Mannheim. Viele Betriebe in Baden-Württemberg suchen verzweifelt nach Auszubildenden - beim Schweizer Gesundheitskonzern Pharmakonzern Roche herrschen dagegen am Standort in Mannheim Zustände wie im Schlaraffenland. „Wir freuen uns, unsere Ausbildungsstellen auch aktuell alle besetzen zu können“, sagt Sprecher Ferdinand von Reinhardstoettner. In Mannheim sind derzeit immerhin rund 300 Auszubildende und dual Studierende an Bord. Damit nimmt Roche - das Unternehmen ist mit 8650 Beschäftigten auch der größte Arbeitgeber in Mannheim - eine Ausnahmestellung auf dem Ausbildungsmarkt ein.
Männer bewerben sich nicht
Die Gelassenheit, die Kommunikationsprofi von Reinhardstoettner an den Tag legt, steht im krassen Gegensatz zu der Nervosität, die sich in vielen Personalabteilungen der Betriebe im Südwesten kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahrs breit gemacht hat. Die Zahlen sind erschreckend. Schon 2022 konnte knapp die Hälfte der Unternehmen in Baden-Württemberg nicht alle angebotenen Stellen besetzen. Auch jetzt sieht die Lage nicht rosig aus. Jeder dritte Betrieb mit freien Lehrstellen hat überhaupt keine Bewerbung bekommen, wie eine aktuelle Umfrage der Industrie- und Handelskammern ergeben hat.
Ein großes und renommiertes Unternehmen wie Roche hat bei der Nachwuchssuche im Vergleich zu kleinen Betrieben wahrscheinlich einen Vorteil und lockt deshalb mehr Bewerber an. Mehr Geld bekommen die Auszubildenden aber bei Roche nicht. Das Unternehmen zahlt die tariflich festgelegte Vergütung. Im ersten Jahr gibt es 1074 Euro. Roche erweist sich allerdings bei der Personalsuche als kreativ. So bildet das Unternehmen seit 2005 Kaufleute für Büromanagement auch in Teilzeit aus.
Für Roxana Costa hat sich diese Möglichkeit jedenfalls als Glücksfall erwiesen. „Meine erste Ausbildung als Erzieherin, das war nicht meins“, sagt die 29-jährige Mannheimerin. Sie absolvierte das Fachabitur und arbeitete als Verkäuferin. „2018 wurde ich Mama.“ Nach der Elternzeit machte sich Roxana Costa Gedanken, wie es für sie beruflich weitergehen soll. „Ich war dann noch zwei Jahre im Einzelhandel tätig. Aber Beruf und Familie lassen sich da nicht optimal vereinbaren. Ich musste auch samstags arbeiten.“
Newsletter "MM Business" - kostenlos anmelden!
Doch dann schlug die junge Frau eine ganz neue Richtung ein. „Ich bin da auf den Verein Förderband gestoßen. Eine Mitarbeiterin hat mit im Gespräch die Ausbildung in Teilzeit empfohlen. Ich hatte keine Ahnung, dass es so etwas gibt. ,Roxy, ich glaube, du passt perfekt zu Roche!’sagte sie“.
Da lag die Mitarbeiterin wohl richtig. Jedenfalls sieht es bei Roxana Costa inzwischen nach einem Happy End aus. Nächstes Jahr beendet die Mannheimerin ihre Ausbildung. „Viele Mütter wissen gar nicht, dass es die Ausbildung in Teilzeit gibt. Deshalb mache ich in meinem privaten Umfeld Werbung für diese coole Sache“, sagt sie.
Das ist offensichtlich notwendig. Auch bei Roche gibt es keinen Ansturm auf die Teilzeitausbildung. Aber immerhin, zum neuen Ausbildungsjahr werden erstmals zwei Frauen in Mannheim in Teilzeit anfangen. Männer haben sich bisher noch nicht beworben. „Da es aus Erfahrung für junge Mütter oft schwierig ist, auf herkömmlichem Weg eine Ausbildung zu absolvieren, unterstützen wir dieses Modell bei Roche sehr gerne“, sagt der Sprecher. Das Unternehmen hat bisher nur gute Erfahrungen gemacht, es gab auch noch keinen Ausbildungsabbruch.
Nachfrage landesweit gering
Landesweit haben im vergangenen Jahr nur 855 Personen eine Teilzeitausbildung absolviert, das sind 0,5 Prozent aller Auszubildenden. 91 Prozent der Teilzeitauszubildenden waren Frauen. Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium will deshalb jetzt auch Werbung für diese „coole Sache“ machen: „Wir wollen die Teilzeitausbildung sowohl für Ausbildungsinteressierte als auch für Ausbildungsbetriebe bekannter machen“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut und hofft, dass „mehr Unternehmen die Teilzeitausbildung zur Mitarbeitergewinnung nutzen“. Denn klar ist für sie: „Unsere Wirtschaft darf kein Potenzial verschenken, dringend benötigte Fachkräfte auszubilden.“
Vielleicht liegt die geringe Nachfrage auch an einem Missverständnis. Bei der Teilzeitausbildung wird nur die wöchentliche Ausbildungszeit im Betrieb - auf höchstens 50 Prozent - verkürzt. Die Ausbildung selbst dauert aber nur die regulären drei Jahre. Das liegt auch daran, dass die Unterrichtszeit in der Berufsschule gleich bleibt.
Inzwischen kann übrigens jeder eine Teilzeitausbildung absolvieren, wenn er einen Betrieb findet, der mitmacht. Bis 2020 war die Teilzeitausbildung nur in Ausnahmen möglich, nämlich wenn ein besonderes Interesse bestand - zum Beispiel Kindererziehung oder die Pflege Angehöriger. Jetzt können auch Zuwanderer, die parallel Deutsch lernen wollen, das Angebot nutzen. Oder Personen, die wegen ihrer Gesundheit Einschränkungen haben beziehungsweise auch in der Ausbildung zeitlich flexibel sein wollen.
Nach zwei Jahren Praxis ist Roxana Costa noch immer begeistert von ihrer Ausbildung. Statt den regulären 7,5 muss sie nur 5,8 Stunden pro Tag im Betrieb sein. Es gibt zwar weniger Geld, aber dafür bleibt ihr mehr Zeit für ihr Kind. „Das ist für mich natürlich eine enorme Erleichterung. Die Arbeit macht mehr Spaß, weil ich nicht immer von A nach B hetzen muss“, sagt sie.
„Ich will hier bleiben“
Da Roche in der Regel die meisten Auszubildenden übernimmt, hat die 29-Jährige dort auch eine Perspektive. „Ich will hier bleiben“, sagt sie. Und dann will Costa „richtig durchstarten“. Weil ihr Kind nächstes Jahr eingeschult wird, kann sie künftig auch in Vollzeit arbeiten. Am liebsten arbeitet sie an Projekten und schafft aus neuen Ideen etwas. „In meinem Team sind viele kreative Köpfe. Ich bin eher ein visueller Mensch, der viel mit Bildern und Videos macht. Das finde ich cool.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/wirtschaft_artikel,-regionale-wirtschaft-ausbildung-in-teilzeit-junge-mutter-aus-mannheim-berichtet-_arid,2114254.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/firmen_firma,-_firmaid,12.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html