Mannheim. Herr Hahn, der Fachkräfte- und Azubimangel bietet jungen Menschen gute Perspektiven. Welchen Tipp haben Sie für Schulabgänger und Schulabgängerinnen bei der Berufswahl?
Dirk Hahn: Ich würde jedem jungen Menschen empfehlen, das zu machen, was ihm liegt und Spaß macht und sich nicht so viel von anderen reinreden zu lassen. Ich selbst habe zum Beispiel nach der Schule gedacht, ich muss auf Marktlücke studieren und habe mit Informatik angefangen. Das ging genau ein Semester gut, dann wusste ich, das ist nichts für mich. Also habe ich zu BWL gewechselt. Aber auch eine Ausbildung kann der richtige Schritt sein. An die Idee „Nur wenn ich studiere, kann ich reich und glücklich werden, glaube ich nicht“.
Wo fehlen in der Region denn aktuell die meisten Fachkräfte?
Hahn: In Mannheim, Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis ist der Bedarf in der IT am größten, hier waren in den letzten zwölf Monaten über 9000 Stellen frei - mehr als die Hälfte davon allein in Mannheim. Aber auch im Segment Vertrieb/Marketing mit mehr als 4700 offenen Positionen und im Ingenieurwesen mit über 2600 freien Stellen sehen wir in der Region eine hohe Nachfrage. Dieser Fachkräftemangel ist ein großes Problem, und er wird sich verschärfen. Leider tut sich Deutschland schwer damit, die bürokratischen Hürden für Zuwanderung abzubauen. Da vermisse ich den nötigen Zug zum Tor.
Zur Person Dirk Hahn
- Dirk Hahn ist seit 2021 CEO der Mannheimer Personalvermittlung Hays.
- Er verantwortet dort die EMEA Region (Europa, Naher Osten, Afrika) des Unternehmens.
- Der Diplom-Kaufmann startete seine Karriere 1997 im Vertrieb des Unternehmens und war später auf verschiedenen Führungspositionen.
- Das Mannheimer Unternehmen, das zur britischen Hays-Gruppe gehört, ist auf die Rekrutierung und Vermittlung von hoch qualifizierten Fachkräften spezialisiert.
Finanzminister Christian Lindner hat sich eher auf die Rente mit 63 eingeschossen - ist länger arbeiten die Lösung?
Hahn: Man muss an mehreren Stellschrauben drehen. Eine ist, mehr Menschen, die arbeitsfähig sind, zu qualifizieren und in Arbeit zu bringen. Dafür muss man Anreize schaffen. Die Zuwanderung von Fachkräften ist ein weiterer Hebel. Und natürlich: Wir kriegen ein Problem, wenn alle mit 63 in Rente gehen. Oder sogar noch früher. In Zeiten des Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, die Expertise und Erfahrung dieser Menschen zu verlieren. Daher haben wir für diese Generation spezielle, flexible Programme entwickelt.
Also doch bis 70 arbeiten?
Hahn: Das geht sicher nicht in jedem Job, vor allem, wenn er körperlich anstrengend ist. Und ich glaube, wir brauchen das auch nicht verpflichtend für alle. Aber in Bereichen wie IT oder Engineering gibt es bestimmt viele Menschen, die motiviert wären, länger zu arbeiten. Das Problem ist: Die bürokratischen Hürden sind zu hoch und die Modelle zu unattraktiv. Deshalb machen viele neben der Rente höchstens einen 400-Euro-Job. Wir sollten flexibler sein, wenn jemand länger arbeiten will - die Betonung liegt aber auf „will“, nicht „muss“.
Wenn man manche Arbeitgeber klagen hört, hat man eher den Eindruck, es will überhaupt niemand mehr arbeiten, zumindest nicht die Jüngeren. Hat die Generation Z zu wenig Bock auf Leistung?
Hahn: Das sehe ich überhaupt nicht so. Wenn Sie meinen Vater vor 30 Jahren gefragt hätten, hätte er das Gleiche über mich gesagt. Was sich geändert hat, ist die Motivation. Ich war nach dem Studium froh, einen Job zu haben, der mir Spaß macht und in dem ich relativ erfolgreich war. Ich habe mir kaum Gedanken gemacht, ob meine Firma nachhaltig ist. Heute achten die Jüngeren auf mehr Faktoren: Nachhaltigkeit, Sinn, den Beitrag, den ein Unternehmen für die Gesellschaft leistet. Ich bin sicher, es gibt in jeder Generation Menschen, die Lust auf Arbeit haben. Aber die Anreizsysteme ändern sich. Darauf müssen sich Arbeitgeber einstellen.
Heute achten die Jüngeren auf mehr Faktoren: Nachhaltigkeit, Sinn, den Beitrag, den ein Unternehmen für die Gesellschaft leistet.
Welche Faktoren sind noch entscheidend?
Hahn: Das Wichtigste ist aus meiner Sicht die Führungskultur in einem Unternehmen. Wenn ich viel Geld bezahle, kriege ich schon erst einmal gute Leute - aber sie bleiben nur, wenn die Führung passt und sie sich wohlfühlen. Gerade jüngere Menschen wollen in Entscheidungen viel stärker eingebunden werden. Sie sind mit einer offeneren Diskussionskultur aufgewachsen, zu Hause und in der Schule. Die können mit dem früheren Top-Down-Modell - der Chef sagt, wo es lang geht und alle laufen los - nichts anfangen.
Da muss der ein oder andere Chef aus der Babyboomer-Generation vermutlich ziemlich umdenken. . .
Hahn: Natürlich muss jeder Betrieb individuell schauen, was da möglich ist. Aber so weiter machen wie immer - das geht nirgends mehr.
Und wie wichtig ist die berühmte Work-Life-Balance?
Hahn: Die spielt heute natürlich eine größere Rolle - zumal Beschäftigte in der aktuellen Situation leichter zu einem anderen Unternehmen wechseln können, wenn sie dort mehr Flexibilität bekommen. Das hat mit veränderten Werten zu tun. Viele junge Menschen möchten mehr vom Leben als jeden Tag nur ins Büro zu gehen. Gleichzeitig wollen Dienstleistungsunternehmen wie wir sicherstellen, dass wir für unsere Kunden erreichbar sind. Das muss man dann eben entsprechend organisieren.
Sprechen Sie bei Hays über die Vier-Tage-Woche?
Hahn: Klar. Wir haben alle drei Monate eine digitale Frage-Antwort-Sitzung mit allen Mitarbeitenden, da sind 2500 bis 3000 Menschen dabei. Seit ein, zwei Jahren kommt immer die Frage nach der Vier-Tage-Woche.
Und was antworten Sie?
Hahn: Ich differenziere zwischen der Vier-Tage-Woche als Teilzeitmodell, also mit entsprechend geringerem Gehalt, und der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Die erste Variante ist bei uns problemlos möglich, seit ein paar Jahren auch auf Führungspositionen. Bei der anderen Variante bin ich skeptisch.
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Warum?
Hahn: Ich kann mir nicht vorstellen, für die gleiche Produktivität 20 Prozent mehr zu bezahlen. Das geben die meisten Geschäftsmodelle nicht her, auch unseres nicht. Wenn wir durch Digitalisierung irgendwann eine deutlich höhere Produktivität erreichen, ist das etwas anderes - dann könnte es eine Option sein.
Apropos Digitalisierung: Wird bald eine KI Bewerbungsgespräche mit Job-Kandidaten führen?
Hahn: Ich glaube nicht, dass der Recruitingprozess auf absehbare Zeit komplett digitalisiert wird. Einzelne Schritte ja: Den Anruf für die Terminvereinbarung zum Vorstellungsgespräch kann ein Chatbot machen. Das Interview und die Auswahl macht aber vorerst keine KI. Da ist die Technik nicht so weit, und auch rechtlich wäre das nach heutigem Stand nicht möglich. Insgesamt sehe ich das Thema aber sehr positiv: Ohne KI können wir den Fachkräftemangel nicht bewältigen. Wir brauchen die Automatisierung und Digitalisierung von Jobs. Indem uns die KI bei Standardaufgaben entlastet, bleibt mehr Zeit für Beratungsleistungen für Kunden, Kandidatinnen und Kandidaten.
Zum Schluss: Sie sind gerade mit Ihrer Zentrale in das Loksite auf dem Lindenhof gezogen. Lockt die moderne Arbeitsfläche die Mitarbeitenden aus dem Homeoffice?
Hahn: Also freitags sind nicht viele hier, das ärgert mich als Schwabe natürlich, wenn man viel Geld für Büros ausgibt, die dann nur drei, vier Tage genutzt werden (lacht). Nein, im Ernst: Eine attraktive Arbeitsumgebung ist inzwischen mehr als nur ein Hygienefaktor. Der Umzug war für uns der perfekte Anlass, uns da besser aufzustellen: mit Möglichkeiten zum Brainstormen, Flächen zur Begegnung, aber auch „silent rooms“ zum Nachdenken. Das hilft schon, damit die Leute gerne ins Büro kommen.
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