Mannheim. HSL2 steht in den Startlöchern. An der großen Anlage im Mannheimer Essity-Werk stehen an diesem letzten August-Tag Mitarbeiter in Arbeitsmontur zusammen - Ingenieure, Programmierer - und stellen die letzten Feinheiten an der neuen Taschentuch-Linie ein. Simon Deckenbach, Tempo-Betriebsleiter am Standort, grüßt auf seinem Weg durch die Halle, dann läuft er an einen Container neben dem Band und greift nach einem der vielen Tempo-Päckchen, die dort gesammelt sind.
Prüfend fährt er mit dem Finger über die blau-weiße Verpackung - und hält inne: Der Klebestreifen, mit dem die Taschentuch-Packung verschlossen ist, sitzt etwas schief auf der Folie. „Das sind letzte Kleinigkeiten, bei denen wir noch nachsteuern müssen, bevor es losgeht“, sagt Deckenbach.
Tempos "made in Mannheim" schon im Handel
HSL2 ist eine von mehreren Produktionslinien im Mannheimer Werk, auf denen künftig Tempo hergestellt wird. Der Umzug der Anlagen vom Standort Neuss, wo die bekannte Taschentuch-Marke bisher hergestellt wird, ist derzeit in vollem Gange. Zwei Tempo-Linien laufen bereits seit einigen Wochen in Mannheim. „Das Standard-Tempo aus Mannheim kann man bereits im Handel kaufen“, sagt Betriebsleiter Deckenbach. Mit der Anlage HSL2 geht nun die dritte Linie an den Start. Sie stand vorher in Neuss, wurde dort ab- und in Mannheim wieder aufgebaut. Rund drei Monate hat gedauert. Perspektivisch soll das Mannheimer Werk die blau-weiße Taschentuch-Marke auf mehreren Linien produzieren, die letzte soll im ersten Quartal des nächsten Jahres in Betrieb gehen.
Neuer Leiter im Mannheimer Werk
- Carlo Russo (48) ist in Italien geboren und aufgewachsen. Der studierte Chemiker ist seit 2009 bei Essity tätig, seine erste Station im Konzern war in Belgien.
- Seit 2020 arbeitet Russo am Essity-Standort in Mannheim. Anfang 2023 hat er dessen Leitung übernommen.
- Russo folgt damit auf Roger Schilling, der Ende September in Ruhestand geht.
- Vor seiner Zeit bei Essity war Carlo Russo beim US-Konzern Procter&Gamble tätig – zu dem damals übrigens noch die Marke Tempo gehörte.
Carlo Russo, seit Jahresbeginn neuer Leiter des Mannheimer Essity-Standorts, spricht von einer „tiefen Transformation“, in der sich das Werk aktuell befindet. Mannheim ist das größte Hygienepapierwerk des schwedischen Konzerns in Europa. Rund 283 000 Tonnen Hygienepapier-Produkte werden hier jedes Jahr verarbeitet. Außerdem stellt der Standort seinen Zellstoff zum größten Teil selbst her - zum überwiegenden Teil aus Holz. Seit einiger Zeit wird auf einer neuen Anlage allerdings auch in kleinerem Umfang Zellstoff aus Stroh hergestellt. 40 Millionen Euro hat Essity dafür investiert.
Auch heute werden am Standort schon Marken-Produkte hergestellt, allen voran Papierküchentücher und Toilettenpapier der Marke Zewa. Bisher laufen hier aber auch noch Handelsmarken vom Band: Produkte, die Essity für Discounter und andere Handelsketten produziert und die diese dann unter ihren eigenen Marken verkaufen. In der Vergangenheit machte dieses Geschäftsfeld teils bis zu 50 Prozent des Produktionsvolumens am Standort aus.
Vor einiger Zeit fiel im Essity-Konzern allerdings der Beschluss, die Produktionsstandorte neu zu ordnen: Mannheim wird nun zum Markenstandort ausgebaut, während sich Neuss auf Handelsmarken fokussiert. Im Frühjahr hatte die Essity-Führung in Schweden schließlich angekündigt, das Handelsmarken-Geschäft einer strategischen Überprüfung zu unterziehen.
Tempo-Produktion rund um die Uhr
In Mannheim werden unterdessen derzeit nicht nur Tempo-Linien aus Neuss aufgebaut. Auch zwei am Standort vorhandene Anlagen, auf denen bisher Taschentücher für Handelsmarken produziert wurden, werden auf Tempo umgerüstet. Auf einer laufen die blau-weißen Packungen bereits vom Band - sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag.
Standortleiter Russo streicht mit der Hand über die große weiße Tissue-Rolle, die am Anfang der Anlage steht: Das Hygienepapier, aus dem Tempo gemacht wird, ist speziell für die Marke gefertigt: Sie wirbt damit, reißfest zu sein, so dass die Taschentücher im Zweifel auch in der Waschmaschine nicht fusseln.
Während des Produktionsprozesses wird die breite Papierbahn zunächst in mehrere schmale Bahnen geteilt. In weiteren Schritten wird das Papier geprägt, zu Taschentüchern gefaltet und verpackt. Am Ende verlassen fertig gepackte blau-weiße Tempo-Kartons die Linie, bereit, um an den Handel geliefert zu werden. „Von Mannheim aus wird künftig der ganze deutsche Tempo-Markt bedient, aber auch Märkte in anderen Ländern“, sagt Russo. Im Essity-Konzern gibt es sonst nur noch ein weiteres Werk, das die Marke produziert, es steht in Italien.
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Während die Produktion des Standard-Tempos schon läuft, befindet sich eine weitere Anlage in einer der Hallen noch im Aufbau: Sie ist erst kürzlich aus Neuss angekommen und soll in Mannheim künftig Tempo-Spezialprodukte fertigen, zum Beispiel Taschentücher, die mit Duft verkauft werden.
Mit der Marke Tempo kommt Russo zufolge außerdem noch ein Produkt an den Standort, das hier bisher gar nicht produziert wird: sogenannte Facials, Kosmetiktücher aus der Pappbox. Auch hier warten bereits Teile einer speziellen Anlage in der Halle auf ihren Aufbau. Die Beschäftigten, die künftig an der Linie arbeiten sollen, seien mehrere Wochen in Neuss geschult worden, erklärt Russo.
Lange Taschentuch-Tradition in Mannheim
Während die Facial-Produktion am Standort neu ist, hat die Taschentuch-Herstellung in Mannheim eine lange Tradition: Früher, Essity hieß damals noch SCA, fertigte die Belegschaft hier die Taschentuch-Marke Sofis. 2007 übernahm SCA allerdings einen Teil der Hygienepapier-Sparte des US-Konzerns Procter&Gamble - und damit auch die Marke Tempo.
Da die Schweden nach Ansicht der EU-Wettbewerbsbehörden dadurch zu viel Macht auf dem Taschentuch-Markt hatten, musste SCA die Marke Softis verkaufen - „emotional damals ein schwerer Schritt für die Mannheimer Belegschaft“, sagt Betriebsleiter Deckenbach. Zwar blieb mit Zewa trotzdem eine Marke am Standort. Im Taschentuch-Bereich wurden im Werk aber ab da nur noch Handelsmarken produziert. „Umso mehr freuen wir uns natürlich, dass wir hier jetzt Tempo produzieren können.“
Den Aufbau der neuen Anlagen habe man auch genutzt, um die Arbeitsumgebung in der Produktion attraktiver zu gestalten: Große Leuchtröhren an der Decke sorgen jetzt für mehr Helligkeit, auch die Böden sind neu, stauben weniger und sind leichter zu reinigen. „Gerade hier in der Region stehen wir in direktem Wettbewerb zu anderen Industrieunternehmen, was die Gewinnung von Fachkräften betrifft. Insofern ist es wichtig, dass auch das Arbeitsumfeld stimmt“, sagt Standortchef Russo. Insgesamt arbeiten in der Mannheimer Essity-Produktion derzeit rund 1300 Menschen. Durch die Ansiedelung der Tempo-Produktion im Werk kommen neue Beschäftigte dazu.
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