Mannheim. Wenn Tierleid zum Geschäft wird, dann geht es um Geld, besser gesagt um Spendengeld. Wie auf Mitleid basierende Manipulationen in sozialen Medien funktionieren, leuchtet eine vom ZDF in dem Format „Die Spur“ ausgestrahlte Doku aus, die auch nach Ägypten führt.
Diese endet damit, dass jener Ali, der sich bei Tiktok und Instagram mit dramatischen Videos als Retter verwahrloster Pferde inszeniert hat, auf Veranlassung der Mannheimer Staatsanwaltschaft verhaftet worden ist – in Zusammenhang mit Corona-Testzentren. Diese Redaktion hat nachgehakt.
Unsere Recherche beginnt mit einem Anruf bei der in der Quadratestadt ansässigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsdelikte. Sprecherin Jeanie Henn bestätigt, dass es eine Verhaftung gab und diese mit zwei bereits 2022 abgeschlossenen Wirtschaftsprozessen in Verbindung steht.
Gruppe soll mit Testzentren in Mannheim und Heidelberg 3,3 Millionen Euro erschlichen haben
Damals ermittelte die Strafverfolgungsbehörde gegen eine fünfköpfige Gruppe, die in wechselnder Zusammensetzung mit Covid-Testzentren in Mannheim sowie Heidelberg insgesamt 3,3 Millionen Euro erschlichen haben soll. Allerdings waren die Beschuldigten in Ägypten abgetaucht – bis auf Hakim. Der Bahnbeschäftigte, der vor dem Verfahren ein geordnetes Leben ohne Vorstrafen geführt hatte, schilderte vor Gericht, wie 2021 alles begonnen hatte.
Fragwürdige Spendenkampagnen
- „Das Geschäft mit dem Tierleid“ haben die Investigativ-Journalistinnen Caterina Klaeden und Susan Penack mittels verstörender Postings auf Social Media für das ZDF ausgeleuchtet.
- Der in dem Doku-Format „Die Spur“ ausgestrahlte Film über selbst ernannte Tierretter und fragwürdige Spendenkampagnen kann über die Mediathek abgerufen werden.
- Recherchen haben die beiden Autorinnen nicht nur nach Ägypten, sondern auch ins afrikanische Uganda geführt. wam
Sein langjähriger Freund Ali habe ihm vorgeschwärmt, dass Bruder und Onkel mit Corona-Teststationen viel Geld verdienen, und er in das lukrative Geschäft ebenfalls einsteigen wolle – aber wegen eines negativen Schufa-Eintrages keine Zulassung bekomme. 5000 Euro seien ihm versprochen worden, wenn er seinen Namen für Anmeldung, Konten und Mails zur Verfügung stellt.
Drahtzieher war von Ägypten-Aufenthalt nicht mehr zurückgekehrt
Die Strafkammer hörte damals jenen Bankangestellten einer Ludwigshafener Commerzbank-Filiale, der mit Hakim zu tun hatte: Dem Zeugen war im Gedächtnis geblieben, wie dieser für den Hintermann Ali erst eine Kontovollmacht beantragte, diese wenig später cancelte und kurz darauf den Widerruf rückgängig machen wollte. Dass Drahtzieher Ali von einem Ägypten-Aufenthalt nicht mehr zurückgekehrt war, kam in dem Prozess mehrfach zur Sprache. Außerdem hatten dessen Bruder und ein Freund das Weite gesucht – bei ihnen sollten freilich in dem Land am Nil die Handschellen klicken.
Als sich die zwei geschnappten und ausgelieferten Betreiber dubioser Corona-Bürgertestzentren vor einer Mannheimer Wirtschaftsstrafkammer verantworten mussten und im Dezember 2022 zu hohen Gefängnisstrafen samt Wertersatz verurteilt wurden, war von Freundschaft nichts mehr zu spüren. Die beiden belasteten sich gegenseitig. Ali, der gesondert verfolgte Bruder, blieb verschwunden. Bis er bei Tiktok und Instagram als Retter von Tieren auftauchte.
Der Mann zieht ein abgemagertes, lahmendes Pferd aus einer Müllhalde
Seinem einstigen Freund Hakim– er hat inzwischen die Strafe abgesessen – blieben die millionenfach geklickten Videos nicht verborgen. Im Gespräch mit dieser Zeitung berichtet er, lange vor der ZDF-Doku die Mannheimer Staatsanwaltschaft darüber informiert zu haben. Bei Recherchen zu inszenierten Tierrettungen waren die TV-Journalistinnen auf einen deutschen Account mit Postings gestoßen, in denen sich Ali insbesondere als Retter entkräfteter Pferde präsentiert.
Der Mann mittleren Alters mit stämmiger Statur – sein Gesicht wurde nachträglich verpixelt – zieht beispielsweise aus einer Müllhalde ein abgemagertes lahmendes Pferd, verabreicht diesem per Spritze Medikamente. Ali ist auch zu sehen, wie er mit Eigentümern verwahrloster Arbeitstiere über deren Preis verhandelt und dabei mit geballten Fäusten in vermeintlichem Streit fuchtelt.
„Die Videos wirken auf mich wie ein Theaterstück“
Auch wenn seine Stimme in der Doku verändert wurde, ist sein fließendes Deutsch zu hören. Teilweise taucht der Schriftzug „Help horses in Egypt“ auf. Meist ist Musik unterlegt, häufig der Tom-Odell-Song „Another Love“. Eine der Autorinnen kommentiert: „Die Videos ähneln sich und wirken auf mich wie ein Theaterstück.“ Die am 20. August im ZDF ausgestrahlte Doku „Das Geschäft mit dem Tierleid“ hat in sozialen Medien heftige Diskussionen wie Nachforschungen ausgelöst, die auch die Staatsanwaltschaft interessiert verfolgt.
Unter „offenun`ehrlich“ postet eine „Gerüchte-Checkerin“ bei Instagram: Alis Team habe auf Nachfrage dessen Verhaftung bestätigt, aber erklärt, dass diese mit einer „früheren Sache“ und nichts mit Tierrettung zu tun habe. Auch wenn sich die Staatsanwaltschaft zu Einzelheiten der Verhaftung bedeckt hält, bestätigt Sprecherin Henn, dass diese bei der Einreise aus Ägypten nach Deutschland erfolgte und sich damit ein weiteres Mitglied der zunächst abgetauchten Fünfer-Gruppe in U-Haft befindet.
Anklage vielleicht schon in zwei Monaten
Sie verweist auf das übliche Procedere, und das bedeutet Erheben einer Anklage – vielleicht schon in zwei Monaten. Und so könnte es bei einer Mannheimer Wirtschaftsstrafkammer einen weiteren Prozess rund um Covid-Bürgertests geben. Als vor knapp drei Jahren Alis Bruder und dessen Geschäftspartner verurteilt wurden, sprach der Vorsitzende Richter von einem „Potemkinschen Dorf“ mit der Mannheimer Adresse Schwetzinger Straße: Dort war das Testzentrum mit manipulierten Namenslisten geführt worden.
Bei einem weiteren Corona-Betrugsprozess dürfte wohl Hakim erneut vor Gericht aussagen – diesmal als Zeuge mit Hintergrundwissen. In seinem eigenen Verfahren, bei dem eigentlich auch Strippenzieher Ali hätte auf der Anklagebank sitzen sollen, war unstrittig, dass die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zu Unrecht geltend gemachte Leistungen für Covid-Schnelltestungen in Höhe von 240.000 und nochmal von 104.000 Euro überwiesen hatte. Wohin das Geld geflossen ist, blieb in dem Prozess offen.
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