Mannheim. „Anklage gegen 36-Jährigen wegen Urheberrechtsverletzung und Computerbetrug durch illegale Verbreitung von Pay-TV-Inhalten sowie Geldwäsche“: Dies teilte das Cybercrime-Zentrum gemeinsam mit der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vor fünf Monaten mit. Jetzt läuft am Mannheimer Landgericht der Prozess. Gleich zum Auftakt räumt der inzwischen aus der U-Haft entlassene Computerfreak mit Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und Elektriker die ihm zur Last gelegten Vorwürfe vollumfänglich ein.
Die Ermittlungen hatte eine Strafanzeige des Medienunternehmens Sky ins Rollen gebracht. Vorausgegangenen war ein gezielter Testkauf in einem einschlägigen Forum. „Erlebe Gänsehautmomente im nationalen und internationalem Live-Sport, mitreißende Filme und Serien und beste Unterhaltung“, so wirbt der Streaming-Anbieter. „Entertainment-Pakete“ sind zwar beliebt, aber nicht gerade billig – was Piraterie boomen lässt.
Digitale Schlüssel oder „geknacktes“ Signal als Stream verhökert
Wer in Blogs wie „tarnkappe.info“ stöbert, erfährt, dass bereits beim Aufkommen des digitalen Fernsehens Satelliten-Receiver mit Zugang zu verschlüsselten Sendern manipuliert wurden. Als Einfallstor gilt das Einführen von Cardsharing-Netzwerken, bei denen ein Abonnement auf mehrere Nutzer aufgeteilt wird.
In der am ersten Verhandlungstag von der Staatsanwältin Cohrs verlesenen Anklage geht es ebenfalls um Cardsharing: Der inzwischen von dem Mittdreißiger eingeräumte Vorwurf lautet, unerlaubt extrahierte digitale Schlüssel zum Decodieren des Pay-TV-Signals zur Verfügung gestellt zu haben. Weitere Variante: Das „geknackte“ Signal wurde als Internetstream verhökert. Ob nun Server direkt die Signale legaler Anbieter anzapften oder dies mittels gehackter Zugangsdaten gelang - stets ging es darum, an Inhalte von Bezahlfernsehen zu kommen. Das jeweilige Entgelt dafür war natürlich deutlich günstiger als ein rechtmäßiges Abo, manchmal betrug es nur einen Bruchteil davon.
Cardsharing und Geldwäsche
- In dem Strafprozess vor der Wirtschaftsstrafkammer am Mannheimer Landgericht geht es um Cardsharing und IPTV, außerdem um Geldwäsche als Anklagevorwürfe .
- Cardsharing meint, salopp ausgedrückt, das Nutzen von Pay-TV-Inhalten, ohne für diese zu zahlen . Möglich wird dies durch die technische Manipulation des Receivers.
- IPTV steht für Internet Protocol Television und bezeichnet eine Empfangstechnik für Fernsehen via Internet . IPTV ist grundsätzlich legal – aber nur, wenn die Inhalte von lizenzierten (und damit meist kostenpflichtigen) Anbietern stammen.
- Geldwäsche gilt als strafrechtlicher Oberbegriff für das Einschleusen von illegal erworbenen Geldern in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf . Inzwischen kann dies auch über schwer nachvollziehbares Hin- und Herschieben von Kryptowährung geschehen. wam
Die Anklage listet mehr als 4000 solcher Straftaten auf, die dem Familienvater seit Mai 2019 bis zur Verhaftung fünf Jahre später rund 540.000 Euro einbrachten. Der Schaden, der Pay-TV-Sendern durch entgangene reguläre Abschlüsse entstanden ist, wird mit rund zwei Millionen Euro beziffert. Dazu gesellen sich Geldwäsche-Vorwürfe. Der Mann aus dem Raum Karlsruhe hat nämlich von verschiedenen Accounts bei Bitcoin-Handelsplattformen Beträge von rund einer Million Euro auf sein Bankkonto transferiert. Weil das hin und her geschobene Geld wohl zum großen Teil aus Straftaten stammt, könnte es bei einer Verurteilung eingezogen werden. Jedenfalls fordert die Staatsanwältin, Wertersatz von 1,5 Millionen Euro anzuordnen.
Wie ein Nerd wirkt der Mann im weißen Hemd nicht
Der sichtlich aufgewühlte Vater von zwei Kindern, davon eines mit chronischer Erkrankung, erzählt, das Manipulieren von Receivern zunächst als „Hobby“ betrieben und sich in Foren getummelt zu haben. Bei Sky habe er ein Abo abgeschlossen, um dieses illegal als Einnahmequelle weiter zu verhökern. Der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer Andreas Lindenthal möchte wissen, wie der Angeklagte an seine Kunden kam. Nein, Werbung bedurfte es nicht, „Leute schreiben einem aus Foren an“. Natürlich habe er sich abgeschottet. Von Prepaidkarten und Decknamen wie „Superbad“ ist die Rede.
Der Mann im weißen Hemd, der so gar nicht wie ein Computer-Nerd wirkt, berichtet: Während der Corona-Pandemie und seiner damit verknüpften Arbeitslosigkeit begann er, digitale Piraterie als Haupterwerb zu betreiben. Zur Sprache kommt, dass er ab 2022 auf Bezahlung in Kryptowährung drängte, weil sich so Geldflüsse nur schwer nachverfolgen lassen. Die zur Seite geschafften Bitcoins seien für den geplanten Kauf einer Finca auf Mallorca gedacht gewesen.
Satte Geldstrafen für Nutzer illegaler Angebote
Als Richter Lindenthal den Angeklagten fragt, wie sich dieser in der Szene einordne, kommt die Antwort: „Ich sehe mich eher als kleinen Fisch.“ In der Tat ploppen bei der Recherche ganz andere Schlagzeilen auf: „Europol zerschlägt illegales Streamingnetzwerk mit Inhalten von Sky, DAZN, Netflix – 22 Millionen Nutzer“. Und schon vor vier Jahren kam die bayerische Cybercrime-Zentralstelle einem 30-jährigen aus Rosenheim auf die Spur, der rechtswidriges Cardsharing zum lukrativen Geschäftsmodell gemacht hatte - nicht nur, aber auch mit Wettbüros und Gaststätten als „Kundschaft“.
Dass nicht nur erwischte Digital-Manipulierer einen Rechtsbeistand nötig haben, sondern möglicherweise auch deren Abnehmer – davon künden Anwaltskanzleien, die im Internet für entdeckte Nutzer ebenfalls ihre Dienste offerieren. Schließlich hat der Europäische Gerichtshof geurteilt, dass man sich nicht darauf berufen könne, nur „eine privilegierte Zwischenspeicherung“ vorzunehmen. Das Urheberrecht werde verletzt, sobald sich jemand wissentlich ein nicht zugelassenes Angebot geschützter Werke verschaffe. Auch wenn (meist durch Auswertung von IP-Adressen) erwischte illegale Nutzer eher selten vor Gericht oder gar im Gefängnis landen, so werden durchaus satte Geldstrafen verhängt.
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