsozialismus“ hat er die Ergebnisse festgehalten. Die Süddeutsche Zucker-AG ist die Vorgängergesellschaft der heutigen Südzucker.
Herr Grieger, was ist für Sie persönlich die wichtigste Erkenntnis aus Ihrer Arbeit?
Manfred Grieger: Wenn man Unternehmen bewertet, fragt man üblicherweise: Was macht der Vorstand, was der Aufsichtsrat? Doch das Spannende bei Südzucker während der NS-Zeit waren die dezentral organisierten Zuckerfabriken. Sie besaßen trotz aller Kontrolle durch die Zentrale eine hohe Autonomie – sie entschieden darüber, wo Arbeitskräfte geholt und wie diese behandelt wurden.
Wie beschreiben Sie das Verhältnis zwischen Südzucker und dem Regime der Nationalsozialisten?
Grieger: Als funktional. Die Altvorstände waren patriarchale Herrscher ihrer Standorte und strebten mit der Zeit in die NSDAP. Mit dem NS-System hatten sie keine Probleme, solange ihre eigene Herrschaft und die ungestörte Zuckerproduktion gewährleistet waren.
Zur Person
Manfred Grieger, Jahrgang 1960, studierte nach einer Ausbildung zum Buchhändler Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum.
Von 1998 bis 2016 war Grieger Chefhistoriker des Volkswagen-Konzerns .
Heute arbeitet der Wissenschaftler für Unternehmen und Kommunen ihre Geschichte auf, vorrangig die Zeit des Nationalsozialismus . Zudem ist Grieger als Lehrbeauftragter an der Georg-August-Universität Göttingen tätig, wo er 2018 zum Honorar-Professor ernannt wurde.
Das Buch „Die Süddeutsche Zucker-AG im Nationalsozialismus“ ist im Handel erhältlich. 260 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-8353-5819-5.
Ernährung war ein wichtiger Baustein nationalsozialistischer Politik …
Grieger: Genau. Das Regime hatte aus dem Ersten Weltkrieg gelernt, dass die Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung funktionieren musste. Deshalb spielte die 1926 entstandene Süddeutsche Zucker-AG eine wichtige Rolle. Das Unternehmen war sich dessen durchaus bewusst. Ohne größere Widerstände wurden Manager jüdischer Herkunft – wie jene aus der Familie Flegenheimer – aus wichtigen Gremien gedrängt. An den Flegenheimers störte sich die Unternehmensführung ohnehin, weil sie über die Deutsche Bank in den Aufsichtsrat und Vorstand gekommen waren und die Alleinherrschaft der Altvorstände in Gefahr brachten. Der Antisemitismus und staatliche Rassismus waren also eine gute Gelegenheit, die Flegenheimers loszuwerden.
Wie kam es zu dem Einsatz von Zwangsarbeitern?
Grieger: Die Zuckerindustriellen wollten einen schnellen Sieg der Wehrmacht, damit sie ihre deutschen Facharbeiter zurückbekommen. Während des Krieges war es aus ihrer Sicht völlig legitim, ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zu beschaffen. Sie galten nicht als Menschen, eher als Ressource. Deutsche Juden, Sinti und Roma, ebenso englische Kriegsgefangene wurden an einzelnen Standorten ausgebeutet.
Wie wurden die Zwangsarbeiter behandelt?
Grieger: Die Frauen und Männer mussten schwere körperliche Arbeit erledigen, draußen und bei Nässe. Das nötige Arbeitsmaterial war oft schwer zu besorgen. Ab 1943 waren teilweise nicht einmal mehr Holzschuhe zu bekommen. Gleichwohl wollte man die Zwangsarbeiter halbwegs ordentlich versorgen … nicht aus Nettigkeit, sondern damit sie leistungsfähig blieben. Schließlich waren die Fabriken auf Rentabilität aus.
Es muss trotzdem furchtbar gewesen sein.
Grieger: Natürlich. Man kann davon ausgehen, dass die Zwangsarbeiter nur eine Hungerration bekamen. Und wir wissen auch, dass Menschen gestorben sind. An Tuberkulose zum Beispiel.
Sind die Zwangsarbeiter eigentlich jemals entschädigt worden?
Grieger: Es gab durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag (die endgültige Friedensregelung nach dem Zweiten Weltkrieg, Anm. d. Red.) einen Fonds, und später entsprechende Bestrebungen durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Hier sind Gelder an Geschädigte geflossen, aber nicht sonderlich viel. Es war eher eine symbolische Entschädigung – und ein Zeichen der Anerkennung. Vielen Opfern war es wichtig, überhaupt gehört zu werden.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs ist 80 Jahre her. Hat Südzucker zu spät mit der Aufarbeitung begonnen?
Grieger: Das kann man so sehen. Aber: Nur die wenigsten Unternehmen lassen ihre Geschichte überhaupt aufarbeiten! Deshalb sollte man nicht jene sofort kritisieren, die sich bewegen.
Was kann, was muss Südzucker aus seiner eigenen Geschichte lernen?
Grieger: Ich will jetzt nicht allein von Südzucker sprechen, sondern grundsätzlich. Es ist die Pflicht von Unternehmen, sich stets ernsthaft zu fragen, ob sie sich an etwas beteiligen möchten, das sie später bitter bereuen könnten.
Wie ist das Management von Südzucker mit der historischen Aufarbeitung umgegangen?
Grieger: Der Vorstand um Niels Pörksen hat die Bedeutung des Themas auf alle Fälle erkannt. Im Vorfeld des 100. Geburtstags von Südzucker, der im nächsten Jahr gefeiert wird, ist es klug, sich mit der eigenen Geschichte auseinandergesetzt zu haben und transparent darüber zu informieren. Erst recht, wenn schlimme Kapitel dabei sind.
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