Niemand beschäftigt sich gerne mit dem eigenen Tod oder dem von geliebten Menschen - und doch kann sich niemand davor drücken. Die Bestatterin, Trauerbegleiterin, Notfallseelsorgerin und Dozentin Sarah Benz plädiert deshalb dafür, sich frühzeitig mit dem Tod zu befassen, um so selbstbestimmt von geliebten Menschen Abschied nehmen zu können. Im Interview spricht sie unter anderem darüber, wie man sich auf den Tod vorbereiten kann, was man tun muss, kann und darf, wenn ein geliebter Mensch stirbt und warum ihr ihre Arbeit Freude bereitet.
Frau Benz, kann man sich auf den Tod vorbereiten?
Sarah Benz: Ich kann mich auf meinen eigenen Tod vorbereiten, indem ich mir überlege, wie ich gerne verabschiedet werden möchte. Auch Zugehörige können sich auf den Tod einer nahen Person vorbereiten. Damit sie eine selbstbestimmte Abschiednahme gestalten können, ist es wichtig, dass sie ihre Möglichkeiten und Rechte kennen. Aber auf den Schmerz und die Traurigkeit, die der Tod eines geliebten Menschen mit sich bringt, kann man sich nur bedingt vorbereiten.
Bestatterin Sarah Benz
- Sarah Benz arbeitet als Bestatterin, Trauerbegleiterin, Notfallseelsorgerin und Dozentin für nonverbale Kommunikation in Pflegeeinrichtungen und Hospizen.
- Sie ist die Gründerin des Kurzfilmprojektes „Sarggeschichten“.
- Gemeinsam mit Katrin Trommler hat sie das Buch „Sarggeschichten. Warum selbstbestimmtes Abschiednehmen so wichtig ist“ (mosaik Verlag) geschrieben.
Sie sprechen von Zugehörigen, nicht Angehörigen. Warum?
Benz: Im Strafgesetzbuch zählen zu den Angehörigen nur Personen, die in gerader Linie verwandt oder verschwägert sind. Also Eltern, Kinder, Pflegeeltern und Pflegekinder, Geschwister, Verheiratete, Verlobte und Verschwägerte. Es ist also ein sehr exklusiver Begriff. Freund:innen, Wahlfamilie oder Lebenspartner:innen zählen zum Beispiel nicht dazu, obwohl die Beziehung zu ihnen manchmal viel enger sein kann.
Sie plädieren dafür, sich frühzeitig mit dem Tod zu beschäftigen, aber kriegt die Großmutter nicht Angst, wenn man zu ihr sagt: „Oma, wir müssen mal über Deinen Tod sprechen“?
Benz: Auch wenn unser Verstand uns sagt, dass es albern ist, sind viele von uns trotzdem ein bisschen abergläubisch. Aber: Niemand stirbt, nur weil man über den Tod redet. Ich erlebe übrigens auch das Gegenteil. Die Großmutter möchte gern über ihren Tod reden, aber die Familie mauert.
Was muss man sofort tun, wenn ein Mensch gestorben ist?
Benz: Nichts. Man kann sich Zeit nehmen, um zu spüren, was gerade passiert ist. Man muss nicht sofort hochspringen und in Aktion verfallen.
Was muss man in den Stunden nach dem Tod tun?
Benz: Das Erste, was man tun muss, ist einen Arzt anrufen, der den Tod feststellt und einen Totenschein ausstellt. Dann sollte man ein Bestattungsinstitut informieren.
Eltern wollen Kindern oft den Anblick von sterbenden oder gestorbenen Menschen ersparen, damit sie sie so in Erinnerung behalten, wie sie sie kannten ...
Benz: Ich mag diesen Satz nicht. Denn die Erinnerung hat man ja an einen lebendigen Menschen - und einen lebendigen Menschen kann man nicht beerdigen. Einen Verstorbenen noch mal zu sehen oder zu berühren, kann beim Abschiednehmen sehr hilfreich sein.
Macht Ihnen der Anblick von Toten nie Angst?
Benz: Ich bin definitiv nicht angstfrei und will das auch gar nicht sein. Die Toten machen mir keine Angst. Aber auf den Augenblick, in dem ich den Reißverschluss der Hülle öffne, in der die Toten aus der Gerichtsmedizin kommen, muss ich mich vorbereiten. Die Zugehörigen dürfen bei allem, was ich mache, dabei sein. Nur beim ersten Öffnen der Leichenhülle bin ich gern allein mit meinen Kolleg:innen und brauche selbst auch Zeit mich anzunähern.
Was macht eine gute Trauerfeier aus?
Benz: Dass sie zu dem Menschen passt, der gestorben ist, und zu denen, die sich verabschieden. Das gilt natürlich für den gesamten Abschiedsprozess. Ich habe durch meine Arbeit viele Menschen kennengelernt, die bei früheren Todesfällen überhaupt nicht wussten, was sie alles hätten selbst gestalten können und bereuen, den Abschied nicht individueller gestaltet zu haben. Darum ist es so wichtig, seine Rechte zu kennen.
Soll man Kinder mit zur Beerdigung nehmen?
Benz: Man kann Kinder auf jeden Fall mit zur Beerdigung nehmen. Wenn sie nicht dabei sein möchten, wird man es merken. Wichtig ist aber auch, dass die Erwachsenen sich damit wohlfühlen. Wenn Eltern unsicher sind, überträgt sich das auf die Kinder.
Darf, soll oder muss man bei einer Beerdigung weinen?
Benz: Wir haben in unserer Gesellschaft leider immer noch eine bestimmte Vorstellung davon, wie Trauer sein soll. Auf der Beerdigung ein bisschen zu weinen, ist in dieser Vorstellung richtig, aber zu viel sollte es bitte auch nicht sein. Ich finde, wir sollten diese Vorstellung weiten. Es ist völlig okay, wenn jemand zusammenbricht, weil ein lieber Mensch gestorben ist. Man darf sich auch auf den Sarg werfen. Warum denn nicht? Und wenn man gerade nicht an seine Gefühle kommt und einfach nicht weinen kann oder will, ist das natürlich auch vollkommen okay.
Mehr als „Mein herzliches Beileid“ bringen Trauergäste oft nicht über die Lippen. Gibt es die richtigen Worte?
Benz: Die perfekten Worte gibt es nicht. Der Anspruch: „Ich sage jetzt etwas, und dann geht es dem Trauernden wieder gut“ ist ja sowieso total überhöht. Das einzige, was man machen kann, ist, das zu transportieren, was man im Herzen hat. Man kann auch einfach zugeben, dass man gerade keine Worte hat. Und wenn man dabei rumstammelt, ist das überhaupt nicht schlimm. Viel wichtiger sind Stimmklang, Zugewandtheit und Blickkontakt. Das Mitgefühl wird ankommen, auch wenn die Worte nicht perfekt sind.
Nutzen Bestatter die emotionale Ausnahmesituation ihrer Kunden aus?
Benz: Ich kann natürlich nicht für alle Bestatter sprechen, aber ich wehre mich dagegen, Bestatter als eine Zunft geldgeiler Typen hinzustellen, die Trauernde abzocken wollen.
Wie kann man Trauernde unterstützen?
Benz: Wir erschlagen Trauernde gerne mit guten Ratschlägen und wollen sie gleich reparieren. Wir meinen das natürlich oft gut, aber Trauernde wollen erst mal so sein dürfen, wie sie sind und trotzdem angenommen werden.
Wann ist eine professionelle Trauerbegleitung sinnvoll?
Benz: Ungefähr vier von fünf Trauernde kommen ohne professionelle Hilfe klar. Aber Menschen, die das Gefühl haben, dass sie bestimmte Themen ihrer Trauer gern noch mal anschauen wollen oder nicht genug Raum für ihr Trauern haben, können von einer Trauerbegleitung profitieren. Oft sind das Menschen, die niemanden mit ihrer Trauer belasten wollen.
Zahlt die Krankenkasse die Trauerbegleitung?
Benz: Nein, Trauer soll nicht pathologisiert werden. Trotzdem wäre es gut, wenn die Kosten übernommen würden, da eine gute Trauerbegleitung präventiv gegen psychische Erkrankung wirken kann. Ich glaube, dass viele Probleme, die Menschen im Laufe ihres Lebens entwickeln, darauf zurückzuführen sind, dass sie Trauer nicht gut verarbeitet haben.
Warum sind Sie Bestatterin geworden?
Benz: Weil es mich total froh macht, Menschen die Möglichkeit zu geben, ihren persönlichen Abschied zu finden. Oft schaffen sie dabei etwas Wunderschönes und Wertvolles. Was Trauernde im wichtigen Abschiedsprozess zwischen Tod und Beerdigung erfahren und gestalten können, haben sie für immer in ihrem Herzen, das kann ihnen niemand mehr nehmen.
Sind Sie religiös?
Benz: Ich bin christlich erzogen worden und an einem Friedhof aufgewachsen, auf dem ich auch gespielt habe. Gräber sind mir seit meiner Kindheit vertraut.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Benz: Wir alle haben den Wunsch, dass nach dem Tod irgendetwas kommt. Aber niemand weiß, was es ist. Trotzdem können wir darüber sprechen, welche Ideen wir haben. Auch mit Kindern. Wir denken oft, wir müssten Kindern eine Antwort geben, die wir selbst nicht haben. Doch Kinder riechen auf zehn Meter gegen den Wind, wenn wir ihnen irgendwas erzählen, was wir selbst nicht glauben. Deshalb finde ich es besser, zu sagen: „Ich weiß es nicht. Was denkst Du?“ Ich bin jedenfalls gespannt, was nach dem Tod noch kommt.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/vermischtes_artikel,-vermischtes-bestatterin-sarah-benz-sieht-den-tod-als-teil-des-lebens-_arid,2147844.html