Interview

Experte Manuel Vermeer: „Die BASF kann sich nicht aus China heraushalten“

China-Kenner Manuel Vermeer verteidigt, dass das Chemie-Unternehmen aus Ludwigshafen im Reich der Mitte ein neues Werk baut. Warum er der Bundesregierung eine „Doppelmoral“ vorwirft

Von 
Walter Serif
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Die BASF will zehn Milliarden Euro in China investieren. © Uwe Anspach/dpa

Ludwigshafen. Herr Vermeer, die Bundesregierung will die Abhängigkeit der Wirtschaft von China verringern, der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF investiert dagegen im Reich der Mitte zehn Milliarden Euro in ein neues Werk. Welche Strategie ist die richtige?

Manuel Vermeer: Der Kurs der BASF ist vernünftig. China ist der größte Chemiemarkt der Welt. Da kann sich ein Unternehmen wie die BASF gar nicht heraushalten. Wir müssen klar unterscheiden zwischen dem, was wir dort tun und was wir hier sagen.

Was meinen Sie damit genau?

Vermeer: Hinter den Kulissen kann man offen mit den chinesischen Entscheidungsträgern über Politik oder Wirtschaft reden. Nichts bringen würde es aber, wenn die BASF jetzt plötzlich das Thema Menschenrechte ansprechen würde. Das wäre sinnlos, auf diese Weise kann man keine Geschäfte dort machen.

Geschäft kommt vor der Moral?

Vermeer: Das habe ich nicht gesagt. Im Gegenteil: Wir dürfen uns nicht verbiegen lassen und müssen zu unseren Werten stehen. Man kann alles unter vier Augen oder hinter der Tür in einem höflichen Ton ansprechen. Ich habe das früher als Dolmetscher für politische Delegationen und als Unternehmensberater selber so erlebt. Aber wir sollten niemand in China öffentlich angreifen. Damit erreichen wir nichts.

Zurück zur BASF. Zehn Milliarden Euro sind auch für sie viel Geld. Glauben Sie wirklich, dass dies in der gegenwärtigen geopolitischen Lage ein sicheres Investment ist?

Vermeer: Die BASF wird ja in dem neuen Werk hauptsächlich für den chinesischen Markt produzieren. Diese Strategie verfolgen auch andere deutsche Unternehmen wie VW oder BMW. Das Motiv liegt auf der Hand: Selbst wenn es zu Konflikten kommen sollte, würden die Lieferketten nicht reißen. Das Risiko ist beherrschbar, die deutschen Unternehmen können auf diese Weise viel Geld verdienen. Nicht nur die großen deutschen Konzerne, auch die mittelständischen Betriebe dürfen diesen Markt nicht einfach abschreiben. Dafür ist er einfach zu groß.

Zur Person: Manuel Vermeer

  • Manuel Vermeer wurde am 6. April 1961 in Iserlohn geboren. Er studierte am Institut für Sinologie der Universität Heidelberg.
  • Der Krimiautor ist seit 1988 Professor am Ostasieninstitut der Hochschule Ludwigshafen.
  • Vermeer ist Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Vermeer-Consult, die im Asiengeschäft tätig ist. was

 

Sind deshalb nicht viele Branchen inzwischen hochgradig abhängig von China?

Vermeer: Das stimmt. Aber auch China braucht Deutschland. Die Abhängigkeit ist also gegenseitig.

Das hat man früher in Bezug auf die Gaslieferungen aus Russland auch gesagt. Wladimir Putin war es aber egal. Ist es nicht beängstigend, dass Chinas starker Mann Xi Jinping offen damit droht?

Vermeer: China sagt schon seit Jahrzehnten, das es sich friedlich mit Taiwan wiedervereinigen will.

Friedlich? Davon war bei Xis Auftritt beim Parteitag der Kommunisten im Oktober 2022 keine Rede. Immerhin sagte er, „wir werden uns niemals verpflichten, den Einsatz von Gewalt aufzugeben“.

Vermeer: Aber deshalb kann ein Unternehmen doch jetzt nicht einfach sagen: Wir bauen das Werk nicht, weil irgendwann einmal etwas passieren kann. Klar müssen wir die Risiken absichern, aber selbst die US-Amerikaner, die groß von „Entkopplung“ reden und einen sehr anti-chinesischen Kurs fahren, haben Xi bei seinem Treffen mit US-Präsident Joe Biden mit Standing Ovations im Saal begrüßt. Hunderte Konzernbosse haben 2000 Dollar bezahlt, um mit Xi im selben Raum dinieren zu dürfen. Die waren begeistert. Wenn das die Amerikaner machen, wäre es seltsam zu erwarten, dass wir unsere Geschäfte mit China stoppen sollen.

Ist die Eiszeit zwischen den USA und China vorbei?

Vermeer: Herr Xi braucht Investitionen der USA mehr denn je. Chinas Wirtschaft schwächelt. Die Wachstumsraten . . .

. . . früher waren das bis zu neun Prozent …

Vermeer: … werden immer kleiner. Inzwischen gehen die Ökonomen von zwei bis drei Prozent in den nächsten Jahren aus. Xi braucht die ausländischen Investitionen, damit er den heimischen Konsum ankurbeln kann. Deshalb hat er den Trip in die USA unternommen. Das hat aber nichts mit der politischen Lage zu tun. Die Eiszeit dauert noch immer an. Daran würde sich auch nichts ändern, sollte Donald Trump wieder an die Macht kommen. Die Angst der USA vor der neuen Supermacht besteht nach wie vor. Aber immerhin: Man redet wieder miteinander, auch die Militärs, das ist sehr gut.

Sie glauben also nicht, dass China den Konflikt mit Taiwan auf die Spitze treibt?

Vermeer: Nicht jetzt, erst, wenn sie ziemlich sicher sein können, diesen auch gewinnen zu können. Eine militärische Konfrontation mit den USA kann China frühestens Ende des Jahrzehnts riskieren. Und auch dann ist China völlig klar, dass beide Seiten verlieren würden. Aber China will seinen Rang als Weltmacht festigen und bis 2049 mit den USA wirtschaftlich, technologisch und politisch gleichziehen. Das ist das Recht der Chinesen. Die USA müssen sich damit abfinden, dass sie dann nicht mehr die einzige Supermacht sind.

Schon eine Verschärfung des Handelskriegs wäre für China fatal, denn dann würden die USA mit allen Mitteln versuchen, Europa auf ihre Seite zu ziehen.

Vermeer: Selbstverständlich, aber auch das würde beide Seiten treffen. China ist ebenfalls von Europa sehr abhängig und braucht unsere Arbeitsplätze und unser Know-how. Deshalb will China auf keinen Fall eine Konfrontation mit uns. Aber an der Wiedervereinigung mit Taiwan hält die Führung fest. Da müssen wir dann im Worst-Case-Fall schauen, wie wir darauf reagieren. China wird seine Politik nicht nach dem ausrichten, was wir für gut oder schlecht halten.

Zurück zur Einstiegsfrage: Die Bundesregierung will die deutsche Wirtschaft unabhängiger von China machen. Wie soll das denn funktionieren?

Vermeer: EU-Kommisionschefin Ursula von der Leyen benutzt dafür ja den Begriff „De-Risking“.

Also Risikominderung.

Vermeer: Genau. Doch in Wirklichkeit machen wir uns abhängiger von China. Denken Sie nur an die E-Mobilität. Rohstoffe wie Lithium und Kupfer kommen überwiegend aus China. Das passt nicht zusammen.

Ist das dann also eine Geisterdebatte?

Vermeer: Ja. Wir wollen kein russisches Gas mehr und kaufen es von Indien. Die haben es von Russland besorgt. Oder wir holen es uns in Katar, das auch keine Demokratie ist. Da ist viel Doppelmoral im Spiel. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Es ist gut, dass wir eine China-Strategie haben, das war überfällig, Frau Merkel hat das versäumt. Aber auch da gibt es viele Worthülsen.

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Wollen Sie überhaupt De-Risking?

Vermeer: Als Berater sagen ich Ihnen natürlich, dass Sie ihr China-Geschäft absichern und vorsichtig sein müssen, weil der Konflikt mit China eskalieren kann. Deshalb finde ich es gut, dass viele Unternehmen wie die BASF in China für China agieren. Man muss einfach jeden Betrieb einzeln unter die Lupe nehmen. Das mache ich als Unternehmensberater für den asiatischen Markt seit 30 Jahren. Es gibt immer mehr Firmen, die sich auch nach Vietnam, Singapur und jetzt ganz stark nach Indien umschauen. Ich bin halber Inder und bin gerade von dort zurückgekommen. Das wird ein spannender Markt.

Das ist natürlich auch eine Form des De-Risking.

Vermeer: Natürlich. Aber klar ist auch: Wir haben in China in den vergangenen Jahrzehnten unglaublich viel Geld verdient. Das gilt vor allem für die Automobilindustrie. BMW, Mercedes und VW haben dort 30 bis 40 Prozent ihrer Produkte abgesetzt. Das wird sich grundlegend ändern. Denn gerade im Bereich der E-Mobilität machen uns die chinesischen Autobauer ja jetzt sogar auf dem heimischen Markt Konkurrenz. Sie kommen mit hervorragenden Fahrzeugen, die genauso gut oder sogar noch besser sind als unsere. Die deutschen Automobilhersteller haben die E-Mobilität verschlafen. Die chinesischen Fahrzeuge sind keine Autos, in die auch ein iPad eingebaut ist. Das sind iPads auf Rädern. Das ist ein ganz anderer Ansatz, da spielen Spaltmaße keine Rolle. Das können wir nicht, und wir investieren auch viel zu wenig in die E-Mobilität.

Noch spielt Deutschland mit seiner Automobilindustrie in der Champions League.

Vermeer: Wenn wir nicht aufpassen, wird sich die deutsche Automobilindustrie auf sehr harte Zeiten einstellen müssen. Wir haben früher über die japanischen Autos gelacht. Dann über die koreanischen, jetzt nehmen wir die chinesischen Fahrzeuge nicht ernst. Wir müssen schnell von China lernen, die westliche Arroganz sollte schleunigst mehr Respekt weichen. Wir müssen uns kompetent mit China auseinandersetzen, ob es uns passt oder nicht.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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