Mannheim. Herr Gerst, kann man Mannheim vom Weltraum aus sehen?
Alexander Gerst: Ja! Tatsächlich ist Mannheim - durch seine Lage am Rhein - einer der wenigen Orte in Deutschland, die vom Weltraum aus relativ gut zu erkennen sind. Zunächst war mir das nicht klar. Ich habe von der Internationalen Raumstation aus tolle Fotos der Altarme des Rheins gemacht und mich gefragt: Wo ist denn das? Nach kurzer Recherche bei Google Earth habe ich gemerkt: Da ist ja Mannheim mittendrin. Danach habe ich diese prominente Stelle immer sofort erkannt.
In Mannheim sind Sie vor Kurzem beim Hackfestival aufgetreten. Wie sehen Sie Ihre Rolle?
Gerst: Für die Europäische Weltraumorganisation ESA und mich ist es wichtig zu erklären, warum wir in den Weltraum fliegen. Erstens, weil es Steuergelder sind, zweitens, weil es mir am Herzen liegt. Ich möchte die Begeisterung teilen, aber auch die Sorgen, wenn man die Erde von oben sieht. Das gibt allen Menschen die Möglichkeit, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Von daher ist es großartig, wie sich junge Menschen auf dem Hackfestival engagieren.
Sind Sie nicht gefrustet, weil der Kampf gegen den Klimawandel so langsam voranschreitet?
Gerst: Es müsste alles viel schneller gehen. Das ist offensichtlich. Gleichzeitig bin ich Optimist. Wenn ich sehe, was alles für den Klimaschutz angestoßen wird, überwiegt das den Frust.
Gleichzeitig gibt es immer noch Menschen, die den Klimawandel leugnen. Was entgegnen Sie denen?
Gerst: Mir gegenüber hat sich noch niemand getraut, den Klimawandel zu leugnen (lacht). Genauso wenig sagen mir Leute, die Erde sei eine Scheibe. Im Ernst: Wir haben auf der ganzen Welt viele clevere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Faktenlage ist doch klar. Die ändert sich nicht, nur weil einige etwas anderes behaupten.
Mit der Raumfahrt ist es zwiespältig, der CO2-Fußabdruck ist momentan alles anders als gut.
Gerst: Jede Ressource ist eine Investition. Sie lässt sich gut nutzen oder eben nicht. Deshalb machen wir bei der ESA Missionen nur, wenn wir denken, dass sie sehr wichtig sind. Nehmen Sie die Forschung auf der Internationalen Raumstation, die allen Menschen auf der Erde zu Gute kommt, oder Satellitensysteme wie Copernicus. Diese Satelliten sammeln mit Sensoren Daten, die dabei helfen, den Klimawandel verstehen und zu bekämpfen. Hier werden Investitionen sinnvoll eingesetzt und es wird das Beste aus dem CO2-Fußabdruck gemacht, finde ich. Gleichzeitig muss sich die Raumfahrt selbst anstrengen. Die ESA hat deshalb eine grüne Agenda: Treibstoffe zum Beispiel sollen kohlenstoffärmer werden. Mit der Raumfahrt aufhören sollten wir aber ganz bestimmt nicht.
Weshalb?
Gerst: Weil wir sonst blind werden. Es ist wichtig, Systeme nachvollziehen zu können, einen Blick von außen zu bekommen oder, wie durch eine Reise zum Mond, unsere Vergangenheit besser zu verstehen und die Erde zu schützen. Das hilft für die Zukunft. Und wir arbeiten daran, dass das noch effizienter passiert. Und noch etwas: Wer in einem Raumschiff oder auf einer Raumstation unterwegs ist, lernt nachhaltig zu leben, zu arbeiten, zu denken, zu agieren. Denn die Ressourcen zur Lebenserhaltung dort sind begrenzt. Man wird zu einem ganz anderen Mindset gezwungen. Deswegen kommen auch so viele Technologien, die hier auf der Erde mehr Nachhaltigkeit bringen, aus der Raumfahrt.
Infos zu „Astro-Alex“ - Alexander Gerst
Alexander Gerst wurde am 3. Mai 1976 in Künzelsau im Nordosten Baden-Württembergs geboren. Er studierte Geophysik an der Universität Karlsruhe (heute KIT) und promovierte später in Hamburg mit einer Forschungsarbeit zur Eruptionsdynamik des antarktischen Vulkans Mount Erebus.
Gerst ist seit 2009 Mitglied des ESA-Astronautenkorps.
Er flog zweimal zur Internationalen Raumstation ISS.
„Astro-Alex“ drehte zahlreiche Videos aus dem Weltall, unter anderem für „Die Sendung mit der Maus“.
Ein Flug ins All entspricht 150 Fernflügen - Milliardäre wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Richard Branson planen Hunderte solcher Raketenstarts für Weltraum-Touristen. Was halten Sie davon?
Gerst: Es ist ambivalent. Ich fände es großartig und wichtig für unsere Gesellschaft, wenn jeder Mensch die Chance hätte, die Erde von außen zu sehen. Per se ist das also etwas Positives, weil man plötzlich unseren Planeten anders sieht und anders handelt. Wichtig ist aber, dass es nachhaltig ist, dass man so eine große tolle Sache für die Wissenschaft nutzt. Wenn man es nur aus Spaß, als Abenteuerurlaub macht - so etwas tut mir im Herzen weh.
Wie finden Sie es dann, dass immer mehr private Unternehmen bei Raumfahrt-Projekten im Boot sind?
Gerst: Die Kommerzialisierung in der Raumfahrt ist grundsätzlich etwas Positives, das wollen wir in der ESA schon sehr lange möglich machen. Wir haben den Acker bestellt. Die ISS umrundet die Erde in einem sehr niedrigen Orbit, und wir haben gelernt, in dieser Umgebung zu forschen. Das können nun auch private Unternehmen, um Experimente durchzuführen. Daran haben einige von ihnen Interesse, zum Beispiel um künstliche Organe herzustellen oder den Klimawandel besser zu verstehen. Das ist eine gute Entwicklung, denn sie befreit wichtige Ressourcen. Dann können wir Sachen machen, die nur Agenturen wie die ESA können - nämlich durch internationale Zusammenarbeit in der Exploration etwas mehr Licht ins Dunkel des Weltraumes zu tragen.
Andererseits käme die NASA ohne Elon Musk und seine Space-X-Raketen kaum noch zur ISS. Wie finden Sie diese Abhängigkeit von einem - vorsichtig formuliert - unberechenbaren Privatmann?
Gerst: Ich kann nicht für die NASA sprechen. Eine Zusammenarbeit mit wenigen großen Unternehmen hat aber natürlich auch Risiken. Deshalb wurde ja von Anfang an versucht zu erreichen, dass mindestens zwei kommerzielle Unternehmen einen Zugang zum All anbieten.
Sie gelten als einer der Kandidaten für die NASA-Mondmission Artemis 3. Was bringt die Erforschung des Mondes?
Gerst: Sehr viel. Wir müssen überhaupt erstmal unseren Planeten verstehen. Dafür ist der Mond ein richtig gutes Archiv, wie ein Geschichtsbuch der Erde, in das wir hineinschauen können. Er ist aus der Erde heraus entstanden, so können wir viel aus unserer Vergangenheit lernen.
Haben Sie ein Beispiel?
Gerst: Wenn wir die Meteoriteneinschläge auf dem Mond berechnen, lässt das Rückschlüsse auf das Risiko von künftigen Einschlägen von Meteoriten auf der Erde zu. Es gab schon viele Einschläge auf der Erde, die wir aber aufgrund von Erosion nicht mehr ausreichend erforschen können - mehrere davon mitten in Deutschland. Und es wird weitere geben. Man kann also sagen: Wir müssen zum Mond, um die Erde besser zu schützen. Zum Beispiel können wir vielleicht ein Teleskop oder ein Abwehrsystem auf dem Mond installieren, das anfliegende Meteoriten früher erkennt. Aber zunächst einmal müssen wir lernen, dort effizient zu arbeiten.
Es geht jetzt also um viel mehr, als nur eine Flagge aufzustellen.
Gerst: Jetzt geht es um die Exploration, es gibt so viel zu erforschen dort. Es ist sogar möglich, dass wir auf dem Mond Belege für vergangenes Leben von unserem Planeten entdecken, wenn wir Gesteinssplitter von der Erde finden, die vor Milliarden Jahren auf dem Mond eingeschlagen sind. Damit könnten wir vielleicht eine Lücke zu unserer eigenen Vergangenheit schließen. Kein Mensch weiß, wo wir eigentlich herkommen. Und der Mond ist ein Sprungbrett zum Mars.
Warum wäre eine Mars-Mission so wichtig?
Gerst: Dort gab es einmal Wasser und eine dichte Atmosphäre. Der Mars war also ein vermutlich lebensfreundlicher Planet. Jetzt ist er wüst und leer. Was ist da passiert? Wie können wir so etwas für die Erde vermeiden? Und wenn wir auf dem Mars Spuren von Leben finden, heißt das vielleicht, dass das Universum blüht vor Leben. Das können wir auf dem Mars herausfinden, dafür müssen wir aber zuerst zum Mond. Ich könnte noch eine ganze Weile weiterreden . . . Auf jeden Fall wird der Flug zum Mond den Weg bereiten für Jahrzehnte von Wissenschaft.
Und für Sie persönlich würde sich der Kreis schließen aus Ihren zwei Leidenschaften, den Geowissenschaften, dem Steine-Erforschen also, und der Raumfahrt.
Gerst: Ja, das stimmt - und ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn ich bei dieser Expedition dabei sein kann, aus verschiedenen Gründen. Und wer weiß, vielleicht klappt es ja. Aber es sollte bei dieser Expedition nicht um mich als Person gehen. Es ist vielmehr wichtig, dass wieder jemand hinfliegt, dass es diesmal Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind, und dass bei diesen wichtigen Expeditionen jemand aus Europa und auch aus Deutschland dabei ist. Wir haben sehr viel dazu beigetragen, ein Teil des Orion-Raumschiffes wird hier gebaut.
Würden Sie wie bei Ihrem ISS-Aufenthalt auch die Maus und den Elefanten aus der „Sendung mit der Maus“ mitnehmen?
Gerst: Natürlich! Und die Ente, die war noch nicht im Weltall.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-regionale-wirtschaft-herr-gerst-sieht-man-mannheim-aus-dem-weltall-_arid,2242513.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-regionale-wirtschaft-hackfestival-mannheim-das-sind-die-gewinner-_arid,2241438.html