Landwirtschaft

Warum ein kleines Insekt für Krisen auf dem Acker sorgt

Der Klimawandel stellt die Landwirtschaft vor Herausforderungen. Auf dem Südzucker-Versuchsgut in Mannheim beraten Experten über Lösungen.

Von 
Tatjana Junker
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Im Südzucker-Versuchsgut in Mannheim-Kirschgartshausen wird unter anderem an Bekämpfungsmöglichkeiten gegen Schädlinge geforscht. © Dennis Möbus/Südzucker

Main-Neckar. Der Feind ist nur wenige Millimeter groß. Und vermutlich kommt er auch gar nicht in böser Absicht. Und trotzdem: Landwirten im ganzen Bundesgebiet bereitet derzeit ein kleines Insekt massives Kopfzerbrechen, die sogenannte Schilf-Glasflügelzikade.

Die heimische Art, die sich infolge des Klimawandels und der wärmeren Temperaturen zuletzt stark ausgebreitet hat, wäre an sich vielleicht gar kein so großes Problem, würde sie nicht verschiedene bakterielle Krankheiten auf Pflanzen übertragen, wie das sogenannte SBR-Syndrom oder Stolbur. Vor allem Zuckerrüben waren in der Vergangenheit heftig betroffen, aber auch im Anbau von Kartoffeln und Wurzelgemüse verursachen die Zikaden zunehmend große Schäden.

Schilf-Glasflügelzikade: Bis zu 50 Prozent der Flächen sind befallen

Georg Vierling, Leiter Zuckerrübenanbau und Neue Pflanzen beim Mannheimer Südzucker-Konzern, spricht am Montag im Südzucker-Versuchsgut Kirschgartshausen vor dem Publikum gar von einer „Apokalypse“. Hier haben sich an diesem Morgen auf Einladung von Südzucker und des Industrieverbands Agrar (IVA) Landwirtschaftsexperten aus Politik und Wirtschaft zu einem Hoftag mit dem prägnanten Titel „Landwirtschaft am Limit“ versammelt.

Durch die starke Ausbreitung der Schilf-Glasflügelzikade könnten Erträge auf den Äckern „in kürzester Zeit zusammenbrechen“, sagt Vierling. Bei Südzucker seien aktuell etwa die Hälfte der Flächen vom SBR-Syndrom und von Stolbur befallen. Hotspots gebe es in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen.

Agrarforschung in Kirschgartshausen

Das Mannheimer Unternehmen Südzucker verarbeitet jährlich etwa 30 Millionen Tonnen Agrarrohstoffe .

In Deutschland hat der Konzern nach eigenen Angaben mehr als 10.000 Zuckerrübenanbauer als Vertragspartner.

Auf dem unternehmenseigenen Versuchsgut in Mannheim-Kirschgartshausen forscht Südzucker zu unterschiedlichen landwirtschaftlichen Themen, zum Beispiel im Bereich Schädlingsbekämpfung. Auch neue landwirtschaftliche Technologien werden hier getestet.

„Wie sollen wir den Landwirten erklären, dass sie bei einer bestimmten Kultur bleiben sollen, wenn das Feld innerhalb weniger Wochen so verheerend aussehen kann?“, fragt Vierling. Für Südzucker ist die Sicherung der Rübenernten essenziell. Schließlich macht die Frucht einen großen Teil der insgesamt rund 30 Millionen Tonnen an Agrarrohstoffen aus, die das Unternehmen jährlich verarbeitet. Deutschlandweit zählt Südzucker mehr als 10.000 Zuckerrüben-Anbauer als Vertragspartner.

Der Zuckergehalt der Rüben sinkt teils deutlich

Für die Zuckerrübe ist vor allem das SBR-Syndrom problematisch, das von der Schilf-Glasflügelzikade übertragen wird. Es führt dazu, dass in den Rüben weniger Zucker enthalten ist - ein großes Problem für die Landwirte, denn die Höhe des Zuckergehalts schlägt sich auch im Preis nieder. Im Normalfall habe eine Rübe einen Zuckergehalt von etwa 18 Prozent, inzwischen sei man teilweise bei nur noch 14 Prozent, erklärt Maren Himmel, Koordinatorin SBR bei Südzucker. Dazu kommt, dass die Rüben durch die Krankheit eine gummiartige Konsistenz bekommen, was die Lagerung und Verarbeitung in den Zuckerfabriken zumindest schwieriger macht und dort teilweise sogar zum vorübergehenden Stillstand führt, weil Maschinen häufiger gereinigt werden müssen. Noch problematischer ist die Gummikonsistenz bei Kartoffeln: Betroffene Knollen können praktisch kaum noch verwendet werden.

Georg Vierling, Leiter Zuckerrübenanbau und Neue Pflanzen bei Südzucker, spricht auf dem Hoftag in Kirschgartshausen. © Dennis Möbus/Südzucker

Wie lässt sich das Problem in den Griff kriegen? Auch darum geht es an diesem Vormittag in Kirschgartshausen. Geforscht wird in verschiedene Richtungen - angefangen beim sogenannten RNAi-basierten Pflanzenschutz bis hin zu Varianten, bei denen die Zikaden durch akustische Reize oder Vibration gestört werden. Südzucker-Expertin Himmel stellt aber klar: „Man hat noch nicht DAS eine Mittel gefunden, das hilft.“

Notfallzulassungen sollen kurzfristig helfen

Zumindest kurzfristig soll nun erstmal der Einsatz von Insektiziden helfen, für die das Bundeslandwirtschaftsministerium kürzlich Notfallzulassungen erteilt hat. Sie dürfen von den Landwirten nun - unter bestimmten Auflagen - 120 Tage lang eingesetzt werden, um das Zikaden-Problem in den Griff zu bekommen. Für den Zuckerrübenanbau wurden laut Vierling Notfallzulassungen für sieben Mittel bewilligt, sechs davon durften beispielsweise bislang nur zur Blattlaus-Bekämpfung eingesetzt werden. Der Südzucker-Experte plädiert allerdings für eine langfristigere Lösung. Das Problem werde schließlich weiter bestehen: „Ich bin sicher, dass wir sonst 2026 auch wieder vor der Situation stehen, dass wir Notfallzulassungen brauchen.“

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Die Ausbreitung von Schädlingen als Folge des Klimawandels ist unterdessen nur eine von mehreren Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft aktuell steht. So muss sie unter anderem auch selbst einen Beitrag dazu leisten, dass die Treibhausgas-Emissionen sinken. Wie Theresa Krato, Fachgebietsleiterin Pflanzenernährung und Biostimulanzien beim IVA, erklärt, zählt die Umstellung auf Grünen Stickstoffdünger hier zu den wichtigsten Hebeln. So macht die Stickstoffdüngung im Zuckerrübenanbau derzeit den größten Posten unter den Treibhausgasquellen aus. Für die Umstellung müsse aber unter anderem erst eine entsprechende Infrastruktur für grünen Wasserstoff aufgebaut werden.

Redaktion Wirtschaftsreporterin

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